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Kreuzfahrt Neptuns Spott

Kapitäne sind ratlos, altgediente Seebären wundern sich: Warum laufen Kreuzfahrtschiffe immer wieder auf Grund?
aus DER SPIEGEL 40/1996

Die Reederei Bunnys Adventure & Cruise hielt, was der Firmenname den Kunden an Bord ihres Schiffes »Hanseatic« verhieß: Abenteuer auf See. Und das in geographischen Breiten, in die sich nicht einmal Kaninchen ("Bunnys") verirren.

Als das Kreuzfahrtschiff am 29. August in den arktischen Gewässern der Nord-West-Passage ein dicht unter der Wasseroberfläche aufragendes Geröllfeld rammte, feierten die Reichen und die Greise die willkommene Abwechslung vom Kreuzfahrt-Einerlei mit Drinks. Es habe doch nur »ein bißchen gerummst«, urteilte sachkundig eine betagte Amerikanerin und nippte am Cocktail »Hanseatic on the rocks«.

Das von der Felsberührung malträtierte Luxusschiff lief am Mittwoch vergangener Woche den Hafen der kanadischen Stadt Halifax an und wird von Werftarbeitern derzeit geliftet. Im nächsten Jahr, wirbt die »Hanseatic«-Reederei bereits um neue Kreuzfahrt-Klientel, gehe es dann wieder auf Arktistour zu Preisen zwischen 22 700 und 46 500 Mark.

Doch so lange müssen betuchte Freunde der Kreuzfahrt, die auf Abenteuer im Fünf-Sterne-Ambiente hoffen, nicht warten. In allen Meeren dieser Welt finden

die Crews der Luxusschiffe seit Jahren Sandbänke, Klippen oder Riffe genug, auf die sich ein Dampfer setzen läßt.

»Wie Schweine nach Trüffeln«, spottet ein Bremerhavener Kapitän, suchen »die Kollegen von den Musikdampfern nach den Untiefen der Ozeane«. Auch dann, wenn sie längst in den Seekarten verzeichnet sind - wie das Geröllfeld, auf dem die »Hanseatic« festmachte.

Einen »vernünftigen Grund für die seemännischen Fehlleistungen« weiß auch der britische Seefahrt-Experte Richard Goss nicht zu nennen. Sicher sei nur, sagt der gelernte Kapitän und emeritierte Professor für maritime Sicherheit an der Universität Cardiff, daß Kreuzfahrer »ein hohes Unfallrisiko« aufweisen.

Lloyds Register in London, das die Schiffe dieser Welt und die meisten Unfälle zur See erfaßt, bestätigt den Trend. Allein seit 1990 zeichneten die Lloyds-Buchhalter 55 Zwischenfälle mit Kreuzfahrtschiffen auf.

Mal lodert Feuer im Maschinenraum, mal rammen die Luxusliner in den Grund, mal wetzen sie Rumpf oder Bug an längst versunkenen oder noch schwimmenden Schiffen, mal demolieren sie die Docks und Kaianlagen der Häfen.

Als die »Hanseatic« in der Nord-West-Passage havarierte, standen auf der Brücke des Kreuzfahrers neben Kapitän Hartvig von Harling drei Nautiker mit Kapitänspatent. Alles Männer, deren blaue Uniformen die vier goldenen Streifen höchster nautischer Kompetenz zieren. Die Brücke, lobte denn auch der Verband Deutscher Reeder, war »schneidig besetzt«.

Mehr Goldstreifen, als ein Weihnachtsbaum Lametta trägt, prangten auch an den Ärmeln der Crew des Kreuzfahrtschiffes »Gripsholm«, das ein paar Wochen vor der »Hanseatic« auf eine Sandbank lief. »Unklarheiten über die Kompetenzverteilung« der Nautiker auf der Brücke, mutmaßen schwedische Behörden, habe zu dem Unglück geführt.

Die »Gripsholm« hatte die Fahrrinne im Öresund zwischen Dänemark und Schweden bei bester Sicht und Sonnenschein um etwa 400 Meter verfehlt - zur Gaudi vieler der 600 Passagiere. Der Spott der Branche traf die englisch-norwegische Cunard-Reederei, deren schwimmende Hotels kaum ein Hindernis erfolgreich umschiffen.

Vier Monate vor der »Gripsholm«, am 4. April, hatte das Gripsholm-Schwesterschiff »Royal Viking Sun« bei Nacht in der Straße von Tiran zwischen Saudi-Arabien und dem Sinai ein Korallenriff gerammt. Unter automatischer Steuerung ("Autopilot") war die Crew mit 23 Knoten (42 Kilometer pro Stunde) durch die Meeresenge geprescht.

Der Bug wurde beschädigt, der Rumpf auf etwa 70 Meter Länge aufgeschlitzt. Und die 560 Passagiere - überwiegend weltläufige Senioren - blieben unversehrt. Sie mußten lediglich in ein ägyptisches Luxushotel umziehen.

Zum Gespött des Meeresgottes Neptun machte sich am 7. August 1992 auch die Crew des Cunard-Flaggschiffes »Queen Elizabeth 2«, unter erfahrenen Kreuzfahrern besser als QE 2 bekannt. Nahe der Insel Martha''s Vineyard vor der Ostküste der USA rammte die QE 2 einen Unterwasserfelsen.

Abseits der üblichen Schiffahrtsroute war der Luxusliner mit hoher Fahrt (24 Knoten) durch den Vineyard-Sund gerauscht. Durch ein tückisches Gewässer, vor dem Lotsenhandbücher als »Friedhof vieler guter Schiffe« ausdrücklich warnen.

Nautische Snafus ("Situation normal all fucked up") dieser Art zählt Lloyds Register in den letzten sechs Jahren im Dutzend. Vielleicht, argwöhnt ein norddeutscher Kapitän und Sicherheitsberater ob der Unfallserie, haben viele Schiffsoffiziere inmitten moderner Navigations- und Steuerhilfen auf der Brücke den »gebührenden Respekt vor den Tücken der See verloren«.

Wer schon der See keinen Respekt zollt, der, so lehrt Lloyds Unfallregister, macht auch vor fremden Schiffen nicht halt. Seit 1990 waren neun Kreuzfahrtschiffe in Kollisionen verwickelt.

Mal trafen die Musikdampfer Fracht- oder Containerschiffe, mal waren Pötte der Konkurrenz die Opfer. Selbst im Chinesischen Meer, wo man »Schiffe wie die Stecknadel im Heuhaufen« suchen müsse, wundert sich ein gedienter Fahrensmann, verursachten Kreuzfahrer Zusammenstöße.

Bis auf einen verliefen die Unfälle glimpflich. Nur als die »Royal Pacific« im August 1992 in der Straße von Malakka mit einem Frachter zusammenkrachte und sank, starben neun Passagiere und Besatzungsmitglieder.

Mit dem Schrecken kamen Passagiere und Mannschaft zumeist dann davon, wenn explodierende Kessel und schmorende elektrische Leitungen Feuer im Maschinenraum ihres Schiffes entfachten. So wie die 565 deutschen Passagiere an Bord der »T. S. Albatros«. Als am 22. Mai vergangenen Jahres ein Brand im Maschinenraum des Kreuzfahrers ausbrach, hatten die Gäste nur eine Unbill zu erleiden: Bei 36 Grad im Schatten mußten sie an Deck ausharren, bis das Feuer gelöscht war.

Insgesamt 13 gefährliche Brandzwischenfälle an Bord von Kreuzfahrtschiffen zählten Lloyds Londoner Unfallwächter seit 1990.

Doch der hartgesottenen Kreuzfahrtklientel, die auf Schiffen wie der »Royal Viking Sun« mehr als 50 000 Mark für eine Passage zahlt, rauben offenbar weder Feuer, Kollision noch Grundkontakt die Lust am Abenteuer zur See: Der Andrang auf die Luxusdampfer ist seit Jahren ungebrochen.

Nur wo der Service schlampt oder Meeressäuger leiden, regen sich die abgehärteten Gemüter der Touristen. So, als die QE 2 im Dezember 1994 von Southampton nach New York kreuzte. Während der Passage hatten Handwerker letzte Umbauarbeiten an Bord erledigt.

Die Passagiere fluchten über die »Kreuzfahrt zur Hölle« und klagten »allzu weinerlich«, wie Cunard-Manager bedauerten, zu Dutzenden auf Schadenersatz. In den Luxuskabinen waren zeitweilig die Toiletten ausgefallen, aus den vergoldeten Duschköpfen ergoß sich bräunlich, was auf wundersame Weise seinen Weg aus dem Abfluß in die Zulaufrohre der Wasserversorgung gefunden hatte.

Auch als die QE 2 jüngst vor der portugiesischen Küste mit dem Bug einen 18 Meter langen Wal zermalmte, regte sich Unmut unter den Passagieren. Dabei, bedauerte Kapitän Keith Stanley den Zwischenfall, sei das doch nichts anderes, »als wenn man auf der Landstraße eine Katze plattfährt«.

* Oben: im August im Öresund; unten: im Augustin der Nord-West-Passage.

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