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Müde Minister - Schmidt in Not

Gegen seinen Willen muß der Kanzler zu Beginn der neuen Amtszeit das Kabinett umbauen. Mehrere SPD-Minister haben die Lust an ihrem Amt verloren oder sollen andere Aufgaben übernehmen, wie Entwicklungshilfeminister Bahr, den Schmidt gern als SPD-Bundesgeschaftsführer sähe.
aus DER SPIEGEL 43/1976

In seinem Ministerbüro an der Bonn-Duisdorfer Rochusstraße diktierte Arbeitsminister Walter Arendt seinen Rücktrittsbrief an Bundeskanzler Helmut Schmidt. Darin erläuterte der ehemalige Bergarbeiter-Führer wenige Tage nach der von den Sozialliberalen nur knapp gewonnenen Bundestagswahl, warum er in der achten Legislaturperiode einem neuen Kabinett Schmidt/ Genscher nicht mehr angehören wolle. Das Hauptmotiv: Arendt mag nicht seine Hand dazu reichen, wenn in der Bundesrepublik demnächst soziale Errungenschaften abgebaut werden müssen.

Kurz zuvor hatte der Minister seinen Kanzler aufgesucht, um ihm das Demissionsschreiben anzukündigen. Bei dieser Gelegenheit führte der 51jährige Arendt auch persönliche Gründe für seine geplante Resignation an: Nach sieben Jahren in der Bundesregierung sei er nun amtsmüde und wolle seinen neuerbauten Alterssitz in Bornheim bei Bonn genießen.

Schmidt nahm Arendts Wunsch zur Kenntnis und enthüllte wenig später in einem SPIEGEL-Gespräch (siehe Seite 36), daß nicht nur ein Minister abmustern möchte: »Zwei Mitglieder des Kabinetts sind nach der Wahl mit dem Wunsche nach einer sie persönlich treffenden Veränderung an mich herangetreten. Darüber ist noch nicht entschieden.«

Damit gestand der Kanzler ein, wie schwer es ihm mittlerweile fällt, sich an seine vor der Wahl in einem SPIEGEL-Gespräch gegebene Erklärung zu halten, er werde die Arbeit in der neuen Legislaturperiode mit einer unveränderten Regierungsmannschaft fortsetzen. Das Revirement bahnte sich an.

Ende vergangener Woche schließlich geriet gar die ganze sozialdemokratische Kabinettsmannschaft ins Gerede. Kaum waren Arendts Rücktrittsabsichten durchgesickert, erklärte Gesundheitsministerin Katharina Focke definitiv ihren Abschied.

Vier Stunden später ließ Post- und Verkehrsminister Kurt Gscheidle wissen, wie gut es ihm gefallen würde, wenn er das Verkehrsressort mit der drückenden Last der Bundesbahn-Schulden abgeben könne.

Und plötzlich schien es so, als wollten noch drei weitere Schmidt-Minister nicht länger mitmachen: einer, dessen Abgang niemand verwundern würde, Bildungsminister Helmut Rohde, und zwei, die eher zu den Stärken des Schmidt-Kabinetts zählen, Verteidigungsminister Georg Leber, Dienstältester in der Regierung, und Entwicklungshilfeminister Egon Bahr.

Am Mittwoch nach der Wahl war Rohde beim Kanzler erschienen und hatte seinen Rücktritt angekündigt. Sein Motiv: Er wolle sich um die Nachfolge des designierten (und inzwischen gewählten) hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner als Bundesgeschäftsführer der SPD bewerben.

Doch diesem Petenten redete der Kanzler das Fluchtunternehmen aus. Schmidt zu Rohde nach der vorletzten Kabinettssitzung: Er brauche ihn in der Regierung.

Daß sich der Regierungschef mehr für den Rohde als für die Regierungs-Lady engagierte, darin schwang die Enttäuschung des Kanzlers über Katharina Fockes Unvermögen mit, ein schlüssiges Konzept für die Gesundheits- und Familienpolitik zu entwerfen. Frau Focke stand ohnehin auf Schmidts Abschußliste obenan. Oft genug war ihr der Lord aus Barmbek im Kabinett über den Mund gefahren, weil ihn ihre Diskussions-Beiträge sichtlich nervten. Mit ihrer Demission kam die Kabinettsdame ihrem ohnehin für 1978 geplanten Rausschmiß zuvor.

Daß Schmidt seine graue Maus Rohde im Kabinett festhält, macht unterdessen die Regelung der Börner-Nachfolge noch schwieriger. Denn der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) konnte sieh durchaus Chancen auf den Parteijob ausrechnen.

Gegen den Wunschkandidaten des Vorsitzenden Willy Brandt, den früheren Justiz-, Kanzleramts-, Forschungs- und Postminister Horst Ehmke, legte der Kanzler freilich sein Veto ein. Schmidt fürchtet Ärger mit dem rechten Flügel, wenn der neu-linke Brandt-Mann, gegen dessen Hans-Dampf-Manieren er eine fast physische Abneigung empfindet, zu mächtig wird. Brandt wiederum lehnt den fränkischen Bezirksvorsitzenden und außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Bruno Friedrich, ab, der ihm als Kandidat der Rechten und Schützling von SPD-Fraktionschef Herbert Wehner verdächtig ist.

So muß Schmidt auf die Kabinettsriege zurückgreifen. Sein Favorit für den Baracken-Job ist ein Mann, von dem er ursprünglich gar nicht viel gehalten hatte, den er inzwischen aber zu den Stützen seines Kabinetts zählt: Entwicklungshilfe-Minister Egon Bahr In seiner Wertschätzung für den früheren Ost-Unterhändler fühlt sich Schmidt durch den erfolgreichen Wahlkampf bestärkt, den der schleswig-holsteinische Listenführer in den vergangenen Monaten bestritten hat.

Bahrs besonderer Vorzug liegt darin, daß er trotz aller Distanz zwischen Partei- und Regierungschef sowohl das Vertrauen von Helmut Schmidt als auch das von Willy Brandt genießt. Schon in den vergangenen beiden Jahren hielt Schmidts Minister mit Billigung des Chefs nach jeder Kabinettssitzung den SPD-Vorsitzenden beim Mittagessen über die Regierungs-Arbeit auf dem laufenden.

Am schlimmsten trifft Schmidt das Demissionsbegehren Arendts, obwohl Kumpel Walter in den letzten Monaten sein Ressort nicht mehr mit dem alten Elan geführt und bei der Rentendebatte durch ungeschicktes Taktieren der Opposition Wahlkampfmunition frei Haus geliefert hatte. Der Kanzler kann es sich nicht leisten, ausgerechnet den Mann ziehen zu lassen, in dessen Haus die wichtigsten Aufgaben der kommenden Legislaturperiode angepackt werden sollen.

In Arendts Ressort fallen die Entscheidungen über die Beseitigung von Jugend- und Dauerarbeitslosigkeit, Umschulung von Arbeitskräften, Konsolidierung von Renten- und Krankenversicherung.

Wie schon in der vergangenen Legislaturperiode fürchtet der dickschädlige Arendt, die Sozialdemokraten unter Schmidt würden den Freidemokraten allzu große Zugeständnisse machen. Bereits vor Jahresfrist hatte der Arbeitsminister Rücktrittsgedanken, als die von ihm verfochtene Parität zwischen Arbeit und Kapital bei der Mitbestimmungsregelung am Widerstand der Liberalen gescheitert war. Jetzt sieht der sozialdemokratische Haudegen gar das System der sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik gefährdet. Und wieder gilt sein Argwohn dem Koalitionspartner FDP.

Dabei ist Arendt nicht zuletzt durch eigenes Verschulden in die Bredouille geraten ist. Zu spät hatte er erkannt, daß die Rentenversicherung in ein Milliardendefizit steuert. Nur hinter seinem Rücken hatte sich Kanzler Schmidt mit den wahren Rentendaten aus dem Arbeitsministerium für den Wahlkampf munitionieren können.

Zu lange auch hatte Arendt tatenlos zugesehen, wie die Beiträge in der Krankenversicherung auf ungeahnte Höhen kletterten. Und er entwickelte weder ein Konzept dafür, die Arbeitslosenziffern zu drücken, noch fiel ihm ein Mittel ein, für die wachsende Zahl von Schulabgängern neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Statt dessen fühlt sich der Mann, der noch beim Brandt-Wahlkampf im Jahre 1972 als eines der stärksten Zugpferde der Koalition galt, mit seinen Problemen von Kabinett und Kanzler allein gelassen. Nur seinem Freund Rohde. den er in seine Pläne einweihte, gestand er ein, in der Vergangenheit sicherlich auch Fehler gemacht zu haben.

Träte der Arbeitsminister tatsächlich zurück, könnte Schmidt Arger mit der eigenen Partei bekommen, in der Arendt als früherer Bergarbeiterführer immer noch hohes Ansehen genießt. Für viele Sozialdemokraten würde sich dann der Vorkämpfer für paritätische Mitbestimmung und soziale Sicherheit als Opfer des freidemokratischen Koalitionspartners darstellen.

Angesichts seiner geschrumpften Mehrheit muß Schmidt aber alles tun. um die SPD stillzuhalten. Feindselige Reaktionen aus der Partei gegen die FDP könnten, so die Befürchtung des Kanzlers, jenen Kräften im Liberalen-Lager zupaß kommen, die eine Wiederannäherung an die Union betreiben möchten.

Nachdem Katharina Focke letzten Freitag das Kabinetts-Karussell in Gang gesetzt hatte, liegt es jetzt vor allem an Arendt, ob der Kanzler gegen seinen Willen zu einem General-Revirement gezwungen wird.

Letzten Montag nahm sich SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, der schon einmal den Arbeitsminister von der Demission hatte abhalten können, des amtsmüden Genossen an. Vorläufiges Ergebnis der Seelenmassage: Bis Freitag letzter Woche konnte sich Arendt nicht entscheiden, ob er gehen oder bleiben will. Am Freitagnachmittag ließ er erklären, dem Kanzler gegenüber habe er gar keinen Rücktrittswunsch geäußert. In der Tat liegt das Rücktrittsgesuch immer noch in seiner Schublade. Kanzleramts-Staatssekretärin Marie Schlei indes ist skeptisch: »Arendt bleibt -- vorerst.«

Dafür beginnt nun ein weiterer Sozialdemokrat zu wackeln. Im Gespräch mit einem Freund dachte Verteidigungsminister Georg Leber laut darüber nach, ob nicht zehn Jahre im Kabinett genug seien. Schließlich habe er doch ein schönes Hobby, die Kunstmalerei.

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