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LUDENDORFF Muß i denn

aus DER SPIEGEL 47/1966

Wilhelm II. kehrte siegesgewiß von

einer Frontvisite in sein Hauptquartier Spa zurück. Den am Bahnsteig angetretenen Gardesoldaten rief er zu: »Die Schlacht ist gewonnen, die Engländer sind völlig geschlagen worden.«

Das war am Abend des 23. März 1918. In kleinem Kreis ließ Seine Majestät zum Diner Champagner auffahren.

Die Schlacht, die der Kaiser schon gewonnen glaubte, hatte zwei Tage zuvor begonnen. Im Morgengrauen des 21. März 1918, um 4.40 Uhr, eröffneten 4010 Feldgeschütze, 2598 schwere Kanonen und Haubitzen das Feuer auf die englischen Stellungen zwischen Armentieres und La Fère. Gas- und Sprenggranaten prasselten auf die Tommys nieder.

Ein britischer Offizier schilderte das Inferno: »Ein Getöse, das von einer Intensität war, als tanzten hundert Teufel in meinem Hirn.«

Fünf Stunden später traten 47 Divisionen der 2., 17. und 18. Armee mit rund 800 000 Mann, die mit dem Gesang »Muß i denn« in die Bereitstellungsräume gerückt waren, zum Sturmangriff an. Nebel hüllte die ausgemergelten Landser ein.

Diese Großoffensive, genannt die »Kaiserschlacht«, sollte eine Wende in dem für Deutschland schon nahezu verlorenen Krieg herbeiführen. Es fiel auch eine Entscheidung, aber sie fiel gegen Deutschland.

Den Verlauf der Offensive - Deckname: Michael - hat der britische Historiker Correlli Barnett in einer präzisen Studie über die wichtigsten Phasen des Ersten Weltkrieges analysiert; die jetzt in der Bundesrepublik erschienen ist**.

Barnett resümiert: »Deutschlands letzte Kraft war . . . im Westen investiert worden - in die Kontraktion eines Muskels, der einen großen Schlag führen konnte und mehr nicht.« Der Autor beließ es nicht bei der Rekonstruktion der militärischen Operationen, sondern zeichnete zugleich das Psychogramm des Verlierers: des Ersten Generalquartiermeisters Erich Ludendorff (siehe Auszug Seite 68).

Ludendorff, nach Generalfeldmarschall von Hindenburg zweiter Mann der Obersten Heeresleitung, führte den letzten Schlag. Doch das Kriegsglück hatte die beiden Helden von Tannenberg verlassen. Der Stratege Ludendorff traf falsche Entscheidungen, und seine Nerven waren der Belastung nicht mehr gewachsen.

Er suchte Hoffnung in pietistischen Orakeln. Am Tage vor der Kaiserschlacht sagte er beim Mittagessen zu Oberst von Tieschowitz: »Wissen Sie, wie die morgige Losung der Brüdergemeinde lautet? 'Das ist der Tag des auserwählten Volkes.' Können wir nun der morgen beginnenden Offensive nicht mit Vertrauen entgegensehen?«

Indessen stand Ludendorffs eigene militärische Lagebeurteilung im Widerspruch zu seinem frommen Optimismus. Er selbst hatte im Generalstab mehrmals auf den rapiden Kräfteschwund der mit Deutschland verbündeten Österreicher, Türken und Bulgaren verwiesen. Auch schätzte er die verheerenden Auswirkungen der britischen Hungerblockade in der Heimat richtig ein. Demgegenüber wurde die gegnerische Allianz ständig stärker. Amerikaner waren auf dem Kontinent gelandet, erste Einheiten waren schon auf dem Marsch zur Front.

Zwar kalkulierte Ludendorff theoretisch richtig: »Unsere allgemeine Lage erfordert, daß wir zum frühest möglichen Zeitpunkt losschlagen . . . ehe die Amerikaner starke Kräfte in die Waagschale werfen.« Aber der deutschen Heeresleitung standen nicht mehr genügend Truppenkontingente für den von Ludendorff geplanten Frontalangriff gegen die Engländer zur Verfügung.

Trotzdem suchte der Preuße Deutschlands Heil in der überstürzten Massenflucht nach vorn. Er gab die Defensiv -Strategie auf, die sich jahrelang bewährt hatte, und rüstete zur Offensive.

Nun begann, wie der Brite Barnett urteilt, »ein Hasardspiel unter akutem Zeitdruck«, und Ludendorffs Befehle »reflektieren... brennende geistige Ruhelosigkeit«.

Sachverständig weist der Kriegshistoriker dem Generalquartiermeister eine Reihe entscheidender Fehler nach.

