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Neonazis: »Thors Hammer« im Libanon

Der vom Bürgerkrieg zerrissene Libanon, bisher vor allem von RAF-Terroristen als Unterschlupf bevorzugt, wurde zunehmend auch Reiseland für Europas Rechte. Vier junge Neonazis aus der Bundesrepublik wollten dort untertauchen. Ihre Spuren enden zwischen den Fronten von Gerüchtemarkt, Waffenhandel und Guerillakampf.
aus DER SPIEGEL 4/1981

Der hölzerne Schiffskörper beginnt leise zu zittern«, zünftig tunkt der Passagier, ein Redakteur der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« auf Reisen, »Brotfladen in Olivenöl und getrocknete Thymianblüten«. Da versinkt schon, »schwarzblau«, die Küste Zyperns im Westen. Ringsum ist »immer noch das rotweinfarbene Meer des Homer«. Erst morgens nimmt das gefühlige Bildungsschippern ein Ende, kommt die »phönizische Küste« in Sicht.

So reist sich''s recht in den Libanon, auch zu Zeiten von Bürgerkrieg, Terror und Stalinorgeln im geteilten Land. Doch eine weitere Annehmlichkeit hat der delikate Trail -- so kommt man nämlich auch ohne Visum hinein.

Immer öfter wählen bestimmte Reisende das vom Frankfurter Blatt beschwärmte Fahrtenziel. Viele Kaufleute, ausländische Politiker, auch solche von der CDU, die dann Falange-Aufmärsche abnehmen oder, wie der Berliner Heinrich Lummer nebst Delegation, Zeuge »der Beschießung der christlichen Viertel von Beirut« (Reiseprogramm) werden möchten.

Solche Reisen führen erst einmal nach Dschunia, Hauptstadt und Versorgungshafen des von der rechten Bürgerkriegspartei »Libanesische Front« beherrschten Landesteils -- 2200 Quadratkilometer zwischen Meer und Libanongebirge, Ostbeirut eingeschlossen. Hier regiert, einem Kondottiere ähnlich, der rechtsgerichtete Christ Beschir Gemayel.

Dessen Partei, einst nach dem Vorbild der spanischen Faschistenbewegung aufgebaut, nennt sich noch heute demonstrativ »Falange« -- arabisch: Kataib. Sie sorgt, mitten im Bürgerkrieg, in ihrem Bereich für Ruhe und Ordnung auf falangistisch, vielerorts bewundert, nur eben bisweilen blutig.

Hier steuert her, wer, wie der »FAZ«-Schiffsreisende, nicht gern »mit den arabischen Wölfen im Libanon heult«. Gemeint sind jene Moslem-Milizen, Palästinenser und syrischen Militärs, die den S.69 zweiten Hauptzugang zum Land, den Flughafen von Beirut, in ihrer Gewalt haben. Denn dort gibt es, so das »FAZ«-Fazit, »keine Sicherheit mehr für Europäer«.

Ein junger Europäer entschied sich letzten Sommer für den Weg, auf dem man kein Visum braucht. In den Libanon reiste der 17jährige Münchner Peter Hamberger, ein Rechtsradikaler, der in heimatlicher Umgebung schon als »so ein richtiger Nazi« gilt.

Daheim sagte Hamberger zuletzt, er wolle mit ein paar Begleitern für anderthalb Jahre zu »einer Art Ausbildung« fort. Am 26. Juli ging es per Bahn auf die Reise, die, wie er sagte, zwei Tage dauern würde.

Wenig später traf zu Hause Post ein. Peter Hamberger schrieb, es gehe ihm gut, abgesehen von ein paar »Ausweisschwierigkeiten«, die aber »bald behoben« sein würden. Neuerdings trage er einen Bart. Bald mehr von allem in einem zweiten Brief, mit Bild.

Brief und Bild aber kamen nie an. Statt dessen rief eines Tages ein Unbekannter, angeblich aus Frankfurt, bei Hambergers Mutter an und richtete Grüße von Peter aus: Alles sei auch weiterhin in Ordnung, Grund zur Sorge bestehe nicht.

