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STOPH-BRIEF Nach der Krise

aus DER SPIEGEL 25/1967

Der blaublütige Kanzlergehilfe und der rote Fraktionschef schlossen eine Wette: Wenn Kanzler Kiesinger bis Ende dieser Woche nicht über den Antwortbrief an DDR-Ministerpräsident Stoph entscheidet, muß Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg für Helmut Schmidt einen Whisky ausgeben.

In der Wandelhalle Nord des Bundeshauses, während der Bundestags-Haushaltsdebatte am letzten Mittwoch, hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende beim Parlamentarischen Staatssekretär des Kanzleramtes Bedenken angemeldet, ob Kurt Georg Kiesinger sich nicht doch, wie sein Vorgänger Erhard, als Zauderer erweise, der die wichtigsten Entscheidungen -- so jetzt bei der Kontaktaufnahme zur DDR vor sich her schiebe.

Schmidt: »Uns Sozialdemokraten dauert das zu lange. Wir drängen zu einem schnellen Entschluß.«

Die Zweifel Schmidts rührten vom Verlauf der letzten Koalitionsgespräche über den Stoph-Brief her. Als am vorletzten Sonntagvormittag die Spitzen-Crews von CDU/CSU und SPD unter Kiesingers Vorsitz im Kanzler-Bungalow zum zweiten Male über dieses Thema berieten, überraschte Brief-Gegner Barzel die versammelten Herren: »Ich muß hier wahrheitsgemäß referieren, daß eine Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion gegen einen persönlichen Brief des Kanzlers an Herrn Stoph ist.«

Zwar gestand Barzel -- wie die Sozialdemokraten -- zu, daß in dieser Sache weder Fraktion noch Koalition noch Kabinett zu entscheiden hätten, sondern daß ein einsamer Kanzler-Entschluß genüge, der dem Kabinett lediglich mitzuteilen sei. Doch Barzel setzte durch, daß über den Fall im christdemokratischen Lager erst noch einmal separat gesprochen werden solle.

Am Montagabend versammelte sich der um gesamtdeutsche Experten erweiterte »Elferrat« des CDU/CSU-Fraktionsvorstandes im Kabinettsaal des Palais Schaumburg. Die schreibunwilligen Christdemokraten formierten sich: Barzel, von Eckardt, Rasner, Birrenbach, CSU-Wagner. Ihr Argument: Bonn dürfe das DDR-Pulver nicht vorzeitig verschießen; äußerstenfalls könne Kiesinger den SED-Führern öffentlich im Bundestag antworten.

Auf Kiesingers Seite schlugen sich: Minister Heck, die Ex-Minister Gradl und Stücklen, der CDU-Außenpolitiker Majonica. Ihr Argument: Die in der Regierungserklärung vom Dezember proklamierte Bonner Entspannungspolitik nach Osten müsse -- auch zum Westen hin -- glaubwürdig bleiben und dürfe deshalb nicht schon an einem Briefwechsel mit Ost-Berlin scheitern.

Anderntags im Bundeshaussaal F 214 deckte Kiesinger seine Unionsfraktion mit einer Filibuster-Rede ein: Fast eine volle Stunde verbreitete er sich über die Weltlage, erst am Ende auch über die Stoph-Angelegenheit. Da müsse man -- so fing der Kanzler den drohenden Widerstand ab -- nun sowieso erst die Nahost-Krise abwarten.

Kein einziger aus Barzels Opponentenschar meldete sich zu Wort. Statt dessen beschwerte sich CSU-MdB Schulze-Vorberg über die neuerliche Verzögerung: »Das ganze Theater, das wir um diesen Brief veranstalten, ist albern und macht die andere Seite bloß interessant.«

Doch der Kanzler, der unterdessen Zeitung las, bedurfte solchen Zuspruchs eigentlich gar nicht. Er war längst entschlossen:

> den Stoph-Brief mit einem persönlichen Schreiben zu beantworten;

> den DDR-Regierungschef seinem Amtstitel gemäß als »Sehr geehrter Herr Vorsitzender« (des Ministerrates) anzusprechen;

> dem Adressaten in Ost-Berlin die Benennung von Bevollmächtigten beider Seiten vorzuschlagen, die zur Besprechung weiterer Kontaktmöglichkeiten zusammenkommen sollen.

Der Text des Briefes, den ein Sonderkurier in Ost-Berlin abgeben soll, könnte unter diesen Umständen sehr kurz gehalten werden. Die Substanz der politischen Fragen käme -- wenn überhaupt -- erst dann zur Sprache, wenn die beiden Bevollmächtigten zum ersten Male zusammentreffen.

Auch die personelle Auswahl für die diffizile gesamtdeutsche Mission -- den ersten politischen Kontakt zwischen den beiden deutschen Staatsgebilden der Nachkriegszeit -- bliebe aufgeschoben, bis eine Zustimmung aus Ost-Berlin vorliegt.

Kiesinger-Gehilfe Guttenberg war bei der Wette mit SPD-Schmidt am letzten Mittwoch sicher, daß der Kanzler diesen Entschluß schon auf der nächsten Kabinettssitzung in dieser Woche bekanntgeben werde.

Guttenberg: »Verlassen Sie sich darauf, der Kanzler wird entscheiden, und zwar positiv.«

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