Irak-Geschäfte Nerven bloßgelegt
Der britische Ingenieur Chris Cowley geriet in Verzückung. Die Anlage, schwärmte er, »war absolut brillant«, eine »ideale Konstruktion«. An Geld habe es nicht gefehlt. Nirgendwo in Europa habe er etwas Vergleichbares gesehen.
So emphatisch schilderte der Waffenexperte vor ein paar Monaten die Eindrücke aus der Tigris-Stadt Mosul, wo er für das größte Militärforschungsprojekt des Nahen Ostens gearbeitet hatte.
Auf dem gewaltigen, von Raketen und Wachmannschaften geschützten Komplex wirkten über Jahre hinweg die Dr. Mabuses aus dem Westen mit ihren Assistenten aus dem Irak, abgeschirmt von aller lästigen Neugier. Eine israelische Phantom auf Aufklärungsmission wurde 1986 vom Himmel geholt.
Sie hätte zumindest die Außenansicht einer riesigen Hexenküche mit 78 Labors liefern können. In einigen Forschungsstätten experimentierten angeblich Chemiker und Techniker mit Nervengas und Nährböden für B-Waffen, Panzerabwehrraketen wurden in Schießkanälen getestet, Treibsätze für modifizierte Scud-B-Raketen entwickelt, kleine Raketen und Raketenköpfe mit hochexplosiver Munition konstruiert. Nebenan arbeiteten Kernphysiker an Anlagen für den Atombombenbau, Ballistiker übten an einem Modell der legendären Superkanone, auch Cowley soll den Mammut-Mörser mitentwickelt haben.
Das alles wird es jetzt wohl nicht mehr geben. Denn das Saad 16 genannte Projekt war sofort Angriffsziel der Alliierten. Augenzeugen berichten von schwersten Zerstörungen.
Doch Mosul als Fall ist damit nicht erledigt - die juristische Aufarbeitung der Affäre steht noch an, und sie findet in der Bundesrepublik statt. Denn Generalunternehmer des rund 1,6 Milliarden Mark teuren Projekts war die Bielefelder Gildemeister Projecta GmbH (Gipro), eine Tochter des Werkzeugmaschinen-Herstellers Gildemeister AG.
Seit März 1989 wird gegen Gipro ermittelt. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bielefeld hat Aktenberge durchforstet, die Strafverfolger überprüften mehr als 1600 einzelne Kontrakt-Positionen. In jedem Einzelfall mußte festgestellt werden, ob die Firma für die Ausfuhr eine Genehmigung hatte.
Was nach der fast zweijährigen Prüfung übrigbleibt, reicht zwar zur Anklage, ist aber angesichts des riesigen Volumens auf zwei vergleichsweise unauffällige Verstöße zusammengeschnurrt: Lediglich für einen großen Computer mit Spektrometer und für einen kleinen Computer fehlten die Zertifikate der Kontrollbehörden.
Die Anklage wäre wohl schon bei Gericht eingegangen, doch ausgerechnet das Bonner Wirtschaftsministerium, dessen Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn bis auf den Computer-Part alles großzügig genehmigt hatte, legte sich quer. Die Bonner drängen darauf, die Anklage zu erweitern - ein Novum in der deutschen Rüstungspolitik.
Die Ministerialen schlagen eine erstaunliche Volte. Die für solche Ausfuhren notwendigen Negativ-Bescheinigungen waren offenbar reine Formsache gewesen. Ohne langes Prüfverfahren wurde die Ausfuhr wichtiger Teile für unbedenklich erklärt. Auch die sogenannten Dual-use-Güter, die sowohl militärisch wie zivil einsetzbar sind, konnten leicht geliefert werden. Von Amts wegen ging man stets von Forschungsprojekten aus.
Das alles war kein Zufall und wohl auch nicht die Tat eines korrupten oder untätigen Beamten - das Lieblingsprojekt des Saddam Hussein genoß höchste Unterstützung in Bonn. Es ist bezeichnend, daß die damals bundeseigene Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH aus Geisenheim beste Aussichten hatte, noch vor Gildemeister bei dem Milliarden-Projekt von Mosul den Zuschlag zu bekommen. Doch die hessische Firma zog sich kurz vor Vertragsabschluß im Januar 1984 zurück, weil sie ihren guten Kriegskunden Iran nicht verprellen wollte.
Gipro bestreitet bis heute jede böse Absicht. Das ist reichlich kühn, denn nach hanseatischer Kaufmannsart ging es bei dem Deal nicht gerade zu: Bei den Exportanträgen wurden Maße und Gewichte heruntergerechnet, Bezeichnungen verändert. Im Irak und in Deutschland, so stellten Geheimdienstler fest, gab es zwei unterschiedliche Auslieferungslisten, was mitunter zu Verwirrungen führte. Die deutsche war allgemeiner gehalten, die irakische Variante benannte den Zweck genau. Dokumente belegen, daß dieses Doppelspiel immer neue Absprachen notwendig machte.
Manchmal änderte Gipro die Exportdokumente einfach ab und beruhigte die Iraker: »Die tatsächlich zu liefernde Ausrüstung wird trotzdem so beschaffen sein wie zuvor in dem Vertrag festgelegt« (SPIEGEL 5/1991).
Das lief wie geschmiert, obwohl Israel frühzeitig auf den militärischen Charakter der Anlage hinwies. Erst 1987 erfolgte ein Genehmigungsstopp, von 1988 an wurden die bis dahin aufgelaufenen Anträge endgültig abgelehnt, im Mai 1989 früher erteilte Ausfuhrgenehmigungen widerrufen. Da war Saad 16 längst ein Musterbetrieb der Militärs.
