Zur Ausgabe
Artikel 14 / 115

Affären Monopoly im Sand

Flughafenplaner in Berlin schanzten Spekulanten mehrere hundert Millionen Mark zu. Politiker haben als Kontrolleure versagt.
aus DER SPIEGEL 31/1994

Sie hatte die Latifundie, er den Geschäftssinn, und so zog das ältere Ehepaar frohgemut zum Notar. Dort verkauften die Grundeignerin Anneliese Fleiss und ihr Mann, ein Berliner Bauunternehmer im Ruhestand, im Februar 1992 dem Staat 20 Hektar Acker.

Zwar sagten sich auf ihren Feldern im Süden Berlins Hase und Fuchs gute Nacht. Aber die Hauptstadt und das Land Brandenburg wollten damals den Flughafen Schönefeld ausbauen. Dafür brauchten sie Reserveflächen.

Die Aufkäufer der brandenburgischen Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) in Potsdam offerierten dem Senior Fleiss für seine Sandbüchse exorbitante 350 Mark pro Quadratmeter. Und der hatte sich sogar noch mehr vorgestellt. Beim Beurkundungstermin »schwankte Herr Fleiss bezüglich des Kaufpreises«, wie die LEG-Leute in Erinnerung haben.

Aber während der schwierige alte Herr im Notariat eine Pinkelpause machte, schlug die Eignerin kurzerhand bei 350 Mark ein und unterschrieb den Vertrag. So war das Paar am Abend um 70 Millionen Mark reicher. Noch beim Notar verabredeten sich die Eheleute telefonisch mit Familie Paul, ihren ehemaligen Acker-Nachbarn, zum Eisbein-Essen.

Auf die Zeche dürfte es dabei nicht angekommen sein, denn auch den Pauls stand Geld ins Haus - sie waren gerade dabei, ihren Acker für knapp 40 Millionen zu versilbern.

Mit Sicherheit draufgezahlt hat der Staat, für den Berliner Flughafenmanager Anfang 1992 in der Gegend knapp 120 Hektar überteuerte Agrarfläche zusammenkaufen ließen. Umgehend machten sich Grundherren, Insider und obskure Finanzgesellschaften daran, die Preise hochzuschaukeln - die märkische Krume wurde auf einen Schlag gleichsam zu Gold. Privatleute wie das Rentnerpaar Fleiss kassierten dabei insgesamt 365 Millionen Mark.

Zwei Jahre nach dem Kaufrausch folgt der Kater. Die von Berlin, Brandenburg und dem Bund finanzierte »Berlin Brandenburg Flughafen Holding« (BBF) versackt in einem politischen und wirtschaftlichen Schlamassel.

Die Flughafenpläne sind längst geändert: Für einen Groß-Airport »Berlin-Brandenburg International« werden Alternativstandorte bei Sperenberg, Jüterbog und südlich von Schönefeld geprüft (siehe Grafik). Damit ist die gehortete Reservefläche überflüssig, sie muß wieder abgestoßen werden.

Kein Mensch aber, so Experten, wird den BBF-Verantwortlichen die Äcker zum Einstandspreis abkaufen. Wahrscheinlich bleiben sie auf Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe sitzen.

Inklusive der Zinsen, die in der Kreditlaufzeit für die Geländekäufe bis 1996 zu zahlen sind, haben die Flughafenmanager Schulden von über einer halben Milliarde Mark aufgehäuft. Die BBF, von Überschuldung bedroht, wird mit Steuergeldern saniert werden müssen.

Sozialdemokraten und die Alternativen vom Bündnis 90 im Berliner Abgeordnetenhaus drohen nun mit einem Untersuchungsausschuß, denn politische Aufsichtsgremien hatten die dreiste Preistreiberei gebilligt.

Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen reagierte auf die drohende Katastrophe. In einer Parlamentsvorlage forderte der Christdemokrat Mitte Juni erste Sanierungsschritte für die BBF.

Sollten die Länder und der Bund nicht für die Schulden geradestehen, geht die Flughafengesellschaft pleite, und dann, so Diepgen, drohten »kaum absehbare Folgen - bis hin zum Erliegen des gesamten Luftverkehrs von und nach Berlin«.

