ÖFFENTLICHER DIENST Nett im Netz
Das Arbeitsgericht Hannover urteilte kurz, hart und gnadenlos. Andreas B., 35, ledig, kinderlos, war zu Recht fristlos gefeuert worden, befanden die Richter. 2790 Pornobilder und Videos hatte der Pressereferent auf seinen Dienstcomputer heruntergeladen, säuberlich sortiert in 81 Ordnern. Der Höhepunkt von Dummheit und Dreistigkeit: Von seinem Büro bei einem Sportverband betrieb B. eine Homepage, auf der eine Frau in Unterwäsche Liebesdienste anbot.
Bislang sind solche Urteile allerdings selten, räumt selbst der hannoversche Arbeitsrechtler Stefan Kramer ein, der den Fall für den Verband durchgefochten hat. Denn in den meisten Firmen und Behörden schauen Chefs weg, wenn sich Mitarbeiter privat durch die bunten Seiten dieser Welt klicken; auch der Fall in Hannover flog nur auf, weil die Technik streikte und ein EDV-Fachmann den Computer inspizierte.
Dabei ist privates Surfen längst zum Volkssport in den Büros geworden, und der deutsche Beamte, gelangweilt vom drögen Tun und Verrichten, macht sich seinen Arbeitstag offenbar besonders gern nett im Netz. Wie hemmungslos Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst ihre Rechner für ihr Freizeitvergnügen nutzen, belegt jetzt eine Untersuchung des Niedersächsischen Landesrechnungshofs.
In der vergangenen Woche schickte die Behörde eine interne Mitteilung über die »Nutzung der Arbeitszeit von Landesbediensteten für private Internetrecherchen« an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel. Der Rechnungshof bat darin um Aufklärung, wie der durch »mangelnde Dienstaufsicht und Untätigkeit« verursachte »erhebliche Schaden« behoben werden könne.
Für ihre Studie werteten die Kontrolleure erstmals die Zugriffe von 20 000 Landesbediensteten aus, die sich über das Informatikzentrum Niedersachsen ins Internet einwählen. 33 Millionen Zugriffe innerhalb von zehn Tagen prüfte der Rechnungshof, das entspricht ungefähr fünf Millionen Seitenaufrufen. Das Ergebnis: Electronic Government wird bei den Mitarbeitern des Landes gründlich missverstanden - über 44 Prozent der Seiten dienten privaten Interessen.
Die Hitliste der Zugriffe widerspricht dabei allen Klischees vom blutarmen Bürokraten ohne Sinn für die süßen Seiten des Daseins: So flanieren Beamte besonders gern durch Online-Shops und bieten bei Internet-Auktionen mit. Lifestyle - vom Urlaubskatalog bis zum Modetipp - rangiert auf Platz zwei der eindeutig privaten Zugriffe, Sex auf Rang drei. Rund 300 000 Erotikseiten, 15 pro Internet-Anschluss, flimmerten über die Monitore, auf dass den Bediensteten beim kalten Verwalten wenigstens etwas warm ums Herz werde.
Wie lange sich die Freizeit-Surfer lieber mit einem Akt als einer Akte vergnügten, konnten die Prüfer zwar nicht messen; bescheiden gingen sie nur von 38 Sekunden pro privat angeklickter Seite aus. Dennoch: Insgesamt würde sich die verlorene Dienstzeit auch dann schon auf jährlich 753 000 Stunden zusammenläppern. Statistisch sind damit 511 Landesbedienstete den ganzen Arbeitstag lang mit sich selbst beschäftigt.
Beim Rechnungshof lässt das ungenierte Treiben in den Büros denn auch nur einen Schluss zu: Obwohl schon Stellen abgebaut wurden, sei der Arbeitsdruck offenbar immer noch »nicht so gravierend, wie häufig von Dienststellenleitern oder Arbeitnehmervertretern herausgestellt wird«. Konsequenz der Kontrolleure: Wo so viel Zeit zum Surfen bleibt, lässt sich noch mehr Personal einsparen.
Die Ehre des deutschen Beamten wird auch dadurch kaum gerettet, dass die Flucht in virtuelle Welten keine Spezialität von Staatsdienern ist. Eine Umfrage des Software-Unternehmens Websense unter 200 deutschen Angestellten zeigt, dass 41 Prozent wöchentlich mehr als drei Stunden online auf private Entdeckungsreise gehen.
Auch in anderen Industrieländern ist die Situation kaum besser. Allein 470 Millionen Dollar soll die Lewinsky-Affäre die amerikanische Volkswirtschaft gekostet haben, weil sich Arbeitnehmer den Starr-Report auf ihren Rechner luden, um über die sexuellen Vorlieben ihres damaligen Präsidenten Bill Clinton orientiert zu sein.
Doch während mittlerweile immer mehr Firmen die Nassauer im Netz mit speziellen Software-Filtern stoppen, scheinen die Behörden zu schlafen. Das Informatikzentrum Niedersachsen will die recherchefreudigen Beamten jedenfalls nicht mit technischen Sperren traktieren. Schließlich gelte ja noch die Rahmendienstanweisung des Landesfinanzministeriums, nach der jeder Internet-Nutzer unterschreiben müsse, das Netz nur zu dienstlichen Zwecken zu nutzen. Doch Kontrollen gibt es offenbar nicht. Eine Abmahnung oder gar Kündigung erst recht nicht.
Auch beim Deutschen Beamtenbund ist kein einziger Prozess zu dem Thema bekannt. Staatsdiener, die in Bayern und Berlin als »Sex-Surfer« enttarnt wurden, kamen mit einer Verwarnung davon.
Möglicherweise aber ist durch Dauersurfen wenigstens an anderer Stelle Entlastung für den Staatshaushalt zu erwarten - wer privat surft, hat schließlich weniger Zeit zum privaten Telefonieren. Nach einer Stichprobe aus dem Jahr 2000 wurden Dienstapparate des Landes Niedersachsen noch zu 30 Prozent privat genutzt. Das will der Rechnungshof nun genauer untersuchen. MICHAEL FRÖHLINGSDORF