Nachdem das Bonner Außenministerium in einer Expertise der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, durch Saad 16 seien in mindestens zwei Fällen die auswärtigen Beziehungen Deutschlands erheblich geschädigt worden, intervenierte das Wirtschaftsministerium: In mindestens fünf gewichtigen Fällen, darunter bedeutende Raketenprojekte, seien die Genehmigungsbehörden von Gipro getäuscht worden. Das Unternehmen habe sich Export-Lizenzen durch falsche Angaben erschlichen.
Der Einspruch verblüffte die Ermittler. Denn die Staatsanwaltschaft glaubt es besser zu wissen. Zwar hat auch sie die offenbar manipulierten Unterlagen in ihrem Besitz, aber nach Aktenstudium kamen die Strafverfolger zu dem Schluß: Aus den Papieren ergebe sich zweifelsfrei, daß Bonn über die tatsächlichen Lieferungen informiert gewesen sei. Wenn das stimmt, sind in der Regierung personelle Konsequenzen fällig.
Der Fall zeigt auch anschaulich, daß bei einem so riesigen Projekt die Unterlieferanten schon gar nichts zu fürchten haben. Das Verfahren läuft zwar gegen »Gildemeister u. a.«, doch keiner der zahlreichen beteiligten deutschen Lieferanten oder der 38 deutschen Betriebe, die sich in Mosul um das Ausbildungsprogramm gekümmert haben, muß mit Strafe rechnen. Gegen »u. a.« wird das Verfahren eingestellt.
Vor allem die international in Verruf geratene Daimler-Benz-Tochter Messerschmitt-Bölkow-Blohm kommt gut weg. Auch auf den Namen des Arbeitgeber-Präsidenten Klaus Murmann wird wenig zurückfallen. Dabei ist die Firma Sauer Informatic GmbH aus Neumünster, deren Geschäftsführer er ist, mit einer rund zehn Millionen Mark teuren Computeranlage dabei.
Die Unterlieferanten beteuern, sie hätten nicht genau gewußt, um was es sich bei dem Projekt gehandelt habe. Ihnen habe es an Detailkenntnissen gefehlt, die habe nur Gipro gehabt.
Für manchen Aktionär hat offenkundig Gildemeister zuviel gewußt, es gibt deutliche Absetzbewegungen - natürlich nur aus wirtschaftlichen Gründen. Zunächst trennte sich die Westdeutsche Landesbank von ihrem zuletzt Zehn-Prozent-Aktienpaket an Gildemeister, auch veräußerte die Murmann-Familie ihre rund 17 Prozent, und der größte ausländische Einzelaktionär, der US-Mischkonzern Litton Industries Inc. aus Beverly Hills, machte sich ebenfalls aus dem Staub.
Der US-Konzern war 1984, im ersten Mosul-Jahr, bei Gildemeister eingestiegen und brachte 1989, zwei Monate nach Beginn der Ermittlungen, sein Gildemeister-Portefeuille mit 14,3 Prozent an die Börse. Gelohnt hat sich das Engagement: Litton hat den Einsatz in fünf Jahren vervierfachen können.
Bei einem Prozeß könnten noch mehr unangenehme Details über Geschäfte der Amerikaner zur Sprache kommen. Denn US-Firmen sind stärker als bisher angenommen in den Handel mit Saddams Einkäufern verwickelt.
Allein für das Saad-16-Projekt lieferten amerikanische Unternehmen nach Schätzung von Fachleuten rund 40 Prozent der High-Tech-Ausrüstung. Darunter sind so renommierte Unternehmen wie Hewlett Packard und Electronic Associates. Obwohl sich das US-Verteidigungsministerium 1986 gegen die Lieferung eines großen Computers für Saad 16 gewandt hatte, gab das US-Handelsministerium im Februar 1990 seine Zustimmung zu dem Transfer.
Allein zwischen Oktober 1986 und August 1990 erteilte die US-Behörde rund 500 Genehmigungen für Irak-Exporteure von Dual-use-Waren. Die Ausfuhren hatten einen Wert von rund 728 Millionen Dollar, darunter befanden sich hochsensitive Güter wie ein Flugsimulator und High-Tech-Elektronik.
Seit langem wurmt es die Bonner Behörden, daß die Amerikaner, die Saddam im ersten Golfkrieg mit Satellitenfotos versorgten und beträchtliche mörderische Hardware in den Irak schaffen ließen, nun pausenlos deutsche Unternehmen im Visier haben. Vor allem die vielen Hinweise der Amerikaner wegen angeblicher Embargo-Verstöße haben die Nerven in Bonn bloßgelegt.
So war es wohl kein Zufall, daß bei der Beschlagnahme eines für den Irak bestimmten Massenspektrometers der amerikanischen Firma Thermo Jarrell Ash Corporation aus Massachusetts auf dem Frankfurter Flughafen ein deutsches Fernsehteam auftauchte und die Aktion mit Kameraschwenk auf die Frachtpapiere begleitete.
Manchmal fällt es auch Experten schwer, bei den vielen zwielichtigen Geschäften mit Saddam noch die Orientierung zu behalten - ein Sextant scheint vonnöten. So steht die Hamburger Navigationsfirma C. Plath im Verdacht, an etlichen Kreisel-Kompassen für die irakische Scud B gebastelt zu haben. Das Auftragsvolumen lag in beträchtlicher zweistelliger Millionenhöhe.
Doch das mehr als 150 Jahre alte Unternehmen will von nichts gewußt haben, und so wird es auch die Muttergesellschaft halten, der frühere Mehrheitsaktionär bei Gildemeister: Litton Industries aus Beverly Hills.