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Briefe

NEBENVERDIENST
aus DER SPIEGEL 52/1970

NEBENVERDIENST

(Nr. 49/1970, Peter Brügge über den Schummel bei Umfragen)

Ihr ausgezeichneter Bericht über die Meinungsbefragung ermutigt mich, eine Überlegung auszusprechen, die ich schon während eines längeren Zeitraums erwogen habe: Die kommerzielle Meinungsbefragung ist in gewisser Weise mit einem auf drei Beinen A, B und C stehenden Tisch vergleichbar, wobei A der Auftraggeber, B das Forschungsinstitut und C ein fixierter Personenkreis ist. A läßt sich eine Befragung etwas kosten, B kann offenbar ganz gut davon leben, C jedoch, ohne dessen Mitwirkung der Tisch umfallen würde, geht leer aus. C verschwendet seine Zeit und gibt ein kostenloses Interview, damit B verdient und A ein Resultat bekommt, das ihm offenbar zumindest den vereinbarten Preis wert ist. Eine solche Meinungsbefragung beruht auf einer Ausnützung der menschlichen Gutmütigkeit und Dummheit und ist daher unmoralisch. Jeder Befragte müßte meines Erachtens einen dem Befragungsvolumen angemessenen Betrag erhalten. Dann hätte auch der Interviewer ein leichteres Arbeiten, und vielleicht würde sogar die Flut der Umfragen etwas eingedämmt, da die Kosten einer Umfrage ansteigen würden.

Esslingen (Bad.-Württ.) HEINRICH SPIETH

Vom »Selbstbewußtsein der Wissenschaft« sind sie wohl weniger durchdrungen, die da als demoskopisches Fußvolk des Bundesbürgers Meinung einholen wollen: viel eher ist"s der schnöde Mammon, der sie von Tür zu Tür treibt. Denn viele dieser Interviewer sind -- anders als ein SPIEGEL-Reporter -- auf den kärglichen Nebenverdienst angewiesen, den ihnen der Kontakt im Dienste der Wissenschaft einbringt. Und was liegt da näher, als das Wissenschafts-Gewissen zu unterdrücken und ganz »menschlich verständlich« die Statistik zu frisieren.

Hagen (Nrdrh.-Westf.) RONALD GRÄBE

Dieser Artikel erfordert eine Stellungnahme. Herr Brügge sagt selber, er habe zwei Wochen im Auftrage eines Befragungsinstitutes als Interviewer gearbeitet. Diese erhebliche Zeitspanne hat also Herrn Brügge einen so reichen Erfahrungsschatz gebracht, daß er zwei Selten lang über dieses Thema polemisieren kann? Erstaunlich! Was würde der SPIEGEL-Verlag sagen, wenn ein -- sagen wir -- Volontär, der ganze zwei Wochen in die Arbeit der Redaktion hineingerochen hat, sich In ähnlicher Weise über die dort anfallende Arbeit auslassen würde? Ich interviewe seit dreizehn Jahren und kann somit wohl für mich in Anspruch nehmen, die Fakten etwas klarer zu sehen.

Hamburg WILHELM SIMON

Vor zwei Jahren befragte mich in meinem Haus ein älterer Herr über meine Lesegewohnheiten, Zeitungen, Zeitschriften und so weiter. Angeblich im Auftrag des Bauer-Verlags, Hamburg. Nach 20 Minuten angenehmen Gesprächs war er fertig und erklärte, die letzten Seiten könne er nun selbst zu Hause ausfüllen. Einige Monate« später kam er wieder, diesmal nur an mein Gartentor: »Ich kenne Sie ja bereits, da kann Ich es kurz machen.« Er wollte für ein Hamburger Unternehmen der Kaffeebranche wissen, was ich trinke, welchen Kaffee, wieviel und wie oft. Nach fünf Minuten faltete er den Fragebogen zusammen und verabschiedete sich. »Den Rest kann ich dann selbst ausfüllen.« So also kommen auch Meinungsumfragen und Marktanalysen zustande. Wen wundert's dann, wenn etwa die Schuhindustrie sich mit dem klobigen Damenschuh-Absatz -- im doppelten Sinne des Wortes -- vertan hat, wenn die Textilindustrie vermutlich mit dem Maxi-Rock hereingefallen ist und wenn die Fernsehgeräte-Hersteller sich mit der Menge der Farbgeräte verkalkuliert haben, von den politischen Parteien ganz zu schwelgen. Bad Aibling GÜNTHER OHLBRECHT

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