JUGOSLAWIEN Neue Ideen
So stand es in Titos politischem Testament: Höchstens fünf Jahre lang soll ein Politiker ein hohes Amt besetzen und dann zugunsten eines anderen ausgetauscht werden, »das macht ihn unbestechlich, läßt ihn nicht müde werden und fördert neue Ideen«.
Diese »horizontale Rotation« betrifft erstmals nach Titos Tod im Frühjahr 1980 auch die Mitglieder des höchsten Machtgremiums im Vielvölkerstaat: das neunköpfige Staatspräsidium.
An der Basis, in der Sammelbewegung »Nationale Front«, wurden in den letzten Wochen nach teils heftigen Kontroversen die Kandidaten für die Staatsspitze aufgestellt. Ihre Bestätigung durch die Bundesversammlung im Mai ist nur noch eine Formsache.
Doch die Neuen sind meist auch die Alten; alle Kandidaten haben bereits auf anderen, hohen Posten gedient. Nachwuchs für das jugoslawische Führungspersonal gab es immer schon zu wenig; denn Außenseiter werden vom mächtigen Parteiapparat des »Bundes der Kommunisten« abgeblockt. Aufsteiger haben nur dann eine Chance, wenn sie sich ihre von Tito geforderten »neuen Ideen« in der Provinz abgewöhnt haben.
Wenn auch niemand in Jugoslawien an große Veränderungen glaubt, so keimte angesichts des bevorstehenden Wechsels doch die Hoffnung, der eine oder andere neue Mann an der Spitze könnte etwas energischer als bisher nach Lösungen für die Dauerprobleme des Landes suchen: *___Die Wirtschaft lahmt noch immer. Für Investitionen ____fehlt den Betrieben das Geld, die Produktivität sinkt ____weiter. Die Inflation hält sich trotz verordnetem ____Preisstopp bei 50 Prozent. Grund: Die Produzenten ____machen die Ware rar und nehmen einen auch vom ____Konsumenten akzeptierten höheren Preis. *___Die nationalistisch inspirierte Rivalität zwischen den ____Republiken hat zugenommen. Regionaler Egoismus schwächt ____die Entscheidungskraft der Bundesbehörden. *___Die Arbeiterselbstverwaltung, einst das ideologische ____Markenzeichen Jugoslawiens, ist nur mehr Schein. Der ____chronische Mangel an Waren und Geld führt dazu, daß es ____in den Betrieben und Kommunen nichts mehr zu ____entscheiden und zu verteilen gibt.
Ob das neue Präsidium, dem neben den acht Regionalvertretern als neuntes Mitglied der amtierende Parteichef angehört (zur Zeit: der Serbe Dragoslav Markovic), an der tristen Lage etwas ändern kann, ist eher fraglich. _(Das sind die Neuen: Josip Vrhovec, 58, ) _(ehemaliger Außenminister; Veselin ) _(Djuranovic, 58, früher jugoslawischer ) _(Premier; Sinan Hasani, 61, Parteichef ) _(aus dem Kosovo; Lazar Moisov, 63, ) _(amtierender Außenminister; Radovan ) _(Vlajkovic, 60, schon Mitglied des ) _(Staatspräsidiums; Nikola Ljubicic, 67, ) _(Ex-Verteidigungsminister; Branko ) _(Mikulic, 55, Präsident von ) _(Bosnien-Herzegowina und Organisator der ) _(Olympischen Winterspiele von Sarajewo. )
Die Macht dazu hätte die Neunerriege schon. Denn nach der jugoslawischen Verfassung kann das Staatspräsidium, dem im Krisenfall auch die Armee untersteht, die Richtlinien der Politik entscheiden.
Ominös allerdings ist die Wahl des slowenischen Vertreters: Stane Dolanc, 58, früherer Chef des militärischen Geheimdienstes und zur Zeit noch jugoslawischer Innenminister.
Die heimische Basis gab ihm nicht das Vertrauen. Dolanc kommt nur durch den Umstand ins Präsidium, daß der vorgesehene Kandidat, der ehemalige slowenische Parteichef Franc Popit, es energisch abgelehnt hat, mit einem »Dummkopf« wie Djuranovic im selben Gremium zu sitzen: »Dieser Mensch war als Premier für unsere falsche Wirtschaftspolitik verantwortlich und hat uns in die Pleite geritten. Der gehört nicht ins Präsidium, sondern ins Gefängnis.«
So rückte Dolanc nach, und der Politmanager, der schon in den siebziger Jahren als Titos Kronprinz galt und dann auf sowjetischen Druck 1979 als ZK-Sekretär der Partei gefeuert wurde, machte sofort von sich reden.
