MINISTER Nach Art des Hauses
Katharina Focke, einzige Frau im Kabinett des Kanzlers Helmut Schmidt, wähnt alle hinter sich. »Meine Lobby«, so verkündet die Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit stolz, »ist das ganze Volk.« Und selbstsicher weiß sie: »Der Stellenwert für meine Aufgaben und Probleme ist gewachsen.«
Doch in Bonn gilt Katharina Focke längst als Enttäuschung der Saison. Zunehmend ungeduldig drängt etwa der Kanzler auf ein Konzept für alte Bürger, mit dem er 1976 die über Sechzigjährigen, die inzwischen 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, im Wahlkampf umwerben kann. Ein Kabinettsmitglied spottet: »Aus deren Laden kommt doch nichts.« Im Entwicklungshilfeministerium gibt es seit kurzem eine Chef-Anweisung, Kabinetts-Vorlagen so zu formulieren, »daß auch eine Frau Focke sie versteht«.
Die Kritik an der Karrierefrau, die 1964 in die SPD eintrat, 1969 in den Bundestag einzog und sofort zur Staatssekretärin im Kanzleramt avancierte, regt sich nicht nur im Kabinett. Auch Parlament und Partei, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften klagen über das Focke-Ressort.
Der zuständige Parlamentsausschuß beschwert sich über mangelnde Präsenz der Ministerin bei wichtigen Beratungen. Unmut löst im Bundestag auch die schlampige Vorbereitung von Gesetzentwürfen aus. Das Geflügelfleischhygiene-Gesetz beispielsweise wurde bei der Behandlung im Parlament an 60 Stellen geändert -- bei einem vergleichbaren Gesetz aus dem Ernährungsministerium begnügten sich die Abgeordneten mit zwei Korrekturen.
Mit sozialdemokratischen Gesundheitspolitikern überwarf sich Katharina Focke, als sie gemeinsam mit ihrem Staatssekretär Hans-Georg Wolters bei der Arbeit für das SPD-Langzeitprogramm die gesundheitspolitische Parteikommission zu überfahren versuchte. Ohne die Genossen, die für mehr Selbstverwaltung der Krankenversicherungen votiert hatten, zu unterrichten, brachte sie im Parteivorstand einen eigenen Entwurf ein, in dem sie den Primat des Staates forderte.
Mit den Gewerkschaften legte sie sich in einer Bagatellfrage an, als sie gegen den ihr unterstellten Chef des Bundesgesundheitsamtes Erwin Jahn, der dem DGB seit Jahren als Berater verbunden ist, ein Disziplinarverfahren einleitete. Jahn wird eine Reihe von Verstößen gegen Dienstvorschriften vorgeworfen; so etwa war er auf Privatgelände rückwärts in eine Einbahnstraße gefahren -- im Dienstwagen. Zweimal bereits wurde DGB-Vorstands-Sekretär Alfred Schmidt bei der Ministerin in Sachen Jahn vergeblich vorstellig. Im Gegenzug fanden sich die Gewerkschafter bisher nicht zu einem Spitzengespräch über gesundheitspolitische Grundsatzfragen bereit.
Auch Jugend- und Wohlfahrtsvertreter fühlen sich von der Ministerin schlecht behandelt. Teilnehmer einer Expertenberatung über das Jugendhilfegesetz murrten, weil die Ministerin statt zu diskutieren abwechselnd hektisch in den Akten blätterte oder aus dem Fenster starrte. Seither laden sie zu ihren Veranstaltungen lieber den umgänglichen Familienexperten der SPD-Fraktion Rudolf Hauck ein.
Selbst jene Parteifreunde, die ihre Genossin 1972 in den Damensitz des Kabinetts gehoben haben, glauben heute, daß Katharina Focke die falsche Frau am falschen Ort sei. Den Ort freilich hat sich die ehrgeizige Philologin nicht selbst ausgesucht. Das Gesundheitsministerium, Abstellplatz der obligaten Kabinettsfrau schon unter CDU-Regierungen, zeichnet sich seit jeher durch Mangel an Kompetenz, Konturen und Kasse aus. Durch Zellteilung anderer Behörden entstanden und immer wieder umorganisiert, war dieses Ressort stets in Gefahr, ein Bauchladen für Sonstiges zu sein.
