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GEMEINSCHAFTSWERK Nationaler Eintopf

aus DER SPIEGEL 16/1965

Die SPD gab den Anstoß, ein Sozialdemokrat leitete die Kommission, in der die Idee entwickelt wurde, aber die CDU machte daraus ihren Wahlschlager. Ludwig Erhard dröhnte vor dem Düsseldorfer Parteitag wie bei einer Schiffstaufe: »Ich schlage vor, es Deutsches Gemeinschaftswerk' zu nennen.«

Die Christdemokraten vernahmen aus Kanzlermund, was sie viereinhalb Jahre lang als sozialistischen Humbug abgetan hatten: daß »die Bewältigung der Gemeinschaftsaufgaben für uns eine nationale Lebensaufgabe ausmacht«. Dahinter verbarg sich das Eingeständnis, daß mit der »sozialen Marktwirtschaft"zwar Massenwohlstand geschaffen wurde, daß aber nicht minder wichtige Aufgaben wie Schul- und Krankenhausbau, Städtesanierung und Straßenbau zu kurz gekommen sind.

Das möchte Erhard nun nachholen. Aus den Steuereinnahmen von Bund und Ländern will er - bis zum Jahre 2000 - jährlich Gelder in Höhe von einem Prozent des Sozialprodukts abzweigen und dem Sondervermögen »Gemeinschaftswerk« zuführen. Hinzukommen sollen die Privatisierungserlöse und öffentliche Anleihen.

Aus diesem Nationaleintopf, dem zunächst jährlich etwa vier Milliarden Mark, später - mit wachsendern Sozialprodukt - bis zu zehn Milliarden Mark zufließen würden, sollen

jene Gemeinschaftsaufgaben finanziert werden, um die sich Bund, Länder und Gemeinden bisher gedrückt haben. An solchen dringlichen Projekten ist in der Bundesrepublik kein Mangel. So forderten allein für die nächsten fünf bis zehn Jahre

- die Kultusminister der Länder 52,5 Milliarden Mark für Schulbau, Kunst- und Wissenschaftsförderung,

- der Deutsche Städtetag 170 Milliarden Mark für den Aus- und Umbau der deutschen Städte und

- eine amtliche Gutachterkommission 100 Milliarden Mark für den Straßenbau.

Das Statistische Bundesamt schätzt den öffentlichen Investitionsbedarf für die nächsten acht bis zehn Jahre insgesamt auf 260 Milliarden Mark.

Diese Aufgaben hatte vor viereinhalb Jahren auch der inzwischen verstorbene SPD-Wirtschaftsexperte Heinrich Deist im Sinn, als er vorschlug, eine »Deutsche Nationalstiftung« zu errichten. Freilich wollte Sozialdemokrat Deist das Geld aus anderen Quellen schöpfen.

Durch eine Sonderabgabe der Großindustrie sollten jährlich 20 Prozent des Vermögenszuwachses - entweder in Form von Wertpapieren oder in bar - weggesteuert und der Stiftung zugeführt Werden. Jeder Bundesbürger sollte die Möglichkeit haben, Anteilscheine des Fonds, ähnlich den Investmentpapieren, zu erwerben.

CDU-Wirtschaftsprofessor Fritz Burgbacher spöttelte damals: »Die SPD schafft es nicht, sich von alten, liebgewordenen Vorstellungen kollektiver Lösung frei zu machen.« Die CDU/FDP -Koalition in Bonn glaubte, auch ohne das Nationalwerk genügend Straßen und Unterrichtsstätten bauen zu können.

Erst drei Jahre später drang auch bei der Bundesregierung die Ansicht durch, daß der riesige Nachholbedarf nur mit einer Reform der Steueraufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bewältigt werden könne. FDPFinanzminister Rolf Dahlgrün setzte eine Finanzreform-Kommission ein, die Vorschläge für eine Neuaufteilung der Steuergelder ausarbeiten soll: Zu ihrem Vorsitzenden avancierte der ehemalige hessische SPD-Finanzminister Heinrich Troeger, der heute als Vizepräsident der Deutschen Bundesbank vorsteht. Laufend erstattete die Troeger-Kommission der Bundesregierung Bericht über ihre Reform-Beratungen. So blieb auch dem Bundeskanzleramt nicht verborgen, daß die Finanzexperten unter anderem die Gründung eines Sonderfonds für öffentliche Investitionen berieten.

Troeger und seine Kollegen machten geltend, daß der Bund nur so einen reichgefüllten Konjunkturfonds erhalten werde, der vor den ausgabewütigen Parlamentariern sicher wäre. In Zeiten der Hochkonjunktur, so erwog die Kommission, sollte die Fonds-Verwaltung mit Ausgaben zurückhalten, bei einer Baisse hingegen die Wirtschaft mit öffentlichen Aufträgen ankurbeln.

Ludwig Erhard, um Zugnummern für den bevorstehenden Wahlkampf verlegen, zögerte nicht, die noch unausgegorene Expertenstudie für seine Zwecke nutzbar zu machen. Auf sein Geheiß rührte eine kleine Gruppe eingeweihter CDU-Mitarbeiter daraus den nationalen Eintopf »Deutsches Gemeinschaftswerk«.

Nur mit Mühe vermochten Erhards Mitarbeiter, ihn von festen Terminprophezeiungen abzuhalten, noch ehe die Betroffenen - der FDP-Bundesfinanzminister und die Ministerpräsidenten der Länder - überhaupt gefragt worden waren (NRW-Landeschef Franz Meyers: »Warum hat man mir das vorher nicht gesagt?").

Die Bundesländer sind keineswegs alle bereit, Ludwig Erhard zuliebe und ohne solide Finanzreform auf einen Teil ihrer Steuereinnahmen zu verzichten. Noch weniger scheinen Bundes- und Länderparlamentarier gesonnen, ihr Etatrecht an ein Gebilde »mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung' (Erhard) abzutreten.

Die freidemokratischen Koalitionspartner sind verärgert, weil Erhard auch ihren Finanzminister Dahlgrün nicht eingeweiht hatte. Namens der FDP aber hat Rolf Dahlgrün den Wählern öffentlich versprochen, künftige Einnahmeüberschüsse würden zu Steuersenkungen verwendet werden.

SPD:Wirtschaftsexperten Troeger, Deist: Wahlideen für die CDU

Handelsblatt

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