LEHRSTELLEN Münteferings Volte
Die Tonlage war kühl, die Atmosphäre geschäftsmäßig. Quasi nebenbei unterbreitete Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering am vergangenen Montag im SPD-Präsidium eine kleine Sensation: Er werde der Wirtschaft einen Verzicht auf die Ausbildungsplatzumlage offerieren - wenn diese zusätzliche Lehrstellen garantiere.
Monatelang hatte Münteferings SPD freiwilligen Lösungen misstraut. Ein Gesetz war formuliert. Und jetzt ging der Vorsitzende mal eben darüber hinweg.
Die neue Sprachregelung: Der Gesetzentwurf soll im Vermittlungsausschuss »geparkt« werden, um ihn bei Bedarf doch noch hervorziehen zu können.
Ganz wohl fühlte sich der Chef-Genosse offenkundig nicht. »Das ist eine Gratwanderung«, gestand er. Doch Müntefering hatte zur Kenntnis nehmen müssen: Der Konfrontationskurs gegen Wirtschaft, Medien und manche Genossen ließ sich nicht durchhalten. Der Kanzler, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und einige SPD-Provinzfürsten waren stets gegen das Gesetz. Hinzu kommt: Die Umsetzung des Paragrafenwerks wäre kompliziert, intransparent und bürokratisch geworden.
Mehrfach hatte sich Müntefering zu Gesprächen mit Martin Wansleben und Ludwig Georg Braun vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) getroffen. Beide hatten ihm einen auf drei Jahre befristeten, dafür aber verbindlichen »Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs« in Aussicht gestellt. Müntefering sah die Gelegenheit, sich ohne großen Gesichtsverlust aus der Affäre zu ziehen.
Allerdings hatte der SPD-Chef versäumt, die geplante Wende rechtzeitig den Genossen zu vermitteln. »Ich war schon ein bisschen überrascht«, sagt Nicolette Kressl, Münteferings Stellvertreterin in der Fraktion und maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs. »Wir beugen uns damit den Arbeitgebern«, nölte der scheidende Juso-Chef Niels Annen.
Nur die Parteilinke Andrea Nahles stellte sich hinter den Vormann. »Man muss dem Verhandlungsführer einen Vorschuss geben.« Ihr Beistand war taktisch motiviert: Eine Demontage ihres Parteichefs kann sich die SPD nur wenige Monate nach dessen Wahl nicht erlauben.
Doch ganz ohne Autoritätseinbuße wird Müntefering nicht davonkommen. Denn die Lage bleibt prekär. Während die Anzahl der Lehrstellenbewerber im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent zugenommen hat, ist das Angebot an Ausbildungsstellen um fünf Prozent gesunken. Und schon 2003 fehlten 35 000 Plätze.
Die nun erzielte Einigung, die diese oder nächste Woche besiegelt werden soll, sieht vor, dass die Wirtschaft drei Jahre lang jeweils 30 000 »neue« Lehrstellen anbietet. »Neu« heißt dabei nicht zwangsläufig »zusätzlich« - ein bedeutender Unterschied.
Die Verbände sichern zwar zu, dass ihre Mitglieder Lehrstellen offerieren, die es bisher nicht gab. Doch sie wollen nicht garantieren, dass alle vorhandenen Plätze weiter bestehen. Sollte die zart wachsende Konjunktur wieder verkümmern und sollten viele Firmen Pleite gehen, könnten sogar weniger junge Menschen ausgebildet werden als bisher. Schon droht Sozialexpertin Nahles: »'Neue' Ausbildungsplätze - das reicht nicht.«
Immerhin: Mit 25 000 zusätzlichen Praktikantenstellen wollen die Unternehmen minder qualifizierte Lehrstellenanwärter fit für den Arbeitsmarkt machen. Die jungen Leute bekommen einen Unterhaltszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit und im Erfolgsfall ein Zertifikat der örtlichen Industrie- und Handelskammer.
Auch die Regierung will etwas tun. Im laufenden Jahr sollen Ministerien und Behörden 20 Prozent mehr ausbilden als bisher. Und um zu verhindern, dass junge Menschen, die mehrere Zusagen erhalten haben, aber nicht absagen, Ausbildungsplätze blockieren, soll die Nürnberger Arbeitsverwaltung systematisch nachforschen.
Schon jetzt steht fest, dass nicht alle Branchen mitziehen werden. So hat die Bauwirtschaft intern angekündigt, abseits bleiben zu wollen. Sie sei im Gesetz von der Ausbildungsplatzumlage ausgenommen gewesen, schrieb Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, an Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Deshalb fühle sie sich von Ersatzmaßnahmen nicht betroffen.
Am vergangenen Freitag sprachen DIHK-Präsident Braun und Müntefering noch einmal miteinander. Beide kamen zu dem Schluss: Das machen wir jetzt so. Allerdings, so die gegenseitige Einschränkung, müsse das Ergebnis noch den eigenen Truppen verkauft werden - und das könnte bei drei Millionen DIHK-Mitgliedsunternehmen und 250 SPD-Bundestagsabgeordneten der schwerste Teil des Kompromisses werden. HORAND KNAUP,
CHRISTIAN REIERMANN