In einer Rede vor Geheimpolizisten erklärte er, in Jugoslawien dürfe es eine »politische Polizei nicht mehr geben«. Die Polizei solle sich auf die Jagd nach _(Vor einem nationalen Kroaten-Denkmal vor ) _(seiner Festnahme und Verurteilung im ) _(Jahre 1981. )
Kriminellen und Spionen beschränken; es sei nicht ihre Aufgabe, den Bürgern in Kneipen und auf Sportplätzen nachzuschnüffeln oder gegen oppositionelle Meinungen und Dissidenten vorzugehen. Das falle in die Kompetenz der Partei und der gesellschaftlichen Organisationen.
Die scheinbar so reformbetonte Dolanc-Ansprache erregte Aufsehen. Der Mann, der als Innenminister jede nationale Regung von der Polizei ausräuchern, der sich eine Professur für Staatssicherheit einrichten ließ, im neuen Kostüm?
So wollten die Jugoslawen die Rede des Slowenen verstehen: Künftig sollte eine selbstbewußte Partei das freimütige Streitgespräch mit Unzufriedenen und Andersdenkenden aufnehmen und auf Verfolgung und Repressalien verzichten.
Das hieße, so hofften viele, das Ende einer Politik, in der man nur deshalb vor Gericht gestellt und verurteilt werden kann, weil man im betrunkenen Zustand nationalistische Lieder gegrölt oder Witze über Parteigrößen erzählt hat.
Auch das Ende einer Politik wäre das, in der etwa der Kroate Marko Veselica, Professor für Volkswirtschaft und Gewerkschaftsfunktionär, zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt wird, weil er dem SPIEGEL ein Manuskript über »Voraussetzungen für eine Demokratisierung Jugoslawiens« angeboten hat, das die Redaktion wegen Überlänge von 61 Schreibmaschinenseiten gar nicht druckte.
»Rund 32 000 Menschen wurden nach 1971 direkt verfolgt, diskriminiert oder schikaniert«, weil sie in Verdacht standen, eine abweichende politische Meinung zu haben - so hatte Veselica in seiner Schrift argumentiert. Weil das auch heute noch gilt, sitzt der demokratische Kritiker noch immer, inzwischen schwer erkrankt, im Revier des Gefängnisses von Lepoglava.
Daß der Traum von Demokratie verfrüht und der Polizeiminister Dolanc völlig mißverstanden worden war, machte dann aber dem hoffnungsvollen Volk ein Artikel in der Armeezeitung »Front« klar. Hier wurden die Dolanc-Ideen ins rechte Licht gerückt: »Schließlich gibt es nichts Natürlicheres, als daß die Werktätigen und Bürger selbst für den Schutz der Gesellschaften sorgen. Sie müssen zu einer starken Front werden, an der sich alle anderen Ideen brechen.«
Wie das im einzelnen geschehen soll, wußte der Redakteur der »Front« exakt zu beschreiben: Als »Grundzellen des gesellschaftlichen Selbstschutzes« dienen 12 000 Ortskomitees in den politischen Organisationen und den Betrieben. Die sind als Anlaufstellen für Denunziationen von verdächtigen Nachbarn und Arbeitskollegen gedacht. Darüber werden in der Spitzel-Hierarchie »Informationszentren« auf Gemeindeebene aufgebaut, die - landesweit - unter der Telephonnummer 985 zu erreichen sind; ein Spinnennetz totaler Überwachung.
Die Armeezeitung: »Jede Information, von der ein Bürger meint, sie sei für die Verteidigung und den Schutz von Interesse, muß er dem Zentrum für Information, seinem Verbindungsmann zum Selbstschutz im Gebäude, in dem er lebt oder arbeitet, oder dem Stab für Selbstschutz seiner Ortsgemeinde mitteilen.
Ein gigantisches Überwachungssystem, in dem jeder jeden bespitzeln soll, das scheint denn auch der wahre Kern von Dolancs Vorschlägen. Die Polizei soll entlastet werden - genau das Gegenteil einer erhofften Liberalisierung.
Und damit der Überwachungsstaat auch paßt zum ideologischen Kernstück des jugoslawischen Systems, schrieb das »Front«-Blatt: Die Teilnahme am gesellschaftlichen Selbstschutz sei nicht nur Gesetzespflicht, »sie ist Teil unserer Selbstverwaltung«.
Das sind die Neuen: Josip Vrhovec, 58, ehemaliger Außenminister;Veselin Djuranovic, 58, früher jugoslawischer Premier; Sinan Hasani,61, Parteichef aus dem Kosovo; Lazar Moisov, 63, amtierenderAußenminister; Radovan Vlajkovic, 60, schon Mitglied desStaatspräsidiums; Nikola Ljubicic, 67, Ex-Verteidigungsminister;Branko Mikulic, 55, Präsident von Bosnien-Herzegowina undOrganisator der Olympischen Winterspiele von Sarajewo.Vor einem nationalen Kroaten-Denkmal vor seiner Festnahme undVerurteilung im Jahre 1981.