FRANKREICH Mut zur Lücke
Kriegsverbrecher fühlen sich in der Bundesrepublik besonders wohl, die »braune Pest« ist allerorts auszumachen. Baader-Meinhof-Terroristen sind »weniger die Kinder Hitlers« als »die von Schleyer und Schmidt«. In Deutschland existiert ein »Polizeistaatklima« oder auch eine »Pogromatmosphäre«.
Eben diese Deutschen befehlen aber wieder in Europa, sie sind drauf und dran zu erreichen, was ihnen im Zweiten Weltkrieg verwehrt wurde.
Die Redakteure, die solches schreiben, werden nicht vom Chefredakteur der Zeitung ausgewählt. »Wer bei uns schreibt«, so der Chrefredakteur René Andrieu, »entscheidet die Partei.«
Denn »I'Humanité«, das Zentralorgan der KPF, »ist die permanente Schule aller Kommunisten«, schrieb Paul Laurent, Mitglied des Politbüros, in seinem soeben veröffentlichten Buch über »Die KPF, wie sie ist«.
200 000 Exemplare verkauft die »Humanité« jeden Tag, viel für ein KP-Blatt im Westen, aber wenig im Ver-
* Auf dem Fest der Humanité.
gleich zu den 632 000 Mitgliedern der Partei oder gar den fast sechs Millionen Franzosen, die bei den Wahlen im März für die KP gestimmt haben,
Das soll nun anders werden: Ab Dienstag nächster Woche will die »Humanité«, bislang schon adrett gemacht und im Vergleich etwa zum »Neuen Deutschland« kurzweilig zu lesen, noch moderner werden: neues Titelblatt, Umgestaltung der Seiten, aktuellere Berichterstattung, schnellerer Druck im Offset-Verfahren. Startauflage: 500 000.
»Unser Problem ist es«, weiß ZK-Mitglied Andrieu, in 20 Jahren Chefredakteurs-Zeit Verfasser von 3000 Leitartikeln und mit einem Facharbeitergehalt und Dienstwagen entlohnt, »daß wir für den Metallarbeiter bei Renault und den Professor an der Sorbonne, für die Provinz und für Paris schreiben müssen.«
Auf den ersten Seiten druckt die »Humanité« so inhaltsschwere und realitätsferne Parolen wie »Keine Partei ist demokratischer als die KPF« oder »Ohne uns gibt es keine Zukunft«. Innen stehen unter der Rubrik »Luttes« (Arbeitskämpfe) Fabrikbesetzungen und Fälle von »bewaffneten Wachen gegen Gewerkschafter«.
Beinahe jede Nazi-Versammlung in einem bundesdeutschen Bierkeller gerät in die Schlagzeile, jedes Indiz für die angebliche heimliche Verschwörung der französischen Sozialisten mit Helmut Schmidt, dem Sachverwalter des amerikanischen Imperialismus in Europa, ist einen Leitartikel wert.
Keine Zeitung wird in der Pariser Presse häufiger zitiert als die »Humanité. Denn aus dem, was sie schreibt oder nicht schreibt, versuchen Politiker und Politologen zu erfahren, was die immer noch undurchsichtige KP im Schilde führt -- etwa gegen den EG-Beitritt der Spanier und Griechen, gegen die Wirtschaftspolitik des Premiers Barre oder gegen die Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Terroristen-Fahndern. Eine winzige Abweichung vom üblichen Sprachgebrauch kann brisante innere Konflikte oder eine Änderung des Politkurses andeuten.
1904 von dem Sozialisten Jean Jaurès gegründet, mußte die »Humanité« in ihrer Geschichte »alle Fehler durchleben, die unsere Partei durchstand«. gibt ein leitender Redakteur zu -- und das ist gewiß zurückhaltend ausgedruckt.
Im August 1939 beispielsweise meldete das Blatt in Schlagzeilen: »Die Gespräche in Moskau zwischen der UdSSR und Deutschland dienen der Sache des Friedens in Europa.« Noch bevor Frankreich Deutschland den Krieg erklärte, wurde die »Humanité« wegen ihres Eintretens für den Hitler-Stalin-Pakt von der Regierung verboten.
1940 mähten sich Kommunisten bei den deutschen Paris-Besatzern um eine Druckgenehmigung für das Parteiorgan. Vehement bestritt die KP zwar in den Nachkriegsjahren jedweden Kontakt mit den Nazis, doch 1970 bestätigte Politbüromitglied Jacques Duclos in seinen Memoiren: »Die Partciführung hat die Demarche mißbilligt, die Verantwortlichen haben ihre Fehler eingesehen.«
Für ihren Widerstand gegen die Deutschen haben »I"Humanité«-Redakteure laut Andrieu dann doch noch »mit ihrem Blut bezahlt«, nämlich nach dem deutschen Überfall auf die Sowjet-Union. Redakteure wurden von den Nazis deportiert und hingerichtet. Die »Humanité« existierte im Untergrund weiter.
Sie blieb in der Nachkriegszeit stramm stalinistisch. Während des Ungarn-Aufstandes 1956 versuchten Rechtsextremisten, die Redaktion zu stürmen, Redakteure und Setzer verbarrikadierten sich.
Aber auch für Kommunisten waren die gehorsamen Wendungen, die das Blatt entsprechend der Moskauer Politik vollzog, oft schwer begreifbar. Der BaLI der Berliner Mauer wurde gebilligt, der Einmarsch in Prag -- maßvoll
verurteilt. Die Sowjet-Union blieb über alle Zeitläufe hinweg das Vorbild für echten Sozialismus, wenn auch neuerdings angebliche Unvollkommenheiten beklagt werden.
Virtuos blieb die »Humanité« auch in ihrem Mut zur Lücke. Aus TV-Debatten des Parteichefs Georges Marchais wurden beim Druck Schwachstellen souverän weggelassen, etwa eine umbefriedigende Antwort auf eine Frage nach der Berliner Mauer,
Zwar sprach Georges Marchais nach der Niederlage der Linken bei den Parlamentswahlen im März davon, daß »in uler gesamten Partei eine beispiellose Debatte« stattfinde -- doch in seinem Zentralorgan kamen die Wortführer der Kritiker, der Philosoph Althusser und der Historiker Elleinstein, nicht zu Wort, »weil die Statuten der Partei das nicht zulassen« (Marchais).
In ihrem Bericht über die Hessen-Wahl meldete die »Humanité« zwar am Dienstag voriger Woche die Stimmanteile aller Parteien, selbst der Umweltschützer. Nur der Wahlmißerfolg der DKP-Genossen, die eben 0,4 Prozent erreichten, blieb unerwähnt.
Was Wunder, daß Chefredakteur Andrieu. der die Bundesrepublik nie besucht und dort auch keinen Korrespondenten akkreditiert hat, von den Deutschen enttäuscht ist. Er lernte auf der Schule acht Jahre lang Deutsch, schätzt die Werke Erich Maria Remarques besonders und hatte darauf gehofft, »daß wir es mit einem pazifistischen Deutschland zu tun bekommen« Nur: »Leider war das ein Irrtum.«
»Ein wenig Hoffnung« auf ein friedliches Bonn hat Andrieu in seinem letzten Sommerurlaub im jugoslawischen Dubrovnik aber doch noch gewonnen. Er traf zufällig mit zwei sozialdemokratischen Abgeordneten zusammen: Die waren »so unpünktlich wie Franzosen und liebten den Wein noch mehr als wir«.