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»Nehmen Sie ihn nicht fest«

Als Atomspion Abdul Qadir Khan in den Niederlanden arbeitete, hielt die CIA ihre schützende Hand über ihn.
aus DER SPIEGEL 33/2005

Wie konsequent sind die Vereinigten Staaten im Kampf gegen die »Achse des Bösen«? Verfolgen ihre Geheimdienste wirklich gnadenlos die Schurken dieser Welt?

Zweifel bekamen vergangene Woche neue Nahrung. Es geht um die Rolle von Abdul Qadir Khan. Der Kernphysiker gilt nicht nur als »Vater der pakistanischen Atombombe«. Er ist auch verstrickt in den wohl größten Proliferationsskandal der Geschichte.

Khan war es, der von Rawalpindi aus einen Schwarzmarkt für Atomtechnologie entwickelte und entscheidende Komponenten wie Zentrifugen oder Baupläne nach Iran, Libyen und wohl auch nach Nordkorea weiterreichte.

Forscher Khan hat sein Wissen in den Niederlanden erworben. Er studierte in den sechziger Jahren an der Technischen Universität in Delft, arbeitete später in einem Physiklabor in Amsterdam und schließlich für einen Subunternehmer der Firma Urenco in Almelo, eines deutsch-niederländischbritischen Konsortiums zur Anreicherung von Uran.

Dem niederländischen Geheimdienst blieb nicht verborgen, dass der Wissenschaftler sich auffallend für die hochmodernen Urenco-Zentrifugen interessierte. 1974 gelang es ihm dennoch, in Almelo ein Büro zu beziehen. Kurze Zeit später wollten ihn die Niederländer wegen Spionage festnehmen. Da senkte sich eine schützende Hand über ihn - die des Geheimdienstes CIA.

Welche Rolle Langley spielte, enthüllte vorige Woche der frühere niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers: »Sie sagten uns: Geben Sie uns alle Informationen, und nehmen Sie ihn nicht fest.« Lubbers, seinerzeit Wirtschaftsminister, gab zerknirscht zu: »Ich hatte Zweifel, dass das der richtige Weg war.«

Statt Khan zu verhaften, wurde er auf einen weniger exponierten Posten versetzt. Das hat ihn offensichtlich gewarnt. Nach einer Pakistan-Reise kehrte er 1975 nicht nach Holland zurück.

In seiner Abwesenheit machte man ihm 1983 den Prozess. Das Gericht verurteilte ihn zu vier Jahren Gefängnis; in einem zweiten Verfahren 1985 sprach man ihn wegen Formfehlern frei. Doch die niederländischen Behörden wollten dagegen keine Revision einlegen - laut Lubbers auf Intervention der USA.

Mindestens zweimal reiste Khan danach in die Niederlande, um weiter dringend benötigte Geräte zur Urananreicherung zu beschaffen. »In dieser Zeit hat man uns überschüttet mit Angeboten«, spottete der Pakistaner.

Lubbers' Enthüllungen bewegen nun die politische Klasse in Den Haag. Die derzeitige Regierung unter Premier Jan Peter Balkenende steht unter starkem Beschuss wegen ihrer Nibelungentreue zu den USA. Wollte Balkenende weitere Diskussionen meiden, indem er Dossiers über die CIA-Verstrickungen in die Affäre Khan verheimlichte? Als um die Jahreswende erste Verdachtsmomente aufkamen, fragten Oppositionspolitiker beim Justizministerium an. Dort wiegelte man ab.

Die Nachsicht der CIA verdankte der junge Kernphysiker Khan wohl dem Kalten Krieg. Indien war auf bestem Wege, die Atombombe zu entwickeln. Es passte in die Abschreckungslogik der damaligen Zeit, Delhi durch Pakistan zu neutralisieren, als nukleares Gegengewicht. Doch dann geriet der Bombenbastler außer Kontrolle.

Die Niederländer plagen sich nun mit der Erkenntnis, dass sie zweifelhaften Regimen beim Bau der Atombombe geholfen haben - nach dem Srebrenica-Trauma ein weiterer Schlag für Hollands Selbstverständnis.

GERALD TRAUFETTER

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