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Briefe

Nach kommunistischer Lesart
aus DER SPIEGEL 6/1981

Nach kommunistischer Lesart

(Nr. 51/1980, Radikalen-Abwehr: Das Bundesverwaltungsgericht stützte teilweise die rigorosen Praktiken Bayerns)

Wenn ein oberstes Bundesgericht verbindliche Ziele der Ostverträge und Entspannungsdokumente für »verfassungsfeindlich, weil prokommunistisch«, erklärt, interessiert es die Öffentlichkeit kaum, wie weit dies offen politisch oder in der Maske des »unüberprüfbaren« Subaltern-Ermessens geschieht. Demnächst stehen zahlreiche bayrische Lehramtsanwärter vor dem Bundesverwaltungsgericht, die wegen ihres Friedensengagements abgelehnt wurden.

Beispiele:

Laut Schreiben der Regierung von Mittelfranken vom 5. März 1976 begründet der Freistaat Bayern das Ausbildungsverbot gegen Gerhard Bitterwolf wesentlich damit, daß dieser dem Landtag vorgeschlagen hat, den Text der KSZE-Schlußakte an den Schulen zu verteilen; damit habe er -- ohne Kommunist zu sein -- »Ziele kommunistischer Parteien unterstützt«.

Ilja Hausladen erinnerte am 4. Oktober 1976 die Regierung von Schwaben an seine von den Nazis verfolgte Familie und wurde wörtlich gefragt: »Wie bekämpfen Sie dann aus dieser Haltung heraus heute die osteuropäischen Staaten?« Hausladen wies die Frage zurück und wurde zurückgewiesen.

Die Ablehnung der christlichen Pazifisten Manfred Lehner und Heinrich Häberlein rechtfertigten die Verwaltungsgerichte Augsburg und Ansbach am 29. S.9 April 1977 beziehungsweise 10. Januar 1978 sinngemäß wie folgt: Friedensregelungen, die nicht auch den Interessen der sozialistischen Länder entsprechen, gebe es nicht; wer sich hierfür einsetze, sei also nie freiheitlich genug.

Der durch völkerrechtsverbindliche Unterschriften auch von der Bundesrepublik akzeptierte Rechtsbegriff »Friedliche Koexistenz« gilt trotzdem weiterhin als »bolschewistische Kampflosung«. Der Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 29. Juli 1977 gegen Häberlein definiert: »Nach kommunistischer Lesart liefert die friedliche Koexistenz ... gute Ausgangspunkte für den politisch-ideologischen Kampf.«

Als bayerischer Innen- und Verfassungsminister verantwortete diese Beispiele Dr. Alfred Seidl, der schon 1966 in der rechtsextremistischen »Deutschen Nationalzeitung« publizierte, daß »nach geltendem Recht auch der Angriffskrieg und der Krieg unter Verletzung internationaler Verträge ... ein zulässiges Mittel zur Verfolgung nationaler Ziele ist«. Seine Opfer sagen halt das Gegenteil.

In Madrid lärmen derzeit rechte Gruppierungen, die für nichteinschlägige Taten einen angeblichen Schutz der KSZE beanspruchen. Unser Staat aber begeht die Menschenrechtsverletzungen, die Korb III der Schlußakte meint, weil sie gegen die Abrüstung (Korb I) und intersystemare Zusammenarbeit (Korb II) zielen.

Voraussichtlich mit höchstrichterlichem Segen.

München H. E. SCHMITT-LERMANN Anwalt der Betroffenen

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