Ludendorff befahl den Durchbruch in der Mitte der britischen Front auf die stark verteidigten Städte Arras und Albert zu, statt an den Flügeln anzugreifen. Fachkundige Untergebene hatten ihn davor gewarnt, und sogar er selber gab ein Jahr später immerhin zu: »Der mittlere Angriff ging scheinbar sehr ins Weite.«

Die Angriffs-Divisionen waren in der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern konzentriert. Ludendorff schwächte ihre ohnehin unzureichende Stoßkraft, indem er die 18. Armee ausgliederte und der benachbarten Heeresgruppe Deutscher Kronprinz unterstellte.

Und dieser 18. Armee, die bei der Michael-Offensive lediglich Unterstützungsangriffe ausführen und den Flankenschutz übernehmen sollte, teilte Ludendorff sieben Divisionen mehr zu als der 17. Armee, die in der Mitte die Hauptlast zu tragen hatte. Ihr Auftrag war, den Frontbogen bei Cambrai abzuschneiden (siehe Karte).

Die 17. Armee stand etwa gleichstarken britischen Streitkräften gegenüber, während die 18. Armee auf einen weit schwächeren Gegner stieß.

Ludendorff beging auch Fehler bei der Einteilung leitender Offiziere:

- Der 17. Armee gab Ludendorff doppelt soviel Feuerkraft wie der 18. Armee; aber der Artillerie-Spezialist Oberst Bruchmüller blieb bei der 18. Armee.

- An der Spitze der 17. Armee ließ Ludendorff den General von Below, obwohl Chef der 18. Armee der General von Hutier war - jener General, dessen Durchbruch bei Riga 1917 das Modell für die Michael-Offensive abgab.

Der erste Tag der Offensive endete mit einem deutschen Überraschungs-Erfolg. Die Landser durchbrachen überall die vordersten Briten-Linien und erzielten zum Teil erhebliche Geländegewinne. Die deutsche Kanonade zerschlug die englischen Telephonverbindungen, so daß das Feuer der gegnerischen Artillerie kaum noch geleitet werden konnte.

In der offiziellen Britischen Kriegsgeschichte hieß es später: »Ein verhängnisvoller Bestandteil des deutschen Angriffserfolges... war... der vollständige Verlust von mehr als einem Viertel aller Bataillone der angegriffenen Divisionen.«

Allerdings: Der Anfangserfolg war an der falschen Stelle erzielt worden. Die 17. Armee, die den Durchbruch erkämpfen sollte, blieb gegen Abend mit hohen Verlusten stecken, während allein Hutlers 18. Armee ihre Angriffsziele nehmen konnte. Dazu Ludendorff ein Jahr nach der Schlacht: »Die Lage bei der 17. Armee hatte zur Folge, daß es nicht gelang, den Feind im Cambrai-Bogen abzuschnüren ... So konnte die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht . . . nicht derart Gelände gewinnen, wie es im Grundgedanken der Schlacht lag.«

Am 23. März 1918, als Wilhelm II. beim Champagner-Diner in seinem Hauptquartier zu Spa ein Kommunique verlesen ließ, »das von unserem großen Sieg unter der persönlichen Führung Seiner Majestät des Kaisers berichtete«, verpaßte Generalleutnant Ludendorff in seinem vorgeschobenen Hauptquartier in Avesnes die letzte Chance, die Michael-Offensive doch noch zu gewinnen.

Ein »Vorstoß in Richtung Amiens beiderseits der Somme zur Trennung der Engländer und Franzosen«, so Kriegshistoriker Barnett, »hätte das alleinige Ziel sein müssen« - eine Strategie, die

22 Jahre später Hitlers Blitzsieg über Frankreich besiegelte. Doch Ludendorff setzte statt dessen drei Angriffsziele fest und überforderte damit alle Verbände.

Drei Tage später kam die 17. Armee endgültig zum Stehen, und Anfang April saß auch die 18. Armee fest. Die Schlacht, die nach dem Willen der Obersten Heeresleitung den Krieg entscheiden sollte, war verloren. Und mit dem Zerfall der feldgrauen Macht verstärkte sich die psychische Krise des Generalquartiermeisters Ludendorff.

Vier Tage nach dem Beginn der alliierten Gegenoffensive, am 22. Juli 1918, notierte der Generalstabsoffizier Mertz von der Quirnheim über den Zustand seines Vorgesetzten in sein Tagebuch: »Exzellenz ganz gebrochen.«

Und Ludendorff selbst: »Der gute Gott wird uns hoffentlich nicht verlassen.«

** Correlli Barnett: »Anatomie eines Krieges«. Bechtle Verlag, München und Eßlingen; 444 Seiten; 28,80 Mark.

Deutsche Offensive März 1918: »Der gute Gott . . .

... wird uns hoffentlich nicht verlassen": Wilhelm II. (vorn), Stratege Ludendorff (2. v. l.)*

Alliiertes Flugblatt 1918

Schlacht am Tag des auserwählten Volkes

* Mit Generalfeldmarschall von Hindenburg (l.) und Kronprinz Wilhelm (r.).

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