Schuld an den Millionenverlusten sind die überdimensionierten Expansionspläne für den einstigen DDR-Zentralflughafen Berlin-Schönefeld, die inzwischen ad acta gelegt worden sind. Im Dezember 1991 hatte die Flughafengesellschaft Schönefeld, später eine Tochter der BBF, die staatliche Landesentwicklungsgesellschaft beauftragt, reichlich Flächen zu kaufen. Die Order erging telefonisch, Eile schien geboten.

Denn rings um den Flughafen stromerten schon seit Mitte des Jahres gewiefte Spekulanten: Zwischenhändler jagten den Grundeignern Kaufoptionen ab, die Schönefelder Kirche verscherbelte Gelände (250 Mark pro Quadratmeter), und die Lufthansa deckte sich über eine Schweizer Firma ein.

Anfang November 1991 hatten die Schönefelder Manager, noch vor dem Auftrag an die LEG, die Berliner Maklerfirma Immobilien Ansorge »mit Kaufverhandlungen sowie mit der Einschätzung mutmaßlicher Verkehrswerte« betraut. Damit begann das Monopoly im märkischen Sand.

Investoren aus Steueroasen, wie die »Zentrale Handels- und Immobilienanstalt« aus dem liechtensteinischen Vaduz, trieben die Preise durch großzügige Offerten an geldhungrige Erbengemeinschaften weiter in die Höhe.

Eine Münchner GmbH schaltete sich ein, entwand ausländischen Zwischenhändlern angeblich schon erworbene Grundstücke und machte selbst den Deal mit der LEG - gegen eigene Provision, vesteht sich. Eine andere Eigner-Truppe forderte den Kaufpreis in Form eines Barschecks über 44 Millionen Mark, eine Liechtensteiner Firma, die Boden ergattert hatte, diente sich der LEG gleich komplett zum Kauf an.

Mitten im Nahkampf, im März 1992, bekam die bis dahin nur mündlich engagierte Landesentwicklungsgesellschaft dann wenigstens noch einen schriftlichen Auftrag von der BBF. »Es wollte der liebe Gott«, so LEG-Geschäftsführer Germanus Pause, »daß die meisten Grundstücke da schon gekauft waren.«

Es waren über 77 Prozent der vermeintlich nötigen Flächen, gekauft zu Preisen zwischen 185 und 400 Mark je Quadratmeter, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Treuarbeit ermittelt hat. Deren Prüfbericht kritisiert das Chaos von Schönefeld hart.

Wertgutachten für die Grundstücke seien nicht eingeholt, ein zwischenzeitlich erstellter neuer Plan mit »deutlicher Verminderung des Flächenbedarfs« sei nicht berücksichtigt worden.

Die verantwortlichen Politiker in Berlin und Brandenburg hatten sich monatelang kaum um Durchblick oder gar Kontrolle bemüht. Der BBF-Aufsichtsratsvorsitzende Walter Hirche, zugleich Wirtschaftsminister in Potsdam, erkannte zwar, daß seine ausgabefreudigen Grundstücksaufkäufer den Auftrag des Kontrollgremiums klar überschritten hatten. Gleichwohl unternahm der FDP-Politiker nichts. Im Juni 1992 noch beruhigte er die argwöhnisch gewordene Bundesregierung, »daß eine Grundstücksbevorratung in Schönefeld kein Verlustrisiko beinhaltet«.

Mit einem Trick nämlich wollten die BBF-Bilanzakrobaten die zu teuer gekauften Flächen auf einen erträglichen Einstandspreis von 200 Mark heruntermogeln: Nicht mehr benötigte Grundstücke sollten, so ein Gesprächsprotokoll, einfach wieder zu noch höheren Preisen einer »Vermarktung zugeführt werden«. Die Gewinne hätten die Gesamtverluste verringern sollen.

Die schräge Rechnung wäre jedoch nur aufgegangen, wenn die »Nieten im Nadelstreifen«, so die alternative Ex-Senatorin Michaele Schreyer, für ihre überflüssigen Flächen 1225 Mark pro Quadratmeter bekommen hätten. Die Profis von der Treuarbeit kommentierten nur knapp: »Völlig unrealistisch.« Y

[Grafiktext]

__40_ Berlin: Flughafen Schönefeld

_____ Standort-Alternativen z. Flughafen Schönefeld

[GrafiktextEnde]

Zur Ausgabe
Artikel 14 / 115
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren