ÖSTERREICH Natur ganz pur
Wir werden den deutschen Urlaubern die Wadeln nach vorn richten«, hofft Handelsminister Josef Staribacher, zuständig für Fremdenverkehr.
Schluß soll sein mit müden Ferien in Sand und Sonne, Menschen aus der Bundesrepublik sollen künftighin jeden Sommer drei Wochen lang kräftig bergwandern -- in erster Linie für Österreichs kränkelnden Tourismus.
Schon seit 1970 nämlich lernt die »Sommerfrische Europas« (Lieblingsslogan der österreichischen Fremdenverkehrswerbung) eine unangenehme Lektion: Wirklich sicher ist nur das Winter-Geschäft.
Die Österreich-Mischung aus g"führigem Schnee, Gulasch und Blasmusik scheint derzeit noch konkurrenzlos. Zwischen Dezember und Mai stiegen die Urlauber-Übernachtungen verläßlich von Saison zu Saison -- in diesem Jahr um 7,6 Prozent. »Im Winter haben wir quasi eine Monopolstellung«, freute sich Helmut Zolles, Österreichs oberster Winterwerber.
Nicht so im Sommer. »In der Wiese liegen und mit der Seele baumeln« (weiterer Lieblingsslogan) läßt sich auch anderswo, und die braven Deutschen, die Jahrzehnte hindurch bis zu 80 Prozent aller Urlauber zwischen Boden- und Neusiedlersee stellten, sind
* Österreichs Handelsminister Staribacher (2. v. l.), Nationalbank-Generaldirektor Kienzl (2. v. r.).
ganz offenkundig Österreichmüde. Verschreckt durch hohe Preise und niedrige Temperaturen gehen sie sommers in immer größerer Zahl fremd.
1976 verkaufte sich der österreichische Sommer schlechter als 1975, 1977 nochmals schlechter als 1976. Selbst in der höchsten Hochsaison standen die Zimmer reihenweise leer. Die Ausländer-Nächtigungen insgesamt sackten um rund vier Prozent ab, die der Deutschen gar um mehr als fünf Prozent.
Dies bedeutet für Österreich fast schon eine Katastrophe. Denn das kleine Land, touristisch eine Großmacht, lebt mit seinen 625 000 gewerblichen und 470 000 privaten Gästebetten von den Fremden. Sie sichern ihm die welthöchste Tourismus-Deviseneinnahme pro Kopf der Bevölkerung -- etwa 1000 Mark -, während die dahinterliegende Schweiz auf etwa 900 Mark kommt.
1976 konnten sich die Österreicher den Rückgang noch mit der Wirtschaftsflaute in der Bundesrepublik erklären. Zolles: »Wenn die Bundesdeutschen nasse Fuße haben, kriegen die Kärntner und Tiroler automatisch Schnupfen.« Nun aber scheint die Stunde der Wahrheit gekommen. Hektisch suchen die Wiener Behörden nach der rettenden Wunderkur.
»Unsere Crux liegt darin, daß wir kein Meer haben«, erkannte Minister Staribacher unwiderlegbar. Ergebnis seines Grübeins: »Österreich braucht eine Sommerattraktion, die dem winterlichen Skifahren gleichkommt:«
Solche zwingende Anziehungskraft kann nach Meinung des naturliebenden Ministers ("Ich bin ein Waldläufer") allein das Bergwandern ausüben. »Bergwandern ist hochaktuell«, findet Staribacher mit Blick auf »Nostalgie- und Trimmwelle. Bergwandern könne die kurze sommerliche Touristensaison wohltuend verlängern und die Gäste auch bei trübem Himmel festnageln.
Gestartet wurde die Wander-Werbekampagne am 23. Oktober sehr stilvoll -- durch ein Gipfelgespräch auf dem 1903 Meter hohen Schneeberg südlich von Wien. Hauptbeteiligte nebst Staribacher: Nationalbank-Generaldirektor Heinz Kienzl, Spitzenbeamte des Tourismus, Funktionäre des Alpenvereins und berühmte Alpinisten, allesamt natürlich in Bergkluft. Hauptthema: wie macht man den Deutschen Beine?
Daß der Durchschnittsurlauber möglicherweise gar nicht bergwandern will, macht den Österreichern das allergeringste Kopfzerbrechen. Wollte er etwa skiwandern? Trotzdem loipt er besessen, seit billige Langlaufbretteln und fesche Kleidung am Markt sind.
»Entscheidend ist, ob die Freizeit-Industrie voll einsteigt«, urteilt Staribacher. »Mit den alten Klamotten, die wir heutzutage am Berg tragen, geht"s nicht. Wir brauchen mehr modischen Chic.«
Noch dringlicher freilich braucht Österreich mehr Infrastruktur jenseits der 1000-Meter-Grenze. Natur ganz pur läßt sich heutzutage schwer verkaufen, weil sie unbequem ist und ihr eine Art Arme-Leute-Geruch anhaftet. Zufriedenheit und Devisen stellen sich erst bei Romantik plus Komfort ein, bei Hüttenzauber, Waldmeister-Bowle und Forstlehrpfad, an dem Bäume Schilder tragen wie: »Ich bin eine Tanne.«
Bis Ende November soll nun auf Kosten der Österreichischen Nationalbank eine Studie über die technischen und finanziellen Voraussetzungen des großen Aufbruchs in die Berge erstellt werden. Sie dürfte vor allem Mängel enthüllen: > Nur 119 Seilbahnen und 379 Sessellifte surren in Österreich auch im Sommer;
* es fehlt an komfortablen Rastplätzen und Schlafstellen, von den ca. 880 Alpenvereinshütten sind 50 Prozent reparaturbedürftig, ein Gutteil hat kein Wasser;
* zu wenig Wege sind markiert und instandgehalten. Die sogenannten Wegewarte des Alpenvereins, denen die Kontrolle der Wanderstrecken obliegt, arbeiten nur ehrenamtlich; > wichtige Probleme der Haftung und der Versicherung sind bislang noch ungelöst.
So wird Staribachers Ministerium zunächst viel investieren müssen, um Österreichs Berge für den Ansturm der Deutschen zu rüsten -- falls die überhaupt kommen. Frühestens in drei Jahren soll die Bergwelt bereit sein.
Bis dahin sollen Psychologen und Werber auch die letzte der delikaten Fragen geklärt haben: Wie grenzt man das Bergwandern aufs bekömmliche Ausmaß ein? »Wenn uns das nicht gelingt«, mutmaßt Heinz Kienzl düster, »fallen uns die ehrgeizigen Deutschen wie die Zwetschen runter.«