SYRIEN / KRISE National oder sozial?
In der letzten Woche predigte in der riesigen (rund 150 Meter langen) Halle der Omajaden-Moschee zu Damaskus der ahasverische Ex-Großmufti von Jerusalem, Husseini, der einst ein Freund Hitlers gewesen war. Er predigte Haß gegen England.
Das Auftauchen des Weltkriegs-II-Gespenstes Husseini in Damaskus machte das Bild der politischen Lage Syriens wirrer, als es ohnehin schon war: In der Sukh Hamidijeh, der Hauptstraße des nahe der Omajaden-Moschee gelegenen alten Basars, gibt es zur Stunde keinen Pantoffel-Laden, der nicht in der Auslage das zähneglitzernde Lachen des ägyptischen Staatschefs und arabischen Idols Nasser zeigt desselben Nasser, der die Gefolgsleute des Großmuftis, die fanatisch antibritischen Moslem-Brüder, in Ägypten hinter Stacheldraht hält.
Der Ex-Großmufti und Nasser sind nicht mehr und nicht weniger als Sinnbilder, um deren Namen und Figuren sich die fiebrige Atmosphäre Syriens immer mehr zu stickigem- Haß und geballter Revoltestimmung verdichtet. Aber sie sind nicht die einzigen Symbole, an die sich das unausgewachsene und unausgegorene Wollen der Araber heftet.
In den Zeitungskiosken der Stadt, auf den kolorierten Plakaten der Kinos und in den Buchläden ringen die Leitbilder von West und Ost um Syriens Seele. Auf Comic-Strips-Heften und Filmanzeigen prangen muskel- und sex-strotzende Heldenfiguren billigster amerikanischer Mache; an ihnen steigert sich die aufbegehrende arabische Sinnlichkeit zu lärmender Überheblichkeit. Die gesellschaftlichen Formen des Islam sind brüchig geworden. Arabien hat sein Maß verloren, und Amerika liefert der frei gewordenen Triebhaftigkeit Kinpott-Modelle als Vorbilder.
Doch zwischen den knallbunten Erzeugnissen, mit denen sich der Amerikanismus an die breiten Massen Arabiens wendet, gibt es Zeichen sowjetischer Propaganda. Auf der Sukh Midhat Pascha etwa - die in der Bibel »die Gasse, die da heißet die gerade« genannt wird* - oder auf den Straßen längs des Flüßchens Barada, zwischen Läden mit strahlend weißen Eisschränken, französischen Schnäpsen oder deutschen Autos, erscheinen in den Zeitungsauslagen russische Illustrierte und Bilderbücher mit ehrpusseligen Glanzphotos vom glücklichen Sowjetmenschen bei der Ernte, in der Fabrik und im trauten Heim vor dem Fernsehempfänger.
Während die amerikanischen Zivilisationserzeugnisse - die Comic Strips wie die Cadillacs - eigentlich in den arabischen Seelen nicht mehr bewirken als eine richtungslose Steigerung unruhiger Begehrlichkeit und Aufsässigkeit, gibt die sowjetische Propaganda konkrete Vorstellungen davon, wie das Leben des gemeinen Mannes eigentlich sein müßte.
Hier wie überall in Asien, Arabien und Afrika: Der Amerikanismus vermittelt den Massen Lustgefühle, die - einmal vorüber - unerfüllbare Wünsche, ein nicht artikuliertes Bewußtsein des Zukurzgekommenseins und des durch irgend jemand erlittenen Unrechts zurücklassen.
Die sowjetische Propaganda dagegen ist gezielt, sie formt das Unbehagen der Araber zu nationaler Tat und sozialem Entschluß. Sie zeigt, was zu wollen ist: das Glück des kleinen Mannes angesichts prangender Felder, gesunder Kinder und funktionierender Maschinen, die gerade so vertrauenerweckend schlicht aussehen, daß sie - anders als die chromblitzenden technischen Traumprodukte der Amerikaner auch für einen vorwärtsstrebenden Armen erschwinglich erscheinen.
