Muammar el-Gaddafi
ist der schillerndste aller arabischen Staatschefs. Den einen gilt er als hemmungsloser Demagoge, den anderen als verträumter Schwärmer; einige glauben, er sei der Drahtzieher hinter allen terroristischen Organisationen ("Meister der Meuchelmörder« nannte ihn die London »Times"), andere sehen in ihm schon fast einen Religionsstifter, einen zweiten Mohammed.
Gaddafi hat von allem etwas. Mit Sicherheit ist er ein fanatischer arabischer Nationalist und deshalb ein unversöhnlicher Feind Israels.
Vielen Arabern erscheint er als charismatischer Führer: Als Nachbar Burgiba ihm 1972 erlaubte, vor zweitausend Tunesiern zu sprechen, begeisterte Gaddafi seine Zuhörer derart mit Vereinigungsparolen, daß Tunesiens Herrscher, der das Spektakel am Fernsehen erlebte, eilends in die Arena stieg, um seine Landsleute zurückzuhalten.
Sich selbst sieht Gaddafi als Verkünder einer neuen Heilsbotschaft. Auf 70 Seiten in handlichem Format hat er in zwei grünen Büchern (Grün ist die Farbe des Propheten) seine politische und wirtschaftliche »Philosophie« niedergelegt. Er nennt sie »Dritte Universaltheorie« (nach Kapitalismus und Kommunismus) und verspricht an mehreren Stellen die endgültige Lösung aller Probleme -- nach abendländischen Maßstäben erschütternd naiv.
Gaddafi ist schlicht wie seine beduinischen Vorfahren, megaloman in seinem intellektuellen Anspruch, bescheiden in seinem Auftreten wie kaum ein anderer: Mit seiner Familie lebt er in einer simplen Wohnung, arbeitet in der Kaserne, wenn er sich nicht dort aufhält, wo er am liebsten ist -- in der freien Natur und im Zelt.
Gaddafi wurde um 1940 in der libyschen Wüste geboren, wann genau und wo, weiß vermutlich nicht mal er selbst. Sein Vater züchtete als Beduine vom Stamm der Gadadifa Ziegen und Kamele. »Wir waren sechs, wissen Sie, und alle Analphabeten. Er mußte etwas lernen, mein einziger Sohn«, erzählte der Alte der Gaddafi-Biographin Mirella Bianco. Die Idee, den Jungen zur Schule zu schicken, habe ihm Allah gegeben.
Nach dem Schulbesuch trat Gaddafi der einzigen Institution seines Landes bei, die ihm Karriere verhieß -- der Armee. Am 1. September 1969 setzte er an der Spitze eines arabisch-nationalistischen »Bundes der Freien Offiziere« den zur Kur in der Türkei weilenden König Idris ab.
Das Codewort der Verschwörer war »el-Kuds«, das arabische Wort für Jerusalem und für die Offiziere ein Gelöbnis, die im Junikrieg 1967 an Israel verlorene Heilige Stadt zurückzuerobern. Gaddafi vertrieb aus seinem Land alle Fremden -- sowohl die 25 000 Italiener, die in ihrer früheren Kolonie geblieben waren, als auch die britischen und amerikanischen Soldaten der libyschen Stützpunkte.
Mit den Einkommen aus seinen Erdölexporten (1976: acht Milliarden Dollar, bei nur gut zweieinhalb Millionen Einwohnern) finanziert Gaddafi den wohl einzigen Wohlstandssozialismus der Welt. Das Mindesteinkommen eines Libyers ist etwa zehnmal so hoch wie das Anfangseinkommen eines staatlich angestellten Arztes im Nachbarland Ägypten.
Seine Untertanen schreckt oder erfreut Libyens Herrscher mit oft absurden Einfällen. So machte er am Mittwoch vorletzter Woche kurzerhand jeden Wohnungsmieter auch zum Eigentümer, da Mietzins unmoralisch sei. Und zur Feier des revolutionären Schrittes erklärte er gleich noch den folgenden Tag zum Feiertag.