Es fehlt nicht an Schwarzen, die sprechen, sondern an Weißen, die zuhören

Ein Gastbeitrag von Aminata Touré, der Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Foto: Fabian Schmidt / bento

Dieser Beitrag wurde am 31.05.2020 auf bento.de veröffentlicht.

"Schwester, wie gehts dir?", fragt der Schwarze Koch im Restaurant als ich meine Rechnung bei seinem Kollegen bezahlen möchte. 

Es ist an dem Tag, an dem die ganze Welt über den Tod von George Floyd spricht. Er nennt mich aber nicht in deshalb "Schwester", sondern weil wir das oft tun, uns "Bruder" und "Schwester" nennen. Genau wie wir uns oft auf der Straße zunicken oder zulächeln, ohne uns vorher je gesehen zu haben. Weiße Menschen, die mich begleiten, fragen dann gern: "Kanntest du den?" Oft sage ich: "Nein." 

Warum wir das tun? Weil wir eine Geschichte teilen. Die Geschichte Schwarzer Menschen weltweit, die unser Leben bis ins Heute prägt.


Die Ermordung von George Floyd, die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Menschen und der anhaltende Rassismus in den USA sorgt auch für Debatten hier in Deutschland. 

Eine oft gestellte Frage ist dabei: "Kann man das überhaupt vergleichen?" Manchmal wird auch einfach von Weißen postuliert: "Der Kampf Schwarzer Menschen hier ist doch nicht einmal ansatzweise vergleichbar mit dem derer in den USA!"

Die Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges

Statistiken zur amerikanischen Polizeigewalt zu Folge sind 24Prozent derer, die durch Polizeigewalt getötet wurden, Schwarze, obwohl sie in der Gesamtbevölkerung nur 13% ausmachen (Washington Post ). Das ist eklatant – und nicht mit Deutschland zu vergleichen. 

Es geht bei den Protesten in den USA aber nicht nur um die Polizeigewalt. Die Gewalt ist die Spitze des Eisberges. Es geht um Rassismus in allen Bereichen des Lebens.

Was sich daher schon vergleichen lässt, ist, dass Rassismus gegen Schwarze dort so wie auch hier stattfindet. Man muss sich schon klar machen, wie vermessen eine Aussage wie "Seid doch froh, hier zu sein. In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht!", ist. 

Dieser Satz besagt nichts anderes als, dass wir dankbar sein können, nicht erschossen zu werden. Wir geben uns aber nicht damit zufrieden nicht erschossen zu werden. Wir verlangen den gleichen Respekt und Behandlung, wie weiße Menschen ihn erfahren.

Es fehlt nicht an Schwarzen, die sprechen, sondern an Weißen, die zuhören


Rassismus erfahren Schwarze Menschen und People of Color tagtäglich. Auch in Deutschland. Sie berichten davon, sie schreiben Bücher dazu, sie machen Musik dazu, sie positionieren sich zivilgesellschaftlich sowie politisch. Um nur einige Beispiele zu nennen: Tupoka Ogette, Natasha Kelly, Alice Hasters, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD)  Each One Teach One und viele mehr. 

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Sie alle kommunizieren auf die unterschiedlichste Art und Weise. Es fehlt nicht an Stimmen, es fehlt am Zuhören. Aktives Zuhören, bei dem man nicht als ersten Impuls versucht seine eigene Position zu vergleichen und davon zu sprechen, dass man als weiße Person ja schon mal "Rassismus" im Urlaub erlebt hat, obwohl man nur von Vorurteilen sprechen kann. Rassismus - diese Erfahrung geht über eine Urlaubserfahrung hinaus.

Auch in Deutschland haben wir keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Thema. Es wird so getan, als ginge Rassismus uns nichts an, frei nach dem Motto "Schlimmer sind die anderen". Es gehört nicht zum Allgemeinwissen, dass auch Deutschland sich an kolonialen Verbrechen massiv beteiligt hat und Rassismen gegenüber Schwarzen Menschen genau aus dieser Zeit stammen und bis heute wirken. Kaum jemand hinterfragt, was es bedeutet, dass rassistische Wissenschaft den Grundstein für die Versklavung Schwarzer Menschen gelegt hat (Süddeutsche Zeitung ). Wir haben eine Menge aufzuarbeiten.

Weil Rassismus strukturell ist, muss es auch um die Strukturen gehen

Es ist auch in Deutschland notwendig, dass wir uns mit Rassismus auseinandersetzen. Vor allem politisch. Eben weil es nicht immer nur um die Spitze des Eisberges gehen darf, um das, was leicht zu sehen ist.

Deshalb habe ich mich in Schleswig-Holstein für einen Aktionsplan gegen Rassismus eingesetzt. Von Polizei, über Justiz, Schule, öffentliche Verwaltung bis hin zur Zivilgesellschaft sind alle gefordert. So etwas wünsche ich mir in jedem Bundesland.

Denn was bisher geschehen ist, reicht offensichtlich nicht, weder hier noch in den USA. 2018 habe ich an der Black Caucus Conference in Washington teilgenommen. Wir Schwarzen haben uns dort über den Rassismus ausgetauscht, den wir weltweit erleben. 

Das ist es, was uns zu Schwestern und Brüder macht. Die Erfahrungen, die wir teilen und der gemeinsame Kampf, diese Lebensrealität für uns zu verändern. Wenn man aktiv zuhört, dann wird man verstehen, worum es geht. Vielleicht merkt man, dass man Teil einer Bewegung werden kann und sogar muss, egal ob Schwarz oder weiß, um für Schwarzes Leben und die Würde Schwarzer Menschen zu kämpfen.

Und vielleicht kommt man zumindest nicht mehr auf die Idee, jemandem zu sagen, er solle froh sein, dass er nicht erschossen wird. 

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