Damaskus - einst eine türkische Provinzhauptstadt, später Zentrale des französischen Protektorats Syrien - ist seit 1946 die Metropole eines freien Landes. Seither hat es fünf Revolten erlebt:
- Im März 1949 nahm der damalige syrische Generalstabschef, Oberst Husni Zaim, einem schütteren parlamentarischen Regime die Macht ab.
- Gut vier Monate darauf löste ihn der
Oberst Hinnawi ab. Zaim wurde erschossen.
- Wenig später - im Dezember 1949 - war Hinnawi ein toter Mann, und der Mächtigste im Lande war Adib Schischakli, ebenfalls ein Oberst.
- Durch einen zweiten Staatsstreich im
November 1951 machte Schischakli sich endgültig zum faktischen Staatsoberhaupt.
- Um die Jahreswende 1953/54 zeigte das
Land jedoch, daß es nun auch des Schischakli überdrüssig war. Studenten, Soldaten und die notorisch umsturzlüsternen Drusen - ein Hirtenvolk im gebirgigen Süden des Landes - revoltierten. Im Februar 1954 entwich Schischakli über das benachbarte libanesische Beirut zunächst nach Saudiarabien und später an die französische Riviera.
Im Herbst 1954 fanden die freiesten Wahlen statt, die es jemals auf syrischem Boden gegeben hat. Und im August 1955 erwählte das Parlament den in französischen Protektoratszeiten zu einem versierten Demokraten herangewachsenen Schukri el-Kuwatli zum Staatspräsidenten.
Seitdem schlingert das durch Kuwatli weniger geführte als symbolisierte Regime auf einem von Monat zu Monat heißer werdenden Lavameer sozialer und nationaler Unruhe. Inzwischen hat auch die in der zehnjährigen Geschichte des Staates dreimal geköpfte und dreimal von den Anhängern des jeweils vorangegangenen Militärdiktators gereinigte Armee wieder begonnen, Politik zu machen.
Zentralfigur, wenn auch vielleicht nicht der Führer dieser neuen Militär-Revolte ist der Geheimdienst-Chef und Oberst Abd el-Hamid Sarradsch.
Das ideologische und politische Paßbild dieses jungen Offiziers spiegelt - insbesondere wenn man es vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kommiß -Diktatoren Zaim, Hinnawi und Schischakli betrachtet - die tiefgreifenden psychischen und materiellen Veränderungen wider, denen Syrien im Verlauf seiner kurzen Geschichte als selbständiger Staat unterworfen war.
Als die Franzosen im Jahre 1946 das Land verließen, waren die Syrer ein Bauern- und Händlervolk. Die Franzosen hatten zwar mit dem Aufbau von Industrien begonnen, hatten Wasserleitungen, Schulen, Akademien und - vor allem - ein vorzügliches Straßennetz geschaffen; die sozialen Auswirkungen ihres Wirkens aber wurden erst nach ihrem Abzug erkennbar.
- Rings um die Fabriken - vor allem der
Textilindustrie - sind Arbeitermassen entstanden. Allein die Spinnereien beschäftigen heute 60 000 Arbeiter, die wenn man im Schnitt drei Familienmitglieder auf jeden Arbeiter rechnet etwa sechs Prozent der rund vier Millionen zählenden Gesamtbevölkerung Syriens ausmachen.
- Das durch Besserung der hygienischen Verhältnisse bewirkte schnelle Anwachsen der Bevölkerung schafft komplizierte Probleme. Rund die Hälfte der Bevölkerung Syriens ist heute weniger
als 21 Jahre alt, also zum größten Teil noch zu jung für berufliche Tätigkeit und zum Steuerzahlen: Die eine Hälfte der Syrer muß zur Stunde die andere mit durchfüttern. Überdies sind für die heranwachsenden Jugendlichen bei weitem nicht genug Arbeitsplätze vorhanden.
