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ERDÖL Müh und atü

aus DER SPIEGEL 41/1964

Wasserschutzpolizisten und westdeutsche Zöllner meldeten die neue Frontlage als erste: Mit Wasserbomben und Flak bestückte DDR-Wachboote vom Typ »Sperber« und »Tümmler« hatten die Gewässer der Drei-Meilen-Zone entlang der roten Ostseeküste verlassen und auf hoher See Posten bezogen.

Nach mehrwöchiger Aufklärung stand fest, daß die Fahrzeuge der sowjetzonalen »Grenzbrigade Küste« in regelmäßigem Turnus auf drei Positionen (siehe Graphik) in der Lübecker und Mecklenburger Bucht kreuzten. Auch die Aufgabe der vorgeschobenen Posten ermittelten die westlichen Späher: Ulbrichts »Tümmler« und »Sperber« sollen für die DDR unter dem Ostseegrund schlummernde Schätze hüten: Erdöl und Erdgas.

Ansprüche auf diese Schätze erhob die DDR zur selben Zeit, als die Bohrinsel »Mr. Louie« eines westdeutschen Öl - und Gassucher-Konsortiums (SPIEGEL 29/1964), gestützt auf die Genfer Völkerrechts-Proklamation über den Festlandsockel von 1958*, ihren Bohrrüssel erstmals auf die Energie-Reservoire vor der deutschen Nordseeküste ansetzte.

Als Staat nicht anerkannt und deshalb 1958 nicht nach Genf eingeladen, verkündete Ulbrichts Arbeiter-und-Bauern-Staat am 26. Mai 1964 seine eigene Festlandssockel-Konvention. Mit Hinweis auf den »allgemein anerkannten Völkerrechtsgrundsatz der souveränen Rechte der Staaten an den Naturschätzen des ihren Meeresküsten vorgelagerten Festlandssockels« verbriefte er sich selbst das alleinige Recht zur »Erforschung und Nutzung der Naturreichtümer« im Bereich von etwa 15 000 Quadratkilometer Ostseegrund. Über Wasser markieren seit August die »Sperber«- und »Tümmler«-Wachboote die Grenzen der annektierten Unterwasser -Regionen.

Auch anderweitig folgte Ulbricht dem Vorbild des Westens. Wie bundesdeutsche Ölsucher bei der Ausbeutung und Erkundung von Erdgas- und Erdölfeldern unter dem Meeresgrund die technischen Erfahrungen ihrer amerikanischen Freunde nutzen - »Mr. Louie« gehört der US-Firma Reading & Bates, Bohrleiter und Bohrmeister sind Amerikaner -, versicherten sich die Ölschürfer der DDR gleichfalls des Beistands ausländischer Freunde. Am 24. August 1964 unterzeichnete DDR-Botschafter Dölling in Moskau ein »Abkommen über die technische Hilfe der Sowjet-Union bei Öl- und Gasbohrungen auf dem Festlandssockel«.

Mit sowjetischer Unterstützung will Ulbricht in seiner Seeprovinz Rostock ein rotes Texas aus dem Boden stampfen. Der Staatsratsvorsitzende unlängst während der Ostseewoche: »Es wäre doch gelacht, wenn es uns nicht gelänge, das Küstengebiet in ein modernes Industrie-Gebiet zu verwandeln.«

Die Anfänge der Ölsuche in der Sowjetzone, die ihren Bedarf bisher nahezu ausschließlich aus Importen decken mußte (1963: 3,16 Millionen Tonnen), datieren aus dem Jahr 1958. Damals machten Geologen im Mecklenburger Küstenhinterland und auf Rügen ausgedehnte Lagerstätten aus.

Der seither im mecklenburgischen Grimmen residierende Volkseigene Betrieb Erdöl-Erdgas-Erkundung« wurde 1961 bei einer Versuchsbohrung in Reinkenhagen erstmals ölfündig. Heute dirigiert die Grimmener Zentrale rund 1500 Bohrwerker und etwa 20 Bohrtürme. Lieferant der Türme: außer der Sowjet-Union und Rumänien die bundeseigenen Salzgitter-Werke.

Unterseeische Lagerstätten wurden erstmals von einer Wiese bei Barth aus angezapft. Seit dem vorigen Monat frißt sich dort der Turbinenbohrer eines deutsch-sowjetischen Teams schräg in den Untergrund des Barther Boddens. Die erste Bohrinsel unter DDR-Flagge soll spätestens bis 1965 in der Ostsee vor Mecklenburg auf Position gehen. Aufgrund der geologischen Expertisen von 1958 hat die Ost-Berliner Volkskammer in dem 1959 verabschiedeten (ersten) Siebenjahrplan die Öl-Eigenförderung für 1965 bereits optimistisch auf eine Million Tonnen angesetzt. Eigenförderung 1958: 9000 Tonnen.

Viel mehr ist es noch immer nicht geworden. Manfred Petzold, 37, Direktor der Grimmener Gas- und Öl-Erkundungszentrale, behauptete zwar kürzlich vor westlichen Journalisten, seit 1960 sei die Produktion »auf 500 Prozent« gestiegen. Aber diese Vervielfältigung bedeutet wenig. Denn 1960 wurde im Grimmener Gebiet noch nichts gefördert, und auch jetzt kann, wie Petzold zugab, von einer »direkten Förderung« noch nicht die Rede sein.

Lediglich für den Partei-Barden Kuba (bürgerlich: Kurt Bartels) hat die ölige Zukunft seiner DDR schon begonnen. Er widmete den Grimmenern ein »Dramatisches Poem«; und reimte: »Zweimal fünf Sommer unnütze Müh, doch diese Erde gab uns, den Verlachten, Erdöl und Recht. mit vierhundert atü!«

* In dem von 40 Seeanrainer-Nationen unterzeichneten Abkommen wird die Erforschung und Ausbeutung unterseeischer Bodenschätze im Bereich des sogenannten Kontinentalschelfs außerhalb der Hoheitsgewässer geregelt. Die Konvention garantiert der Bundesrepublik Schürfrechte auf rund 33 000 Quadratkilometer Nordseegrund und etwa 6000 Quadratkilometer Ostseeboden.

Ost-Berliner Kreml-Botschafter Dölling

Hilfe für das rote Texas

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