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PRESSE Musik in Moll

aus DER SPIEGEL 18/1967

Sechs Tage hatte Karl-Heinz Köpcke, Chefsprecher der Fernseh-Tagesschau, das Hamburger TV-Studio im dunklen Anzug betreten. Und wie der TV-Sprecher -- der sich nur am Sonntag im hellen Blazer ins Studio getraut, dafür aber Trauertracht im Kofferraum seines Autos bereitgelegt hatte -- waren Deutschlands Presse, Funk und Fernsehen eine Woche lang auf alles gefaßt. Todeskampf und Tod Konrad Adenauers trieben die Journalisten in ein beispielloses Arbeitsprogramm.

Um 13.42 Uhr, 21 Minuten nach dem letzten Atemzug Konrad Adenauers am letzten Mittwoch, tickerten dann -- fast gleichzeitig -- die Deutsche Presse-Agentur (DPA) und die in Westdeutschland etablierten US-Agenturen AP und UPI die Todesnachricht über ihre Fernschreiber.

Sekunden später unterbrachen die Radiosender zwischen Elbe und Isar das Programm. Nach der Trauerbotschaft erklangen Bruckner und Brahms, Bach oder Beethoven. Auf den Bildschirmen verschwanden die Mainzelmännchen des Zweiten Programms, die Sehpferdchen des NDR-Werbefernsehens. Die Massenmedien schalteten auf Moll.

Zeitungsredaktionen ließen die Rotationsmaschinen stoppen, um bereits im Druck befindliche Blätter noch mit der Meldung zu versehen. Auflagen, denen die Botschaft aus Rhöndorf fehlte, wurden eingestampft. Journalisten rangen ums Wort -- je nach der Fasson wie die »Frankfurter Allgemeine«, die »Respekt und Verehrung« entbot, oder wie »Bild«, das fragte: »Was nun?«

Hamburgs »Zeit« hielt die Maschinen an, die seit dem Morgen die jüngste Ausgabe produzierten; 10 000 Exemplare wurden Makulatur, die Neuauflage (273 000) ging mit drei Altkanzler-Seiten in Druck. Der »Stern«, dessen Andruck eine halbe Stunde vor Eintreffen der Todesnachricht begonnen hatte, ließ eilends neue Tiefdruckzylinder ätzen; in rund 1,8 von 2,1 Millionen Heften berichtet die Illustrierte von Tod und Leben des Konrad Adenauer.

Mit 32 Bildseiten erschien anderntags die »Welt«. Wie bei dem Hamburger Blatt, hatten die Journalisten in den voraufgegangenen Tagen bedrückender Bulletins Nekrologe geschrieben und Bilderseiten montiert. Den Nachrichtenredakteur der »Hannoverschen Allgemeinen«, Dr. Dieter Sattler, plagten nur noch Ängste wie diese: »Gezittert haben wir, daß die Beatrix zur gleichen Zeit niederkommt.«

Der Höhepunkt journalistischer Nervosität und Verwirrung aber lag zu jener Zeit schon um fast eine Woche zurück.

Wie üblich sendete der Kölner WDR vorletzte Woche sein »Mittagsmagazin« zur gewohnten Stunde. Gegen 13.50 Uhr unterbrach Magazin-Moderator Peter Langer, 33, ein Live-Interview mit dem Rektor der Universität Konstanz: Man erwarte »eine traurige Nachricht« aus Rhöndorf. Langer war von außerhalb des Senderaums zu dieser Ansage bewogen worden: Ein Kollege hatte vor der Glasscheibe mit der Hand ein Kreuzzeichen geschlagen.

Bald darauf kursierten in Bonner CDU-Kreisen und im Bundespresseamt detaillierte, aber falsche Berichte, daß das »Mittagsmagazin« aufgrund einer AP-Meldung vorzeitig den Tod Adenauers gemeldet habe.

Auch im »Mittagsmagazin« selbst herrschte kurze Zeit Unklarheit. Nach einer Pause und Bach-Musik ließen die Funkleute schließlich das Largo von Händel durchspielen -- »im Grunde eine heitere Musik«, wie »Mittagsmagazin«-Chef Helimut Prinz sagt.

Die Redakteure des amerikanischen Soldatensenders AFN aber deuteten die getragenen Klänge anders. Noch bevor Magazin-Moderator Langer das jeden Irrtum ausschließende Arzt-Bulletin aus Rhondorf verlas, sagten die Amerikaner Adenauer in zwei Nachrichtensendungen tot -- mit der Einschränkung, es handele sich um eine unbestätigte Meldung. AFN-Newsdirector David Mynatt: »We heard them play Trauermusik.«

Mit Trauermusik, wie sie am Mittwoch letzter Woche dann aus begründetem Anlaß erklang, wollen die deutschen Sender -- neben symphonischen Klängen und gesetzten Unterhaltungsweisen -- ihr Musikprogramm bis zum Tage des Staatsbegräbnisses in dieser Woche bestreiten. Beat und Schlager wurden, wie Scherz und Satire aus dem Wortprogramm, gestrichen.

Die Reverenz von Rias (Berlin) ging so weit, daß eine Sendung abgesetzt wurde, weil -- so die ·Programmdirektion -- »darin von einem Sarg die Rede ist«.

»Mit kleinen Jungens und Journalisten«, hatte Konrad Adenauer einmal gesagt, »soll man vorsichtig sein: Die schmeißen immer noch 'nen Stein hinterher.« In der letzten Woche warfen sie nicht.

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