- Die von den Franzosen errichteten Schulen und Akademien zogen und ziehen eine Intelligenz heran, für die das Land keinen oder jedenfalls nicht genügend Bedarf hat. Die Lehrpläne legen das Hauptgewicht auf philologische und juristische Fächer - es werden also vornehmlich Literaten und Advokaten herangebildet. Der Araber mit seiner Neigung zu Rhetorik und Rabulistik folgt diesem Trend um so lieber, als seine Abneigung gegen organisierte Handarbeit fest eingewurzelt ist. Die wirklich notwendige Heranbildung von Ingenieuren, akademischen Landwirten und Werkmeistern wird vernachlässigt. So ist eine unruhige, entweder arbeitslose oder - wegen des Überangebots - unterbezahlte Intelligenzschicht entstanden.
- Die früher selbstverständliche Fähigkeit des Bauern oder Hirten, sich in Notzeiten selbst zu versorgen, ist durch den Übergang zum Anbau von Industriepflanzen, vor allem Baumwolle, beschränkt worden. Syrien exportierte im letzten Jahr des französischen Protektorats 3000 Tonnen Baumwolle, heute exportiert es jährlich an die 90 000 Tonnen. Die Notwendigkeit sozialer Maßnahmen und staatlicher Steuerung drängt sich angesichts jederzeit möglicher Konjunkturschwankungen im internationalen Baumwollgeschäft auf. Wie hilflos die französisch geschulte Beamtenschaft den hier entstehenden sozialen Problemen gegenübersteht, zeigt Syriens auf dem Papier geradezu vorbildliches - Arbeitsrecht. Es sieht das ganze Instrumentarium einer hochorganisierten Industriegesellschaft vor, mit Schiedsgerichten, Arbeitszeit-, Krankheits- und Urlaubsbestimmungen, mit Kinderkrippen und Sanatorien. Das Wunderwerk hat nur einen einzigen Nachteil, nämlich den, daß es nicht funktioniert.
Es gibt keine Beamten, die über die Durchführung des Arbeitsrechts wachen. Und es gibt zu viele Arbeiter, als daß der Unternehmer gezwungen wäre, auf die Wünsche und Nöte seiner Belegschaft sonderliche Rücksichten zu nehmen.
Die Scheiche, Stammeshäuptlinge und Feudalherren haben sich oft zu Fabrikbesitzern oder Plantagendirektoren gewandelt. Manche behandeln ihre Arbeiter - wie seit alters her - mit patriarchalischer Fürsorge. Viele aber haben sich auch dieser Tradition entledigt.
Ansatzpunkte für den Kommunismus - der zur Zeit nur durch einen Abgeordneten im Parlament vertreten ist - sind bei einer so labilen sozialen Situation leicht gegeben. Darüber hinaus aber liegt für die führenden Männer des Regimes »Kuwatli« das Bestreben nahe, die soziale Unruhe in nationale Bestrebungen umzuformen.
Daher das großarabische Pathos, dem selbst die vom Großgrundbesitz und von der Industrie finanzierten Parteien des Landes huldigen, obgleich sie sehen, daß der großarabische Gedanke sich seit Nassers Revolution stark mit sozialreformerischen Ideen angereichert hat und - sollte er einmal Wirklichkeit werden - sie selbst unweigerlich mit hinwegspülen würde. Ihre Hoffnung ist, daß der arabische Nationalismus sich letztlich doch als ein Trug erweist, und mithin auch der Sozialismus als ein Lug.
Die immer wieder in alle verfügbaren Mikrophone gebrüllten Kampfparolen gegen den arabischen »Erbfeind« Israel sind das Hauptferment dieses unehrlichen Bündnisses zwischen arabischem Nationalismus und Sozialismus. Dazu kamen in den letzten Wochen in Damaskus die Haß -Tiraden gegen den Ministerpräsidenten des Irak, Nuri es-Said, der als letzte Säule des pro-britischen arabischen Feudalherrentums dieser Tage einen verzweifelten Kampf um Amt und Leben führt.