Bedenklich wurde es dann aber doch gegen Ende September. Da erschien Peter Hamberger in der Beiruter Botschaft der Bundesrepublik. Gemeinsam mit drei Freunden bat er um Hilfe. Die vier stellten sich als Touristen vor und berichteten von einem Raubüberfall zwei Tage zuvor, bei dem Bewaffnete ihnen Pässe, Flugtickets und alles Geld abgenommen hätten.

Pflichtgemäß halfen die Diplomaten. Noch am gleichen Tag, dem 22. September, erhielt das Quartett Notausweise und etwas Zehrgeld. Zwei Tage später, frühmorgens, bekamen sie in dem auch von bewaffneten Palästinensern bewachten Botschaftsgebäude Tickets mit einem schon für den Mittag gebuchten Abflugsdatum. Doch die Maschine flog ohne die vier, und bereits am Nachmittag dieses 24. September wußte ganz Beirut, warum.

Radio Freies Libanon, der in Ostbeirut stationierte Sender der Falangisten, brachte gegen 14 Uhr schlechte Nachrichten: Demzufolge wurden die Deutschen vor Erreichen des Flughafens von einem Entführungskommando gestoppt, in zwei Wagen gezerrt und weggebracht. Die Auftraggeber benannte der Sender auch: die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO).

Ort des Vorfalls war Westbeirut, also der Kontrollbereich der anderen Bürgerkriegsseite. Trotzdem wußte die »Libanesische Front« eingehend Bescheid. Sie nannte auch die Namen Hambergers und seiner drei Freunde: Odfried Hepp, 22, aus Achern in Baden; Steffen Dupper, 22, aus Karlsruhe; Kay-Uwe Bergmann, 21, aus Hamburg.

Alle sind in der Bundesrepublik amtsbekannt. In Karlsruhe ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen und auch terroristischen Vereinigung, wegen geplanter Verbrechen und verschiedener strafbarer Aktivitäten im Zusammenhang mit Neonazi-Propaganda.

Die Libanon-Reisenden gehörten, so die Staatsanwälte, neonazistischen Untergrundbünden an, die sich mit furchteinflößenden Namen bezeichnen, etwa »Aktionsfront nationaler Sozialisten«, »NSDAP-Trupp«; eine nannte sich nach dem 1923 von Franzosen erschossenen NS-Märtyrer »Wehrsportgruppe Schlageter Ortenau«. Eines ihrer Flugblätter trägt die Unterschrift »Thors Hammer«.

Diese Gruppen unterhielten Kontakt zu anderen braunen Bünden, auch zu dem amerikanischen NSDAP-Jungmann Garry Lauck. Von dem bezogen sie Flugblätter und Aufkleber mit Inschriften wie »Kauft nicht bei Juden« und »Rotfront verrecke«. All das bunkerten sie in unterirdischen Anlagen des früheren Westwalls -- »pfundweise«, wie einer ihrer Verteidiger schätzt.

Die vier Libanon-Reisenden waren mit allerlei Querverbindungen im rechten Untergrund verankert.

Odfried Hepp, ein Student, der auch als Lkw-Fahrer jobbte, wohnte zuletzt in Mainz-Gonsenheim beim Gärtner Kurt Müller, einer im Südwesten bekannten S.71 Figur der rechten Szene. Müller, der seit längerem junge Braune beschirmt, beschäftigte auch den 23jährigen Frank Schubert, der am Jahresende an der Schweizer Grenze einen Zöllner, dann einen Polizisten erschoß und nich anschließend das Leben nahm.

Aus dem Mainzer Freundeskreis weist noch eine weitere Spur direkt nach Nahost. Arndt Heinz Marx, ein 23jähriger Freund Schuberts und Mitglied einer »sogenannten Hitlerbande« (Marx) im Hessischen, ist weggetaucht, und die Ermittlungsbehörden glauben, man könne ihn »mit Sicherheit im Libanon bei den christlichen Milizen finden«.

Hepps Bekanntenkreis hat aber auch in Westdeutschland tiefe Spuren hinterlassen: Gelegentlich rief bei Odfried Hepp auch jener Gundolf Köhler an, der mutmaßlich für das Bombenmassaker beim Münchner Oktoberfest verantwortlich war. Auch Hepps Freund und Libanon-Begleiter Peter Hamberger hat was mit Köhler gemein. Beide taten sich bei der mittlerweile verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann um.

Neben dem Aufkommen solcher Verwicklungen gab es für die Rechtsaktiven noch einen weiteren Grund, sich in die Ferne abzusetzen: In der Bundesrepublik lag die Anklageschrift vor, für Anfang des Jahres war beim Landgericht Karlsruhe ein Prozeßtermin anberaumt -- wenn auch mittlerweile das Stuttgarter Oberlandesgericht den ursprünglichen Anklagevorwurf, der sich auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bezog, beseitigt hat. Gleichwohl: Nach ihrem Verschwinden erging gegen Hepp, Bergmann und Dupper Haftbefehl.

Für abtauchende Extremisten war der Libanon stets eine gute Adresse. Mitglieder des linken Untergrunds in Europa, darunter viele Deutsche aus der Baader-Meinhof-Generation, fanden während der siebziger Jahre über Beirut in den Nahen Osten Eingang, beherbergt und trainiert von palästinensischen Revolutionsgruppen, denen die Deutschen im Gegenzug manches Geschäft besorgten, vom Sprengstofftransport nach Israel bis zur El-Al-Entführung nach Entebbe.

Seit dem Bürgerkrieg im Libanon steht dieses Tor auch für die Rechten Europas offen. Außerdem schätzt das Kataib-Land, bedroht von syrischer Armee und verschiedenen Moslem- und Palästinenserverbänden, jede zusätzliche Hand am Drücker.

Und der Bürgerkrieg braucht Material. Neben Schießzeug wird auch Transportgerät benötigt. Seit vielen Jahren werden beispielsweise Autos aus Deutschland in den Libanon transferiert, stückweise im Ameisenverkehr, aber auch in ganzen Partien. Einer, der nach Ansicht deutscher Ermittlungsbehörden »ganz dicke im Geschäft« ist -- Karl-Heinz Hoffmann aus Schloß Ermreuth in Franken.

Seit seine Wehrsportgruppe behördlich stillgelegt worden ist (SPIEGEL 6/1980), hat sich der von seinen rechten Jungmannen ehrfurchtsvoll »Chef« Titulierte besonders aufs -- völlig legale -- Libanon-Busineß mit ausgedienten Bundeswehr-Lkws verlegt. Auf zwei Dutzend schätzen amtliche Ermittler die Kopfstärke jenes Zirkels, der Hoffmann die Autos transportieren hilft.

Mitunter dauert es, bis die Ware übergeben und beim Geschäftspartner die Bezahlung losgeeist ist. Die Transporteure nutzen die Zeit zu Fitneßtraining, auch zu Schießübungen. In dem Land, wo eine Pistole in aller Öffentlichkeit zu erwerben und so billig ist wie ein Kilo Haschisch (nicht einmal 300 Mark), stört nicht weiter, wenn es qualmt und kracht. Deutsche Staatsschützer, in der Ferne machtlos, sind überzeugt, daß bei solchen Gelegenheiten die Exportgruppe Hoffmann wieder wacker Wehrsport treibt.

So bietet sich auch für rechte Republikflüchtige vor allem der christlichfalangistische S.74 Teil des Libanon als Unterschlupf ohne weiteres an -- jedoch nur auf den ersten Blick. Die Fronten nämlich laufen vertrackt.

Bisweilen schießen die Parteien auch intern aufeinander. Zudem kann es dem Jungrechten im Trainingscamp durchaus geschehen, daß er, beispielsweise im südlibanesischen Kampfbereich des antipalästinensischen Christenführers Saad Haddad, auf Instrukteure aus dem verhaßten Israel trifft.

Andererseits: Karl-Heinz Hoffmann wird bei gelegentlichen Libanonbesuchen auch von den Rechten scheel verfolgt. Mit einem roten Auto aus Deutschland (Kennzeichen FO-RU 71), so klagt ein Kataib-Mann, sei der Bayer unlängst wieder durchs Land gekurvt und habe Geschäfte mit den Palästinensern getätigt.

Zwar bestreitet die PLO, mit dem kompromittierenden Herrn Hoffmann mehr als die Abneigung gegen Israel gemeinsam oder gar direkte Geschäfte zu haben. Bestritten wird aber nicht, daß Hoffmann-Laster bei der PLO gelandet sind.

Wie gefährlich es wohl ist, wenn man sich im Libanon ohne Behutsamkeit zwischen den Fronten bewegt, geht aus den unterschiedlichen Schilderungen hervor, die Falange und PLO vom Verschwinden der jungen Deutschen geben. Beide Versionen sind in nahezu allen Punkten entgegengesetzt, aber in einem stimmen sie glaubhaft überein: Die vier müssen, wenn sie tatsächlich gegriffen wurden, unerbittlichen Leuten in die Hände gefallen sein.

Die Kataib-Version: Die vier jungen Deutschen wurden schon im August in Begleitung des Wehrsport-Hoffmann gesehen. Sie lebten und trainierten in einem Lager der Palästinenserorganisation Fatah. Mit ihren Gastgebern gerieten die Deutschen in Zwist, als sie den Auftrag verweigerten, an einer »Attacke in Aschrafie«, dem falangistischen Teil Beiruts, teilzunehmen. Darauf quartierten sich die vier für drei Tage im Westbeiruter Hotel Commodore auf eigene Kosten ein, am 20. September, jenem Tag, an dem sie, laut Erzählung in der Botschaft, aller Papiere und Barmittel beraubt worden sein wollen.

Der Versuch, den Libanon zu verlassen, scheiterte am 24. September gegen elf Uhr kurz vor Erreichen des Flughafens. Am Kocody-Gebäude, einem ehemaligen Hotel- und Einkaufskomplex, stoppten die Entführer das Taxi der Deserteure und verschleppten die vier Fahrgäste.

Die PLO-Version: Die Deutschen sind über Dschunia eingereist und zu den falangistischen Kämpfern gestoßen. Dort behielt man erst einmal ihre Pässe ein. Aus unbestimmbaren Gründen tauchten die Deutschen zwecks Beschaffung von Reiseunterlagen im moslemisch kontrollierten Westbeirut auf, wohnten drei Nächte im Commodore.

Die Nacht vor dem Abflug indessen verbrachten sie wieder auf christlichem Gebiet, in einem Hotel in Beit Meri in den Bergen nordöstlich von Beirut. Von dort wurden sie am Morgen des 24. September durch einen falangistischen Taxifahrer abgeholt und zunächst über die Demarkationslinie nach Westbeirut gebracht, dann zu unbekanntem Ziel weiterbefördert. Die Koffer blieben in Beit Meri zurück. Die PLO zu dem an ihre Adresse gerichteten Entführungsvorwurf: »Kein Wort wahr.«

Gesichert an den letzten Spuren, die das Quartett hinterließ, ist wohl nur zweierlei: Ihre letzte Nacht haben die vier im Hotel Arcasia in Beit Meri verbracht, und befördert wurden sie von einem Taxifahrer namens Schanine, der den christlichen Vornamen Josef trägt. Unter den übrigen Hinweisen zum Vorfall, die in Umlauf gebracht wurden, überwiegt Desinformation.

Beide Bürgerkriegsseiten, die einander nun beschuldigen, die vier Deutschen in Gewahrsam genommen zu haben, kämen als Taturheber durchaus in Frage. Der von beiden Seiten gepflegte schonungslose, oft grausame Kampfstil ließe für ausländische Legionäre, die in die Hand der gegnerischen Parteien fallen, Schlimmes gewärtigen.

Auffallend exakt ist das Hauptquartier der »Libanesischen Front« mit dem Geschehen vom 24. September vertraut. Obwohl vom angeblichen Tatort durch die Beiruter Demarkationslinie getrennt, brachten die Falangisten aus dem Kontrollbereich des Bürgerkriegsgegners neben allerlei Exklusivwissen sogar noch reichlich Sachbeweise heraus -- und anschließend, wohldosiert, in die Öffentlichkeit.

Die Kataib wußte sogar, daß die erst am 22. September ausgestellten Ersatzpapiere der Verschwundenen durchlaufend numeriert waren, von 057216 für Dupper bis zu 057219 für Hamberger.

Eine Woche nach dem Abgang der vier wartete die Falange dann auch noch mit deren Habseligkeiten auf. Sie ließen, wie ein Mittelsmann berichtet, S.76 in der Deutschen Botschaft »leichtes Gepäck« abgeben, »nicht alles, was denen gehörte«, aber immerhin »Sporttaschen und Tüten, darin Sachen wie Jeans und Wäsche, und auch Nazi-Literatur«.

Zum Beweis ihrer perfekten Hintergrundkenntnisse lancierten die Kataib-Vertreter neuerdings auch Bilder des Quartetts. Es sind Paßphotos, die im Karree nebeneinandergelegt und mit einer Polaroid-Kamera reproduziert worden sind.

Die einzelnen Aufnahmen wurden in handschriftlichen Druckbuchstaben mit Namen betextet. Zum Vorzeigen des Viererporträts werden diese Namenszüge abgedeckt, um, so die Begründung, »aus der Handschrift keine Rückschlüsse auf Personen zu ermöglichen«. Die Bilder sind ungestempelt, entstammen also nicht Ausweispapieren.

So mysteriöse Beschaffung und Handhabung von Beweismitteln könnte darauf hindeuten, daß die Kataib-Männer am Verschwinden der vier nicht nur als Berichterstatter teilgehabt haben. Argwohn schaffen auch offenkundige Ungereimtheiten ihrer Version. Der Überfall kann sich nämlich auf keinen Fall so abgespielt haben, wie die Falangisten es darstellen. Ort, Zeit, Tatumstände -- so gut wie nichts klingt plausibel.

So läge der Tatort im Blickfeld einer Straßensperre und eines Nachrichtenquartiers der syrischen Streitkräfte. Die aber kontrollieren die palästinensischen Aktivitäten straff und würden kaum bei einer bewaffneten Entführung Komplizenschaft üben. »Sechs bis acht Schwerbewaffnete« in zwei Autos sollen die Entführung bewerkstelligt haben -- eine Version, die ebenso hergeholt klingt wie die Kataib-Erklärung zur Frage, wo da noch Platz für vier Entführte gewesen sein soll ("Vielleicht im Kofferraum").

Und merkwürdig überdies, daß der Überfall zur mittäglichen Rush-hour auf einer dichtbefahrenen Straße nur von einem einzigen Gewährsmann, dem christlichen Taxifahrer, bezeugt wird.

»Eine sehr schlecht präparierte Geschichte«, spottet ein Sprecher der gegnerischen Fatah über die Entführungsstory, die in der Tat mehr wie eine Räuberpistole klingt. Alles vielleicht nur Tarnung eines geheimen Zusammenspiels von Kataib und Jungfaschisten? Praktisch wäre die Koalition möglich, ideologisch sogar naheliegend.

Doch für ein Ränkespiel war der Auftritt der Deutschen zu unkontrolliert. Statt planvoll vorzugehen, zeigten sie nur die Bereitschaft zu lauter halsbrecherischen Risiken. So sind die Umstände des abenteuerlichen Hin und Her zwischen den beiden Bürgerkriegslagern allenfalls noch aus unbedarfter Forschheit zu erklären. Womöglich ohne es zu wissen, bewegten sich die Deutschen damit in Lebensgefahr.

Ohne Folgen blieb zunächst die Dreistigkeit des braunen Jungvolks beim Erschwindeln von Geld, Papieren und Flugtickets in der Deutschen Botschaft. Den Beamten war nicht weiter aufgefallen, daß die angeblich vollkommen Ausgeraubten erstaunlicherweise für Angaben zur Person allesamt noch ihre Personalausweise präsentieren konnten und im teuren Commodore-Hotel logierten.

Dort protzten sie mit Geld, allein an einem Tag ergab die Rechnung für Zimmerservice über 250 Mark. So fielen sie noch zusätzlich auf, an einem Ort, wo sie möglichen Verfolgern ohnedies nicht entgangen wären: Mit seinem international gemischten Publikum -- darunter viele Nachrichtenbeschaffer, keineswegs nur Journalisten -- gilt das Hotel als eine der allerersten Informationsdrehscheiben der Stadt.

So lautstark die jungen Deutschen sich Ende September in Beirut bemerkbar machten, so geräuschlos verließen sie die Szene, gleich nachdem sie am 24. morgens in der Deutschen Botschaft ihre Tickets geholt hatten. Nur einmal noch kam eine Nachricht: Im Dezember rief ein Unbekannter bei Odfried Hepps Vater an und behauptete, der Sohn sei am Leben und wohlauf. Doch Näheres über sein Wissen und das Motiv seines Anrufs gab der Anonyme nicht preis.

Den Ermittlern haben die Verschwundenen statt Spuren nur drei Hypothesen hinterlassen. Die ersten beiden Theorien unterstellen ein Zusammenspiel zwischen Neonazis und Kataib-Christen bis zuletzt; die Falangisten könnten den deutschen Gästen behilflich gewesen sein, entweder eine Legende fürs Untertauchen vor der Strafverfolgung in Europa zu fingieren oder ein Alibi für gleichzeitige Straftaten außerhalb des Libanon.

Daß ein deutscher Staatsanwalt eines Tages die Ermittlungsakten mit dem Vermerk »Verschollen im Bürgerkrieg« S.78 zuklappen könnte, wäre für die per Haftbefehl Gesuchten immerhin eine Spekulation wert. Und: Hinwegfingieren ließe sich mit Hilfe einer Entführungslegende beispielsweise auch eine mögliche Verbindung der Betroffenen zu jenem Bombenschlag, den der Gesinnungsgenosse, Konfident und Mit-Wehrsportler Gundolf Köhler zwei Tage später, am 26. September, beim Münchner Oktoberfest auslöste.

Um Spuren vernebeln oder Taten vertuschen zu können, stiftete jedoch die Öffentlichkeitsarbeit der Kataib-Seite zuviel Argwohn. Das war dann doch zu knallig und zu widersprüchlich, um selbst den schläfrigsten Fahnder in Deutschland zu narren.

Bleibt die dritte Hypothese: Die vier haben versucht, den Libanon auf ursprünglich nicht geplantem Weg, vielleicht fluchtartig, zu verlassen; dabei fielen sie Verfolgern in die Hände. Auch für diesen Fall deuten mehr Indizien auf die Kataib als auf die Palästinenser.

Zum Beispiel die auf der Botschaft präsentierte Schwindelgeschichte von den durch Raubüberfall verlorenen Dokumenten: Normalerweise müßten Reisende ohne Visum im Paß das Land irgendwann wieder so verlassen, wie sie es betreten hatten -- etwa übers Meer wie die »FAZ«. Denn am anderen Hauptausgang des Landes, am moslemisch beherrschten Flughafen von Beirut, werden bei der Ausreise auch Visum und Einreisestempel kontrolliert. Mithin laufen verkappte Transitgäste aus Dschunia Gefahr von Ungelegenheiten. Unter anderem drohen drei Monate Knast für Libanonaufenthalt ohne Visum.

Wenn es also auch die jungen Neonazis eines Tages überdrüssig geworden sein sollten, mit den arabischen Wölfen zu heulen, so war ein Mittel zu suchen, die prekäre Kontrolle am Flughafen zu unterlaufen: Wie geschehen, mußten unverfängliche, neue Dokumente schleunigst her.

In den letzten 24 Stunden wechselte das Quartett noch zweimal die Lager: Von Westbeirut nach Beit Meri und wieder zurück. Was die Jungen dazu bewog, bleibt mysteriös -- eine taktische Kataib-Einladung, eine Falle? --, jedenfalls aber wieder reichlich Leichtsinn gegenüber den am Ort gebotenen Verhaltensregeln.

Denn das offene Lavieren scheuen selbst die Eingeweihten; es hat während des Bürgerkriegs zahllose Entführungen ausgelöst und Hunderte das Leben gekostet.

Für Peter Hamberger und seine Freunde konnte das libanesische Abenteuer kaum das erhoffte Ende finden; so angelegt, hatte weder ein Täuschungsmanöver Chancen, noch weniger aber ein Fluchtversuch. Geblieben sind nur Habseligkeiten und vage Geschichten -- im Libanon keine Überlebenszeichen.

S.66Von der Falange-Führung vorgelegtes Belegphoto mit abgedeckterNamensbeschriftung; oben: Odfried Hepp, Kay-Uwe Bergmann, unten:Peter Hamberger, Steffen Dupper.*

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