Die Beamten des Ministeriums, die in Bonn ohnehin nicht für administrative Hochleistungen bekannt waren, gerieten seit Bestehen der sozialliberalen Regierung zudem in den Verdacht, aus parteipolitischen Gründen den neuen Hausdamen hinhaltenden Widerstand zu leisten. Selbst in der CDU-freundlichen Kommune Bonn, wo die Christdemokraten bei den jüngsten Kommunalwahlen 57 Prozent der Stimmen erringen konnten, gilt das Haus in der Kennedy-Allee als besonders schwarze Hochburg. Und heute geschieht es gar, daß Beamte des sozialdemokratisch geführten Ministeriums der Opposition im Parlament Formulierungshilfe für Anfragen leisten, die sie dann selbst beantworten.
Doch so schlecht es dort schon immer lief -- die Grußfloskel »Wie geht"s? -- danke, nach Art des Hauses« gibt es erst seit Beginn der Ara Focke.
Es waren vor allem ihr fahriger Führungsstil und ihr schnippischer Umgangston, die das Klima nach innen und die Effektivität nach außen weiter verschlechterten. Obwohl sie bis zu 16 Stunden am Tag arbeitet und sich bis zum letzten Tüpfelchen in Details vergraben kann, verhindern ihr Mangel an Übersicht. politischem Fingerspitzengefühl und Durchsetzungskraft, daß dem Ministerium entsprechend der wachsenden Bedeutung sozialer Fragen auch mehr Gewicht zuwächst. Als hinderlich erweist sich zudem, daß die politische Senkrechtstarterin nie engeren Kontakt mit dem Fußvolk der Partei hatte und daher an der SPD-Basis über keinerlei Lobby verfügt.
Zwar lobte die »Süddeutsche Zeitung« Frau Focke, die auf der Kölner Hohen Straße einmal im Nerz für die Caritas sammelte, als »das Vorbild einer Dame, kultiviert, liebenswürdig, wohlerzogen« -- doch ihr Ministeramt erfordert eher jene robuste Hemdsärmeligkeit, die ihr fremd ist.
Die Gesetze, für die Katharina Focke eigentlich zuständig wäre, machen denn auch die anderen: Die Ausbildungshilfen für Jugendliche verwaltet der Bildungsminister, die Staatsangehörigkeit von Kindern wird vom Innenminister geregelt, um die Änderung des Abtreibungsparagraphen 218 kümmert sich allein der Justizminister, die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen steuert der Arbeitsminister.
Selbst mit den Restposten. die ihrem Haus verblieben sind, hatte die Ministerin bislang wenig Fortüne. Das Arzneimittelrecht trägt so deutlich die Handschrift der pharmazeutischen Industrie, daß deren Hauptgeschäftsführer Hans-Otto Scholl zufrieden »die beispielhafte Zusammenarbeit« zwischen der Pharma-Lobby und dem Focke-Haus loben konnte. Das mit 800 Millionen Mark jährlich dotierte Jugendhilfegesetz fiel vorerst dem Sparstift Hans Apels zum Opfer.
Mit dem Finanzminister mochte Frau Focke -- so behauptet sie -- nicht rechten. Als ehemalige Staatssekretärin im Kanzleramt habe sie »immer auch das Ganze im Sinn«. und Kürzungen seien nun einmal dringend nötig gewesen. Tatsächlich aber trieben sie die Abstriche an den Rand des Rücktritts. Sie fragte den Kanzler: »Kann ich denn überhaupt noch weitermachen?«
Nach vier Wochen Kuraufenthalt machte sie weiter, und gegen alle Widrigkeiten im Kabinett wie in der Partei. im eigenen Hause wie mit Verbänden und Lobbyisten wehrt sie sich mit ihrem ausgeprägten Selbstbewußtsein: »Es gibt ein paar Dinge für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die ohne Katharina Focke nicht passiert wären.«