Syrien, der Irak und Jordanien sind künstliche Bildungen. Sie entstanden, nachdem Briten und Franzosen im ersten Weltkrieg das türkische Imperium zertrümmert hatten. Für die massenpsychologischen Strömungen Arabiens bedeuten diese Grenzen nichts oder nur wenig.
Syrische und ägyptische Rundfunksendungen hetzten in diesen Tagen die Massen in der irakischen Hauptstadt Bagdad, wo die sozialen Probleme die gleichen wie in Damaskus sind, zu Demonstrationen auf. König Feisal mußte in der vorletzten Woche den militärischen Ausnahmezustand verhängen.
Nuri es-Said versuchte schon vorher - und das ist typisch für die Entwicklung in allen arabischen Ländern - gegenüber dem sozialistischen Gegenwind im Innern durch nationalistische Parolen nach außen Tempo zu gewinnen: Er überbot den Anti-Israelismus seiner syrischen und ägyptischen Gegner, indem er erklären ließ, das Königreich Irak erkenne von nun an nicht einmal mehr die Uno-Resolution von 1947 zur Lösung des Israel-Problems an.
Diese Resolution - sie sah in Palästina eine Volksbefragung unter Uno-Aufsicht vor - war bisher die Grundlage der Israel -Politik aller arabischen Staaten. Nuri es -Said erklärte - sowenig glaubhaft seine Worte und sowenig durchführbar seine Vorschläge auch waren -, Israel solle einfach durch einen arabischen Gewaltakt liquidiert werden. Der Wettbewerb des nationalistischen Lügens wurde damit noch schriller und drängte im Gegenzug die Syrer zu neuerlichen verbalen Anstrengungen im Ringen um den besten Platz auf
dem Podest des arabischen Israel-Hasses. Wilde Verwünschungen gegen Israel ausstoßend, hatten Damaskus und Bagdad gleich bei Beginn der israelisch-britisch französischen Aggression in Ägypten Truppen in König Husseins pro-britisches jordanisches Reich einmarschieren lassen. Das Anti-Israel-Gekeife bot dabei die akustische Deckung für die Expansionstendenzen Syriens und Iraks: Beide Länder wollten ihren Massen einen nationalen Triumph als innenpolitische Beruhigungspille liefern - die Vergrößerung ihrer Länder um ein paar Quadratkilometer jordanischer Wüste.
Beide taten das mit einem Seitenblick auf die Möglichkeit, von Jordanien aus weitere Eroberungen zu machen, sei es auf israelischem Boden oder sei es sogar bei einem Angriff auf den jeweils anderen: Der Aufmarsch der syrischen und irakischen Truppen auf jordanischem Boden war zugleich auch ein Aufmarsch gegeneinander.
Nuri es-Said hoffte offenbar, bei dieser Gelegenheit die sozialistische Agitationszentrale und den gefährlichsten kommunistischen Infektionsherd des Nahen Ostens - Syrien - ausräumen zu können. Umgekehrt ließen die Sendungen der syrischen Radiostationen unschwer das Bestreben erkennen, im Irak eine soziale Revolte zu entfachen, die sich im Endeffekt zu einem Zusammenschluß des Irak und Syriens zu einem Groß-Syrien mit Damaskus als Hauptstadt nutzen lasse.
Bei dem Äther-Kampf um die Richtung und Tendenz einer künftigen irakischen Revolte war im übrigen ein deutlicher Unterschied zwischen der Agitationszentrale Damaskus und den Hetzsendungen Kairos für Irak zu erkennen: Während sich Nassers Sprecher in den letzten Wochen auf die Verbreitung großarabischer Mut- und Trostsprüche beschränkten - worin Nassers Abrücken von den Sowjets und seine Annäherung an die USA zum Ausdruck kamen -, lärmte Damaskus in durchaus proletarischer Manier gegen die »feudalen Ausbeuter des arabischen Volkes im Irak«, gegen die »Knechte des westlichen Kapitals« und gegen die »Marionette der britischen Ölkonzerne Nuri es-Said«.
