Zur Ausgabe
Artikel 31 / 75

FREIKÖRPERKULTUR Nackt ohne Nutzen

aus DER SPIEGEL 25/1964

In der Bundesrepublik ist selbst das

nackte Leben nicht mehr steuerfrei. Westdeutsche Finanzämter sind dazu übergegangen, Freikörperkultur-Klubs (FKK) auf die Körperschaftsteuerliste zu setzen.

Nach dem Körperschaftsteuergesetz brauchen zwar diejenigen Personenvereinigungen dem Staat keinen Obolus zu entrichten, »die nach der Satzung ... und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar ... gemeinnützigen ... Zwecken dienen«. Laut Urteil des Bundesfinanzhofs in München aber gilt das nicht für »Helios«, den »Bund für freie Lebensgestaltung e.V.« - und damit auch nicht für alle Freikörperkultur.

Denn nach Ansicht der Bundesfinanzrichter kultivieren die FKK-Anhänger nicht ausschließlich den Sport (was die Befreiung von der Steuerpflicht sichern würde), sondern auch »eine Art Weltanschauung«. Das ist nach dem Gesetz zuviel.

Die Richter fanden, die »Bewegung« der Freikörperkultur fordere von ihren Mitgliedern beispielsweise »Wahrhaftigkeit nach innen und außen« sowie »naturgemäßes, einfaches Leben«. Deshalb könne ihr nicht, gleich den üblichen Sportvereinen, »die Steuerbefreiung wegen Förderung ausschließlich gemeinnütziger Zwecke« gewahrt werden.

Noch vor einer Generation mußten Nacktbader nicht Steuern, sondern Strafe zahlen. Im Juli 1937 beispielsweise robbten sich Gendarm und Dünenwärter von Klappholttal auf Sylt durch die Dünen, ertappten jugendliche Nackedeis beiderlei Geschlechts beim Baden und verhängten Zwangsgeldverfügungen.

Rechtsgrundlage dafür war der sogenannte Zwickelerlaß, die »Badepolizeiverordnung des preußischen Ministers des Innern« aus dem Jahre 1932. Sie verbot das öffentliche Nacktbaden und schrieb überdies Badeanzüge mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel vor.

Aber die Sonnenfreunde nahmen damals auch kein Blatt vor den Mund und ließen sich 1938 vom preußischen Oberverwaltungsgericht ihr Recht zur freien Körperkultur am Meeresstrand verbriefen. Im Schutz dieses Urteils planschten sie unbekümmert durch die national sozialistische Zeit und fanden vorübergehend im arischen »Verein für Leibeszucht« unerwünschten Anhang.

Nach 1945 schritt die »Bewegung« weiter voran, riß in der Bundesrepublik ungefähr 90 000 Männer und Frauen mit (organisiert in 150 Vereinen) und breitete sich sogar in der Sowjetzone aus. Die Nackten und die Roten kamen miteinander aus.

Anstoß nahm das Finanzamt der Domstadt Köln. Es veranlagte »Helios« zur Körperschaftsteuer und hob damit die bis dahin für organisierte Nacktbader gültige Befreiung von der Steuerpflicht auf - obwohl es in der Helios-Satzung heißt: »Der Bund verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke durch Förderung des Volkssports.«

Kölns Finanzamt und das von den Freikörperleuten angerufene Finanzgericht argumentierten, es hänge von der »Volksanschauung« ab, ob ein Vereinszweck gemeinnützig sei. Von der Mehrheit der Bevölkerung aber werde die Freikörperkultur abgelehnt.

Damit gaben sich die Helianer ebensowenig zufrieden wie mit dem Umstand, daß das Kölner Finanzamt die Körperschaftsteuer für das Jahr 1959 glimpflich auf null Mark festgesetzt hatte. Es ging ihnen ums Prinzip, und sie legten Beschwerde beim Bundesfinanzhof ein.

Vergebens mühte sich Dr. Lothar Wilhelm, Präsident des deutschen Verbandes für Freikörperkultur und zugleich Rechtsanwalt in Hannover, die Bundesrichter in Schriftsätzen davon zu überzeugen, daß auch nacktes Schwimmen, Spielen und Turnen der Volksgesundheit diene. Der Bundesfinanzhof wies die Beschwerde ab, unter anderem auch mit dem von der Vorinstanz benutzten Argument, Freikörperkultur werde von dem überwiegenden Teil der Bevölkerung mißbilligt.

Dem stellte Advokat Wilhelm die nackten Zahlen einer Repräsentativbefragung gegenüber. Danach sind 18 Prozent der westdeutschen Bevölkerung für Freikörperkultur eingenommen, 42 Prozent ohne Meinung und 38 Prozent dagegen.

Von einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof hatte sich Wilhelm, der inzwischen das Bundesverfassungsgericht anrief, allerdings nichts versprochen: »Ich kann mich da doch nicht nackt ausziehen und den Herren etwas vorturnen.«

Nudisten auF Sylt: Körper schafft Steuer

Zur Ausgabe
Artikel 31 / 75
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten