NEUAUFNAHME
Mit Aufmerksamkeit habe ich in Ihrem Briefteil die Reaktion auf Ihre Personalie über den Regisseur Fritz Kortner gelesen. Es hat mich gefreut, daß ein Schauspieler und Regisseur (Harry Meyen) den Mut fand, Kortner für sein Verhalten gegenüber dem Schauspieler Kappen öffentlich zu tadeln. Ich finde es auch unerhört, daß Kortner dem Künstler bei einem Probenstreit vorwarf, dieser habe nicht lange genug bei der Gestapo gesessen. Ein starkes Stück leisteten sich die Theaterintendanz, die Kappens Vertrag wegen des Streits mit Kortner aufkündigte, und der »Münchner Merkur«, der in dem Kortner-Auftritt eine Bereicherung des Anekdotenschatzes des deutschen Nachkriegstheaters sieht. Merkwürdige Wertung des Vorfalls an den Münchner Kammerspielen. Interessieren würde mich an der ganzen Sache, was denn nun aus Norbert Kappen, dem Kortner-Opfer par excellence, geworden ist? Ich hörte kürzlich, wie sich in einem Restaurant in Schwabing die Münchner Schauspielerinnen Krista Keller und Carola Regnier über den Fall unterhielten. Die Damen meinten, Kappen sei die Treppe heraufgefallen durch die Affäre: Stimmt das?
München BARBARA WIESNER
Norbert Kappen ist von April 1966 an beim Bayrischen Staatsschauspiel engagiert. - Red.
Es ist uns begreiflicherweise unmöglich, zu dem bemerkenswerten Brief des Regisseurs und Schauspielers Harry Meyen, erschienen in Ihrer Nummer 13, nicht Stellung zu nehmen, obwohl der Vorstand unseres Vereins nicht zusammentreten konnte; dieses ist freilich die Folge zahlreicher Erkrankungen, und die wiederum hatten mit Kortner nichts zu tun. Zur Sache:
- Der Verein hat schon vor längerer Zeit, als nämlich Kortner dem Schauspieler Norbert Kappen während einer Probe vorwarf, dieser habe nicht lange genug bei der Gestapo in Haft gesessen, Kappen unter die eventuell zu unterstützenden Opfer von Fritz Kortner eingereiht. Kappen ist auch Mitglied des Vereins geworden.
- Der Verein wird
in den nächsten Tagen Harry Meyen prophylaktisch unter die »Opfer« einreihen müssen. Denn die Vergangenheit hat
- leider - erwiesen, daß man solche
Briefe nicht ungestraft schreibt, oder, um es anders zu formulieren: daß es gefährlich ist, Negatives über Kortner zu publizieren.
- Der Verein erwägt sogar, als eines
der Opfer von Fritz Kortner - Fritz Kortner selbst unter seine Fittiche zu nehmen. Denn ohne Zweifel haben die geschilderten Vorkommnisse von den nicht geschilderten, den nicht zu schildernden ganz zu schweigen erwiesen, daß Fritz Kortner zu den Opfern von Fritz Kortner gehört.
Zürich CURT RIESS
Im Auftrag des »Vereins zur Unterstützung der Opfer von Fritz Kortner«
Riess*
* Schriftsteller ("Das gibt's nur einmal"), Drehbuchautor ("Zwischenlandung in Paris") und Initiator des Vereins zur Unterstützung der Opfer von Fritz Kortner«, zu dessen Mitbegründern der Regisseur Helmut Käutner, dessen Ehefrau, die Schauspielerin Erica Balqué, sowie der Schauspieler und Regisseur Bernhard Wicki zählen.