Die Vokabel-Unterschiede zwischen Kairo und Damaskus beschreiben zutreffend den Unterschied zwischen der innerpolitischen Situation in Ägypten und in Syrien. Der syrische Geheimdienstchef Oberst Abd el -Hamid Sarradsch, den man als »Syriens Nasser« bezeichnet hat, steht in Wirklichkeit sehr viel weiter links als sein Vorbild.
Sarradsch ist - nach allem, was man von ihm weiß - wie Nasser Nationalist und Sozialist; er ist aber sehr viel mehr Sozialist als Nasser. Seine Position ist extremsozialistisch, wobei er freilich immer noch das verlogene Bündnis mit dem Anti-Israelismus und mit den syrisch-nationalistschen Plänen eines arabischen Großstaates aufrechterhält.
Dabei drängt ihn jedoch die Automatik dieses Bündnisses immer weiter nach links ab. In der Tat würde - darüber lassen fast alle arabischen Notabeln in verschwiegenen Gesprächen kaum Zweifel
- die Zerstörung des Staates Israel nichts
an den vitalen Problemen Syriens, des Irak und Ägyptens ändern.
Die wirklichen Probleme dieser Staaten würden sich wahrscheinlich bei einer kriegerischen Berührung mit den sozialen und wirtschaftlichen Leistungen des israelischen Bauern- und Arbeiterstaates beträchtlich verschärfen: Der syrische und der irakische Soldat würden, wenn sie Israel als Eroberer betreten sollten, sehen, was ein nicht feudaler Staat für den gemeinen Mann leisten kann.
Wohin das Bündnis mit dem hemmungslosen Nationalismus führt, hat Sarradsch in diesen Tagen zum Schaden seiner sozialistischen Überzeugungen bitter erfahren müssen. Auf seinen Befehl waren am 2. November die Pumpstationen der von den irakischen Ölfeldern zu den syrischen Mittelmeerhäfen führenden Ölleitungen zerstört worden.
Diese Tat hat jedoch nicht nur der irakischen und europäischen Wirtschaft, sondern auch der syrischen schweren Schaden getan. Nicht nur, daß die für das kapitalarme Syrien äußerst wichtigen Öl-Transitgebühren in Höhe von 211 140 Mark täglich ausblieben, das Versiegen des Öls legte auch die syrische Industrie weitgehend lahm, vermehrte somit die Arbeitslosigkeit und schließlich auch die soziale Unruhe.
Die syrische Regierung mußte Öl in Rumänien kaufen und in der vorletzten Woche sogar den gehaßten Nuri es-Said um Öllieferungen bitten. Oberst Sarradsch war kläglich gescheitert, wenngleich die syrische Mission in Bagdad vor einer Woche noch den Standpunkt vertrat, das durch Syrien transportierte Öl dürfe nur nach Italien und nach Westdeutschland, nicht aber nach England und Frankreich verschifft werden.
Dabei ist der syrische Staatshaushalt inzwischen auch noch durch sowjetische Waffenlieferungen belastet worden. In London hat man den Wert dieser Lief erungen mit rund 250 Millionen Mark beziffert. Tatsächlich dürfte er allerdings weit geringer sein und unter der 100-Millionen-Grenze liegen. Immerhin bleibt die Belastung mit einem Schuldposten für ein Objekt, das praktisch nutzlos ist.
Die syrische 25 000-Mann-Armee wird Jahre brauchen, bis ihre Soldaten die Waffen - darunter zum Beispiel sowjetische Düsenjäger - sachgemäß bedienen können. Der ruhmlose Untergang der ägyptischen Düsenjäger-Armada zeigt, welche schwierigen Probleme die Ausbilder der arabischen Armeen zu lösen haben.
Überdies: Angesichts der Gefahr, daß Syrien zum Infektionsherd eines kriegerischen Tohuwabohus an den wichtigsten Ölquellen der Erde werden könnte, bildete sich um das Land ein eiserner Ring von teils mißbilligenden, teils hassenden Gegnern.
