Zur Ausgabe
Artikel 50 / 108

WERBUNG Nach der Pfeife der Fifa

Bis zur Fußball-Weltmeisterschaft und während der vier WM-Wochen wird über der Republik ein wahres Werbegewitter niedergehen. Die Fifa versucht, ihren Sponsoren mit beispiellos rigiden Regeln Sonderrechte zu sichern. Ihre Vorgaben sind teils skurril, teils dreist - und rechtlich umstritten.
aus DER SPIEGEL 2/2006

Die Veranstaltung in einer ehemaligen Berliner Lagerhalle sollte einen Vorgeschmack auf das bieten, was sie eigentlich bewerben wollte: Organisator André Heller schilderte das geplante Eröffnungsfest zur Fußball-WM bei einer Pressekonferenz Ende November in den schillerndsten Farben. Die Musiker Peter Gabriel und Brian Eno sorgten für die internationale Note. Franz Beckenbauer und Klaus Wowereit grinsten gewohnt telegen für ein Gruppenfoto, flankiert von strahlenden Jugendlichen, die sich die Flaggen der 32 Teilnehmerländer auf ihre Gesichter hatten schminken lassen.

Kaum war die Show vorüber, ging es hinter den Kulissen weniger harmonisch zu. In einem Nachbarraum kam Wowereit mit seinen hochkarätigen Gästen aus der Fußballwelt zu einem Krisengespräch zusammen. Neben dem Chef des Organisationskomitees (OK) Franz Beckenbauer war für die ausrichtende Fifa unter anderem deren Generalsekretär Urs Linsi zugegen.

Es gab viel zu besprechen. Denn zwischen Fifa, OK und der Stadt hatte sich ein Konflikt entzündet, der auch in den anderen elf Ausrichterstätten der Mammutveranstaltung aufmerksam verfolgt wird - und der eine Menge Zündstoff birgt: Münchens Oberbürgermeister Christian Ude schimpfte schon öffentlich über die »Knebelverträge« der Fifa.

Der Fußballverband und die Ausrichterstätten streiten sich über die Hoheit über die Flächen rund um die Stadien und über Parallelveranstaltungen mit Großbildleinwänden. Es geht um die Werbemöglichkeiten der offiziellen Fifa-Partner - und um eine Menge Geld.

Jedes der 15 Unternehmen vom Sportartikelhersteller Adidas bis zum Internet-Konzern Yahoo lässt es sich rund 40 Millionen Euro kosten, um als »offizieller Partner« der Fifa-WM 2006 auftreten zu dürfen. Dazu kommen sechs »Nationale Förderer« wie die Bahn und der Sportwettenanbieter Oddset, die noch einmal jeweils rund 13 Millionen bezahlten, um Logos und Markenzeichen wie den Weltpokal und das Maskottchen »Goleo VI« werblich nutzen zu dürfen - und zwar exklusiv für ihre jeweilige Warenkategorie.

Insgesamt bringt das der Fifa mehr als 700 Millionen Euro, dafür erhalten die Sponsoren und Förderer neben Ticketkontingenten vor allem ein Versprechen: unbedingte Exklusivität. Um die zu gewährleisten, hat sich die Fifa für das Fußballfest in deutschen Landen praktisch lückenlose Reklameregularien ausgedacht. Die Vorfahrt für Fifa-Sponsoren war auch Thema in der hochkarätigen Runde am Rande der Berliner Pressekonferenz.

Wie die anderen Städte hatte sich auch die Hauptstadt schon in der Bewerbungsphase einem Pflichtenkatalog unterwerfen müssen. Über die Stadien selbst schloss die Fifa Verträge mit den kommunalen und privaten Betreibern - sie sind von Mitte Mai an »lizenziertes Gelände«, werden im »äußeren Sicherheitsring« von einem etwa zwei Meter hohen Zaun abgeschirmt und müssen der Fifa »neutral« übergeben werden - also vollkommen frei von Werbe- und Sponsorenhinweisen.

Im Fall des Olympiastadions heißt das unter anderem, dass der Hertha-Fanshop vollständig geräumt werden muss - er wird optisch von den Logos des US-Sportartikelherstellers Nike dominiert. Der ist Hertha-Ausstatter, aber eben auch Hauptkonkurrent des Fifa-Sponsors Adidas.

Sogar Herstellerhinweise müssen überklebt werden - sei es auf festinstallierten Monitoren oder auf Geldautomaten, wie es mancherorts schon während des Confed-Cups im vorigen Sommer geschah. Auf das Abkleben von Toilettenherstellernachweisen will man nach aktuellem Stand verzichten. Eifrige Stadionbetreiber hatten sich eigens erkundigt. Sicherheitshalber.

