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Mut des Löwen

aus DER SPIEGEL 47/1965

Seine Stimme war rauh, vor Müdigkeit, Erregung und einer verschleppten Grippe. Über die Mikrophone von Radio Salisbury verkündete Rhodesiens Premier Ian Smith: »Das Ende der Straße ist erreicht.«

Auch die Stimme des Briten-Premiers Harold Wilson war rauh, von schlaflosen Nächten und Sorgen, als er in London auf die, Smith-Erklärung antwortete: Wer wie Smith handle, sei »entweder nicht ganz richtig im Kopf oder von Todessehnsucht befallen«.

Wilson sprach von Smith als dem »früheren Premier« Rhodesiens. Denn mit seiner Unabhängigkeits-Deklaration ohne den Segen Londons war lan Smith am Donnerstag letzter Woche um 13.15 Uhr (Ortszeit) zum Hochverräter an der britischen Krone geworden - obwohl er seine Ansprache mit »God save the Queen« schloß.

Erstmals seit dem Abfall der amerikanischen Neuengland-Staaten im Jahre 1776 hat sich damit eine britische Kolonie eigenmächtig vom Mutterland gelöst. Smith übernahm wörtlich zwei Artikel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung in seine Rede, um die Parallele zu unterstreichen - aber sie trifft in einem entscheidenden Punkt nicht zu.

Die Deklaration der neuenglischen Rebellen des Jahres 1776 begann mit dem Bekenntnis, daß »alle Menschen gleich geschaffen« seien. Die rhodesischen-Rassen-Rebellen aber wollen die Souveränität ihres Staates auf die Ungleichheit seiner Bewohner gründen: 220 000 weiße Siedler, die in sieben Jahrzehnten in Rhodesien eine blühende Wirtschaft aufbauten, wollen weiterhin über vier Millionen schwarze und 20 000 asiatische Bürger des Landes herrschen.

Von Schwarzen regiert, würde Rhodesien - bald einem Kongo-Chaos anheimfallen, argumentieren die weißen Tabakpflanzer und Bergwerksherren. Deshalb verweigerten sie der Neger -Mehrheit jede Mitbestimmung.

»Schwarze sind für den ganzen Mist in der Welt verantwortlich«, sagte die Siedlerin Betty Wilde in Salisbury kurz vor der Unabhängigkeitserklärung. »Immer sind es Schwarze, Schwarze, Schwarze. Ich würde sie alle erschießen lassen.

Britenpremier Wilson versuchte, das Unheil aufzuhalten. Er flog nach Salisbury, erklärte sich zu einem neuen Treffen auf Malta bereit, empfing den rhodesischen Oberrichter Sir Hugh Beadle, der in letzter Minute vermitteln wollte (Wilson: »Sie haben den Mut eines Löwen"), und telephonierte noch am Donnerstag um 6.30 Uhr morgens mit Smith, um ihn von dem »Staatsstreich« abzuhalten. Es war alles vergeblich.

Sofort nach dem Bruch verhängte London die schärfsten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen seit Kriegsende: Die rhodesische Regierung wurde für abgesetzt erklärt, der britische Hochkommissar in Salisbury abberufen, der rhodesische Hochkommissar in London ausgewiesen. Die Bank von England sperrte die rhodesischen Konten, die abtrünnige Kolonie wurde aus der Sterling-Zone ausgestoßen, der Handelsverkehr gestoppt.

Rhodesische Regimenter marschierten an der Grenze Sambias - des einzigen von Schwarzen beherrschten Nachbarstaates - auf; die Sambia-Regierung verkündete den Ausnahmezustand. In New York wurde am Freitag der Weltsicherheitsrat wegen Rhodesien einberufen.

In Salisbury feierten lan Smith und seine Kabinettskollegen die Unabhängigkeit mit Champagner.

Rhodesien-Premier Smith

Von Todessehnsucht befallen?

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