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MÄRKTE / KLAVIERE Nahezu unbekannt

aus DER SPIEGEL 16/1968

In der Hamburger Stresemannstraße 313a rühren deutsche Kinder japanische Tasten. Die Kleinen im Alter von vier bis sechs Jahren besuchen eine Musikschule des Konzerns Nippon Gakki, und mit den Noten lernen sie zugleich einen Markennamen: Yamaha.

So heißt die Schule, und so heißen auch die Klaviere, die das japanische Unternehmen seit 1965 in der Bundesrepublik verkauft. Im letzten Jahr trug schon mehr als ein Zehntel der in Westdeutschland insgesamt abgesetzten 17 000 Pianos die Marke Yamaha, in diesem Jahr sollen 20 Prozent daraus werden. Das Land der Madame Butterfly liefert den Deutschen nicht mehr Opernstoff, sondern ihr liebstes Sinnbild für hohe Kultur.

Der Yamaha-Erfolg ist nicht einmal in erster Linie durch den Preis begründet. Transportkosten und 17 Prozent Zoll sorgen dafür, daß die Japan-Instrumente nicht spürbar billiger auf den deutschen Markt kommen als heimische Ware; 2775 Mark kostet das schlichte Yamaha-Klavier in Nußbaum oder Mahagoni, 20 290 Mark der 2,83 Meter lange und fast eine Tonne schwere Konzertflügel.

Aber die Japaner entwickelten aggressive Markttaktik, »bei uns nahezu unbekannt«, so Dr. Georg Zimmermann, 60, vom Fachverband Deutsche Klavierindustrie. Der japanische Konzern gewann zunächst Händler durch eine für sie günstige Kombination von Alleinvertretung und gebundenes Preisen ähnlich dem Schema der Automobilfirmen. Da Klavierkäufer meist Laien sind und zwischen den Klangqualitäten verschiedener Modelle nicht unterscheiden können, gibt die Beratung durch den Händler häufig den Ausschlag.

Dann mobilisierte Nippon Gakki Kundschaft, wiederum im Verein mit seinen Händlern. Drei Yamaha-Kindermusik-Schulen mit rund 200 Mitgliedern gibt es bereits in Westdeutschland, und Yamaha-Händler halfen sie einrichten. Die Markenwerbung in den Schulen ist dezent. Das einzige Yamaha-Klavier hat der Lehrer, die Kinder werden nach einem eigens entwickelten System in Notenkenntnis und an einem simplen Tasten-Instrument in der elementaren Klaviertechnik unterrichtet. Auch andere Instrumente der Marke Yamaha stehen zur Verfügung.

Solcher Kundenfang war neu in Deutschland. Die Klavierhersteller hatten sich auf den Hang des Volkes zu gehobener Musik verlassen, nicht ganz zu Recht, wie ihnen Marktforscher jetzt meldeten.

Von den 1,4 Millionen Pianos, die in westdeutschen Wohnungen stehen, wird nur ein Drittel wirklich benutzt. Auf deutschen Jugend-Musikschulen lernen nur 13 000 Schüler das Klavierspiel, und vor allem: Der Nachwuchs droht zu schrumpfen, da fast ausschließlich Eltern der alten gesellschaftlichen Oberschicht ihre Kinder ans Klavier schicken.

Aufgeschreckt beschlossen die Produzenten, es Yamaha nachzumachen. »Unsere Aufgabe ist es«, sagt Dr. Zimmermann, »die Jugend zum Musizieren zu führen und damit für

die Zukunft mehr Käufer zu schaffen.« In diesem Jahr beginnt ein »Modellprogramm musikalischer Früherziehung« für 1300 Vierjährige, an dem sich die deutsche Klavierindustrie beteiligt.

Aber das Repertoire der Japaner ist noch längst nicht erschöpft. Seit kurzem stellen sie schon für zehn Prozent Anzahlung Klaviere in deutsche Wohnstuben, der Rest ist in bis zu 36 Monatsraten abzuzahlen. Der Konzern kann sich das leisten.

Er fabriziert neben Skiern, Motorbooten und Motorrädern jährlich 120 000 Yamaha-Klaviere. Das ist sechsmal soviel wie die deutschen Hersteller insgesamt produzieren und 20mal soviel wie der Ausstoß von Wilhelm Schimmel in Braunschweig, Westdeutschlands größtem Pianobauer.

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