Anders als viele andere Stadien darf das Olympiastadion wenigstens seinen Namen behalten. Einige Arenen werden für das Turnier in »Fifa-WM-Stadion« umbenannt. Beim Frankenstadion in Nürnberg und beim Gottlieb-Daimler-Stadion in Stuttgart ließ die Fifa Gnade walten - Eigennamen und Regionen schienen den Fußballfunktionären offenbar unverdächtig.

In Hamburg hingegen ging es hart auf hart: Weil sich der Hamburger Sportverein (HSV) an seine Verträge mit AOL gebunden sah, drohte die Fifa mit Spielentzug. Jetzt wird die AOL Arena Fifa-WM-Stadion Hamburg heißen, der aktuelle Name wird abgehängt - und der HSV findet seinen Stadionsponsor mit einer halben Million Euro ab.

Das ist skurril, aber kaum angreifbar: Für die Stadien hat der Weltverband praktisch das Hausrecht erworben. Hier müssen während der WM alle nach ihrer Fifa-Pfeife tanzen.

Doch das genügt der Fifa nicht. Nach einer Besichtigungstour legte man den Berlinern einen Lageplan vor, auf dem ein weiterer Kreis um das Stadion blau unterlegt war. In dieser »kontrollierten werbefreien Zone«, forderte die Fifa, dürfe es keinerlei feindliche Werbung geben - sowie jeweils am Tag vor den Spielen und an den Spieltagen selbst keinen öffentlichen Publikumsverkehr und keine Veranstaltungen.

Das Problem: Auf der blauunterlegten Fläche befindet sich nicht nur das Corbusier-Haus, in dem rund 400 Bewohner leben, sondern auch die Waldbühne. Für die hatte sich der Berliner Unternehmer Peter Schwenkow von der Deutschen Entertainment AG (DEAG) frühzeitig die Rechte für eine öffentliche Übertragung der WM-Spiele für bis zu 20 000 Besucher auf einer Großleinwand gesichert. Der Konflikt beschäftigte zuerst den Berliner WM-Koordinator, dann den Sportsenator - bis er sich zum Regierenden Bürgermeister hochschaukelte. Der blieb in der Berliner Runde hart. Er pochte darauf, dass es über die blaue Zone keinen Vertrag mit der Fifa gebe. Nach aktuellem Stand dürfen die WM-Veranstaltungen in der Waldbühne stattfinden - allerdings unter Auflagen. An die rigiden Werbe- und Sponsoring-Einschränkungen ist der DEAG-Boss, der ähnliche Großveranstaltungen in etwa der Hälfte der Austragungsorte plant, ohnehin gebunden.

Die Zahl dieser Regeln übertrifft nicht nur die für ein Fußballspiel bei weitem, sie sind auch ungleich komplizierter. »Die Fifa geht in ihren Vorschriften bis an die Grenze des Deutschen Rechts und unseres Erachtens teilweise auch darüber hinaus«, sagt Anwalt Michael Stulz-Herrnstadt von der Sozietät Lovells, wo mittlerweile zehn Juristen an Rechtsfragen rund um die WM arbeiten.

Ihr Gegenspieler ist Gregor Lentze, Fifa-Marketing-Chef für das WM-Spektakel in Deutschland - und als solcher erster Interessensachwalter der Fifa-Sponsoren. »Wir verkaufen unseren offiziellen Partnern Exklusivität«, sagt er, »und die müssen wir auch garantieren.« Immerhin koste die Organisation der WM rund eine Milliarde Euro, von der sich nur etwa ein Viertel über die Tickets hereinspielen lasse. Dass die Fifa-Ideen nicht überall Anklang finden, könne er verstehen: »Anfangs war das für viele Städte sicher ein Kulturschock.«

Aktuell führt die Fifa Gespräche mit den Ordnungsämtern, um sie im Kampf gegen Trittbrettfahrer schon auf Zufahrtswegen einzuspannen. In den Städten ist das höchst umstritten. »Bisher gehört Markenschutz nicht zu den Aufgaben der Ordnungsämter«, sagt Jürgen Kießling, WM-Koordinator der Stadt Berlin.

Auch bei den zwölf offiziellen Fan-Festen in den Ausrichterstädten will die Fifa

ganz genau mitreden. Weil Coca-Cola einer der vier Top-Sponsoren für die Fan-Feste ist, wurde lange um das Thema Milch gestritten. Der Brause-Konzern hat sich die Kategorie Getränke gesichert, wozu außer Suppen, Wasser aus der öffentlichen Versorgung und alkoholfreiem Bier so ziemlich alles Flüssige gehört.

Nach langen Verhandlungen gab sich der US-Riese generös: »Milchgetränke ohne Geschmack« dürfen jetzt ausgeschenkt werden - gemeint ist Kuhmilch. Deren »Branding« ist allerdings dem Leitfaden zufolge mit Fifa und Coca-Cola abzustimmen. Sogar die Größe der Logos auf den Fan-Festen ist geregelt: Die der »Top Partner« müssen fünfmal so groß sein wie die der anderen Sponsoren.

Probleme mit den engmaschigen Sponsoring-Vorschriften haben auch viele Veranstalter in Nicht-Ausrichter-Städten, die öffentliche Großleinwände planen: Mit Leihgebühr und Bewachungskosten kommen schnell sechsstellige Summen zusammen, die schwer zu refinanzieren sind. »Wir hatten zunächst etwa 80 Interessenbekundungen« sagt Niclas Stucke vom Deutschen Städtetag. Er rechnet wegen der Schwierigkeiten inzwischen nur noch mit bundesweit etwa 50 derartigen Großveranstaltungen.

Tatsächlich hat die Fifa nichts dem Zufall überlassen, und sie geht offensiv gegen all jene vor, die sie als Trittbettfahrer empfindet. Um ihre insgesamt 60 offiziellen Lizenznehmer in Deutschland vor Plagiaten zu schützen, hat sie früh den Zoll über lizenzierte Hersteller informiert und ihm sogar Warenmuster geschickt. Das zehnköpfige »Rechteschutz-Team« der Fifa-Marketing und von ihr beauftragte Kanzleien verschicken Abmahnungen und einstweilige Verfügungen, die schnell ein paar tausend Euro kosten - etwaige Schadensersatzforderungen in Marken-Missbrauchsfällen können deutlich teurer werden.

Dabei ist durchaus umstritten, was genau eigentlich missbräuchlich ist. Schon 2002 hatte die Fifa beim Patent- und Markenamt mehr als 50 Begriffe und Logos wie »WM 2006« eintragen lassen. Der Schoko-Hersteller Ferrero und andere gingen erfolgreich dagegen vor, worauf die Fifa vor das Bundespatentgericht zog. Seither tobt ein Rechtsstreit, zurzeit liegt die Sache vor dem Bundesgerichtshof. Vor der WM wird es wohl keine Entscheidung geben.

Nach aktuellem Stand vor deutschen Gerichten dürfte Ferrero die Sammelbildchen mit »WM 2006« bedrucken, Riegelverpackungen aber nicht. Produkte von Augenmedikamenten über Tierstreu und Kondome bis Zahnseide scheinen noch geschützt, Schaumgummihände und belichtete Filme hingegen frei.

Die Fifa beruft sich indes darauf, das europäische Harmonisierungsamt in Alicante habe in ihrem Sinne entschieden. »Das ist selbst für Fachleute extrem verwirrend«, sagt Anwalt Alexander Liegl von der Anwaltskanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz, die angesichts des Werbewirrwarrs eine Broschüre mit dem Titel »Mit kreativer Werbung das Rechts-Chaos umgehen« herausgegeben hat.

Viele Unternehmen haben das längst als Chance erkannt und hängen sich an die große WM-Werbewelle: Die Lufthansa verziert ihre Maschinen mit Fußball-Nasen, obwohl der offizielle Partner doch Emirates ist. Und der Elektronikhändler Media Markt wirbt in ganzseitigen Anzeigen mit Slogans wie »Die beste Elf des Jahres«.

Hundertprozentig werden sich »feindliche Marken« ohnehin nicht fernhalten lassen, das hat schon die Generalprobe bei der Auslosung in Leipzig gezeigt. Autopartner Hyundai setzt für die Shuttles nämlich keine eigenen Fahrzeuge ein, sondern ließ über ein Konsortium Busse beschaffen, unter anderem bei Mercedes. Sie sollten in der Nacht vor der Auslosung von allen Markenzeichen befreit werden. Doch der verräterische Stern konnte nur am Heck entfernt werden, mit den Frontemblemen gab es ein Problem. Darin schlummert nämlich die GPS-Einheit fürs Navigationssystem.

Ausgerechnet die Premiere für den offiziellen Shuttle-Service lief deshalb unter einem unguten Stern - zumindest aus Fifa-Perspektive. MARCEL ROSENBACH

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 50 / 108
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren