MINISTER Nach dem Sündenfall
Der Alltag hatte den Kanzler eingeholt. Da habe er nun auf dem EG-Gipfel in Fontainebleau Beachtliches erreicht, ärgerte sich Helmut Kohl am vergangenen Mittwoch in seiner Fraktion, und nun hätten seine Minister nichts Besseres zu tun, als miteinander zu streiten. Kohl: »Das muß nicht sein.«
Bundesarbeitsminister Norbert Blüm findet, es muß doch sein. Anfang letzter Woche legte sich Blüm, erst im Fraktionsvorstand der CDU/CSU, dann vor der gesamten Fraktion, mit Finanzminister Gerhard Stoltenberg an. Der Arbeitsminister fürchtet, wieder einmal von dem Sparminister untergebuttert zu werden. Blüm im Fraktionsvorstand empört: »Ich bin doch nicht der Musterknabe der Koalition.«
Der Arbeitsminister hat gute Gründe für seine Erregung. In diesem Jahr ist die Reform der Hinterbliebenenversorgung fällig. Ein großartiges Werk, wie es dereinst von der sozialliberalen Koalition, aber auch vom rechtsliberalen Bündnis geplant war, hat Blüm sich längst abgeschminkt.
Weil in den Kassen der Rentenversicherung kein Geld ist, kann Blüm die finanzielle Situation der Witwen nicht mit Hilfe einer Rentenreform bessern. Seine Gesetzesänderung, vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben, soll kostenneutral sein. Entgegen der ursprünglichen Zielsetzung bringt sie einigen Männern Vorteile, einigen erwerbstätigen Frauen dagegen Nachteile. Blüms besonderer Zielgruppe aber, den nichtberufstätigen Müttern, bringt die Neuerung gar nichts. Sie müssen als Witwen nach wie vor mit 60 Prozent der Rente ihres verstorbenen Partners auskommen. Häufig ist das so wenig, daß diese Witwen auf die Sozialhilfe angewiesen sind.
Um die Mütter nicht leer ausgehen zu lassen, sann der Minister auf eine Möglichkeit, die neuerdings wieder ergiebiger fließenden Steuermittel des Kollegen Stoltenberg für seine Zwecke zu nutzen.
In seiner Not besorgte sich Blüm zunächst Verbündete. Am vorletzten Wochenende auf einer Klausurtagung der Sozialpolitiker der Koalition holte er sich Rückendeckung für einen Plan, den Helmut Kohl schon in der Regierungserklärung publik gemacht hatte, wenn auch mit einem Finanzvorbehalt. Vom 1. Januar 1986 an soll allen Müttern, die in Rente gehen, ein Jahr pro Kind rentensteigernd angerechnet werden. Kosten: im ersten Jahr 150 Millionen Mark, nach etwa zehn Jahren 2,3 Milliarden pro Jahr.
Bezahlen soll diese längst überfällige Anerkennung der Kindererziehung Finanzminister Stoltenberg. Familienpolitik sei nicht Sache der Versichertengemeinschaft, argumentiert Blüm, sondern der gesamten Gesellschaft. Die CDU-Sozialexpertin Roswitha Verhülsdonk pflichtet ihm bei: »Das ist wie bei den Wehrpflichtigen.«
Im Fraktionsvorstand warb Blüm am Montag für sein Mütterrentenwerk und lief bei Stoltenberg zunächst voll auf. Der Finanzminister war gar nicht in der Stimmung, neue Forderungen anzuhören.
Stoltenberg hatte den Kollegen gerade mit Stolz seine Steuerreform vorgetragen. Dieses Reformwerk enthält beachtliche Begünstigungen für kinderreiche Familien und die Ausweitung des Mutterschaftsgeldes.
Für seine Großzügigkeit hatte der Finanzminister eigentlich Lob und Dankbarkeit seiner Parteifreunde erwartet - da kam Blüm schon mit einem neuen Ansinnen.
Entsprechend schroff fiel Stoltenbergs Reaktion aus. Wenn eine sinnvolle Reform kostenneutral nicht zu machen sei, blaffte er den Arbeitsminister an, dann solle er es eben ganz lassen. Das habe er Blüm bei internen Verhandlungen schon zweimal gesagt, und dabei bleibe es.
Doch dabei blieb es nicht. Nun fuhr Blüm auf und präsentierte Stoltenberg seine Rechnung. Als Arbeitsminister habe er in seinem Ressort, mit 56 Milliarden
Mark in vier Jahren, die Hauptlast der Haushaltssanierung zu tragen. Da gehe es nicht an, daß ihm nun notwendige Reformen zerschlagen würden, weil er sich kollegial verhalte und seine Forderungen intern diskutiere, während andere die Öffentlichkeit mobilisierten und Erfolge hätten. Blüm: »Ich spare, und Sie verteilen die Milliarden.«
Die Anspielung saß. Seit Stoltenberg einer fragwürdigen Milliardensubvention, die vor allem Großlandwirten zugute kommt, zugestimmt hat, ist sein Ruf als strenger Sparkommissar hin.
Selbst die Beamten in Stoltenbergs eigener Haushaltsabteilung, die mit den Kollegen aus anderen Ministerien im Laufe der Etat-Beratungen um kleinste Beträge feilschen, fühlen sich durch ihren spendablen Chef demotiviert und um ihre Glaubwürdigkeit gebracht.
Wie die Stimmung im Arbeitsministerium ist, ergibt sich aus einem Papier, mit dem die Beamten ihren Chef für die Auseinandersetzung mit Stoltenberg vorbereitet hatten. In diesem Papier informieren die Experten Blüm, daß die Bauernsubventionen nicht nur rund 20 Milliarden Mark kosten. In internen Schätzungen sei das Finanzministerium bereits bei 34,8 Milliarden Mark angelangt.
Dieser Subventionsbeschluß, heißt es in dem Papier, verstoße »eklatant gegen die erklärte Absicht, Subventionen abzubauen«. Es sei nicht einmal der Versuch einer Kürzung gemacht worden, wie der CDU-Parteitag noch im Mai 1984 verlangt habe.
Verbittert rechneten die Sozialbeamten dem Minister vor, daß allein die Anhebung der Vorsteuerpauschale für Landwirte um zusätzliche zwei Prozent so viel kostet, wie der Arbeitsminister im Rahmen der Sparoperation '84 bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gestrichen hat. Blüms Experten: »Auf den politischen Punkt gebracht: Arbeitslose bezahlen die zusätzliche Milliarde für die Landwirtschaft.«
Unbeeindruckt von Stoltenbergs Einspruch im Fraktionsvorstand, machte Blüm den Konflikt am Tag darauf in der Fraktion öffentlich. In einer zehnminütigen Rede begründete er seinen Standpunkt und erhielt viel Beifall. Mit hochrotem Kopf beharrte Stoltenberg auf seinem Nein: »Ich kann dem nicht zustimmen.«
Der Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger beendete schließlich den Streit vorläufig. Er mahnte die Minister, die Fraktion könne nicht die Schularbeiten des Kabinetts und der Koalitionsspitzen machen. Dort müsse diese wichtige Sache entschieden werden, und zwar im Beisein des Kanzlers.
Damit liegt das Problem nun auf Kohls Schreibtisch. Blüm vor der Fraktion: »Ich werde dafür streiten, das ist für mich unverzichtbar.«