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ÖSTERREICH Mord mit dem Bleistift

Mit großem Aufwand zählte Österreich seine slowenische Minderheit. Das Ergebnis ist ohne Wert.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Ich bin froh, daß es vorüber ist«, kommentierte Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky die »geheime Sprachenermittlung« vom 14. November, bei der die Österreicher ihre slowenischen Landsleute zählen wollten.

Niemand weiß so recht, weshalb. Denn die Behörden wissen längst fast auf den Kopf genau, wie viele Angehörige der slowenischen Volksgruppe in Südkärnten leben -- knappe 20 500. Es handelt sich dabei um Nachfahren des slawischen Stamms der »Karantaner«, die sich ums Jahr 590 nördlich der Karawanken niederließen.

Mitte des 19. Jahrhunderts machten die Austroslowenen ein Drittel der Kärntner Bevölkerung aus. Inzwischen haben sie sich größtenteils assimiliert.

Daß nun mit einem Kostenaufwand von rund zehn Millionen Mark noch mal gezählt werden sollte, was ohnehin längst gezählt ist, hat nichts flut Staatsräson zu tun -- eher mit Psychologie.

Kreiskys Kabinett kapitulierte vor der sogenannten Deutschkärntner Urangst. Die Groteske um die Slowenen begann 1972. Damals erinnerte sich die Wiener Regierung ihrer 17 Jahre alten Staatsvertragsverpflichtungen zur Förderung der Minderheiten. »Wie"s nur recht und billig ist« (Kreisky), ließ sie deutsch-slowenische Ortstafeln pinseln und im gemischtsprachigen Unterkärnten aufstellen.

Dasselbe tat sie dann noch zwei weitere Male. Trotzdem gibt es heute in Österreichs Süden keine zweisprachige Tafel. Deutschkärntner haben sie in einem »Bildersturm ohne Beispiel« ("Kurier") wieder ausgerissen.

Denn die Deutschkärntner stehen unter dem Trauma zweier jugoslawischer Annexionsversuche. Sowohl 1918 als auch 1945 drangen jugoslawische Truppen -- teils reguläre Soldaten, teils Partisanen -- in das gemischtsprachige Gebiet ein. Im Kärntner Abwehrkampf 1918/19 gab es 214 Tote. im Frühjahr 1945 fast 4000 Opfer.

Obwohl Tito später formell die Grenzziehung anerkannte, blieben die Deutschkärntner mißtrauisch. Großzügig verteilte slowenische Ortsnamen, so fürchteten sie, könnten in Zukunft zu neuerlichen Gebietsansprüchen Jugoslawiens führen. Also verlangten sie: keine Tafeln ohne vorherige Volkszählung. Nur wo zumindest 25 Prozent Slowenen wohnen, dürften die Aufschriften zweisprachig sein.

Die Slowenischkärntner hingegen stehen unter dem Trauma völliger Assimilation. Ihre Volksgruppe wird von Zählung zu Zählung kleiner. 1910 bekannten sich noch 66 463 Personen oder 18 Prozent der Kärntner Bevölkerung zur slawischen Abstammung. Unter Hitler waren 49 000 »ostmärkische Slowenen« registriert. 1971 aber gaben nur mehr 17 014 Kärntner zu, daß sic slowenisch sprechen.

Die übrigen verleugneten ihre Muttersprache oder beherrschten sie tatsächlich nicht mehr. Bloß keine neuerliche Minderheitszählung also, denn dies wäre ein »Völkermord mit dem Bleistift« (so Matthäus Grilc, Obmann des Rates der Kärntner Slowenen).

»Da aber irgendwann einmal etwas geschehen muß«, ersann Kreisky 1976 einen Kompromiß: Um die Deutschkärntner zu beruhigen, setzte er in ganz Österreich eine Sprachenzählung an. Um auch die Slowenischkärntner zu gewinnen, schuf er unabhängig davon ein großzügiges Gesetz zur Förderung der slowenischen Minderheit.

Doch der Plan ging schief. Gestützt auf eine fanatische Anti-Österreich-Kampagne in Jugoslawien, riefen die Slowenen-Funktionäre zum Boykott auf. Sie empfahlen, entweder der Wahl fernzubleiben oder die Kolonne »Deutsch« anzukreuzen. Ihre Parole: »Die Erhebungsblätter unbrauchbar machen, auf welche Art immer.« Gesinnungsgenossen in Wien halfen bei der Verwirrung. Sie forderten die Hauptstädter auf, »Slowenisch« als Muttersprache anzukreuzen.

Dementsprechend wird das Ergebnis, frühestens Mitte Dezember, sein. Spottete ein Mitglied der Klagenfurter Landesregierung: »Außer Spesen nichts gewesen.«

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