Der Irak und die Türkei nahmen gegenüber Damaskus drohende Haltung an. Der türkische Außenminister reiste nach London, offenkundig, um Präventivmaßnahmen gegen Syrien zu verabreden. Präsident Eisenhower ließ erklären, daß er jede weitere Aggression im Nahen Osten als eine »sehr ernste Angelegenheit« betrachten werde.
Die kriegerische und sozialrevolutionäre Lüsternheit des Obersten Sarradsch durfte damit - wenn sie nicht wider alle Vernunft doch noch die latente Aufsässigkeit der syrischen Massen entzündet - abgewürgt sein. Von der Sowjet-Union hätte er, so meint man im Pariser Nato-Hauptquartier keine Hilfe zu erwarten.
In der letzten Woche legten die Nato-Generalstäbler den Regierungen und einigen Politikern des Atlantikpaktes eine Expertise vor, nach der die Sowjet-Union, wenn sie sich an einem syrischen Krieg gegen Engländer und Amerikaner beteiligen wollte,
- 21 bis 24 Frontdivisionen in Südrußland
bereitstellen,
- 12 bis 15 Divisionen in das Kriegsgebiet
entsenden und
- für einen Materialtransport von zunächst 1,8 Millionen Tonnen Kriegsmaterial und für laufenden Nachschub Sorge tragen müßte.
Das würde die Sowjets nach Ansicht der Nato-Experten vor unlösliche Transportprobleme stellen, es sei denn, sie wollten ihre Luftflotte für ein solches Unternehmen einsetzen. Man glaubt in Paris jedoch nicht, daß der Kreml sich in einem solchen Ausmaße auf einem Nebenkriegsschauplatz engagieren will. Man meint
vielmehr, daß der Kreml seine nahöstlichen und insbesondere seine syrischen Waffenlieferungen als politische Injektionen - als Demonstrationen der »brüderlichen Gesinnung der Sowjetmenschen gegenüber den unterdrückten Völkern« - betrachtet.
Tatsächlich ist das Wirken des Obersten Sarradsch nicht so sehr der möglichen militärischen Weiterungen wegen bedrohlich; bedenklicher ist, daß er mit seinem unreifen Wollen einen sozialen Notstand symbolisiert, die Tatsache nämlich, daß für die Führung der heranwachsenden arabischen Massen die westliche Demokratie nicht ausreicht, daß darüber hinaus auch nationalistisch-autoritäre Experimente à la Nasser die Tendenz haben, in linken Radikalismus umzuschlagen.
Dieser Sachverhalt beschreibt auch die Problematik der amerikanischen Nahostpolitik: Der Nasser-Faschismus, mit dem Amerika eine Zeitlang gegen den Kommunismus fraternisierte, ist letztlich auch keine Lösung der wirklich dringlichen sozialen Probleme Arabiens.
Selbst erz-moslemische Araberführer Syriens - Männer also, die den frommradikalen Gedankengängen des einstigen Großmufti von Jerusalem nahestehen - konzidieren unter vier Augen und in die Ecke gedrängt, daß der Koran keine Auskunft darüber gibt, wie man die sozialen Probleme einer 60 000 Köpfe zählenden Textilarbeiterschaft lösen soll.
Sie geben schließlich auch zu, daß etwa die islamischen Ehe-Bestimmungen wohl für einen Hirtenfürsten mit 100 Hammeln geeignet sind, nicht aber für den Lohnbuchhalter einer Kattunfabrik in Aleppo, und daß der den moslemnischen Rechtsgelehrten so verhaßte Umgang mit Maschinen angesichts der wachsenden Bevölkerungsziffern eine ebenso unausweichliche Notwendigkeit ist wie die im Orient nicht minder verpönte Geburtenbeschränkung.
* Apostelgeschichte, Kapitel 9. Vers 11
Ex-Großmutti Husseini
Haß in der Moschee
Syriens Staatspräsident Kuwatli
Nutzlose Rubel-Schulden
Iraks Premier Nuri es-Said
Versiegende Dollar-Gewinne