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OETKER Neue Ordnung

aus DER SPIEGEL 43/1966

Deutschlands Bosse scheuen Süßes,

weil sie fit bleiben und nicht fett werden wollen. In Bielefeld aber versichern drei junge Spitzenmanager, daß sie gern und viel Pudding essen,

Ihnen hat Rudolf-August Oetker, 50, jetzt die Führung seines weitgespannten Firmenbesitzes anvertraut. Es sind

- Dr. Guido Georg Sandler, 38;

- Dr.'John Henry de La Trobe, 42;

- Rudolf Stelbrink, 42.

Nach 22 Jahren als Oetker-Generaldirektor ging Theodor Delius, 66, aufs Altenteil. Der Industriebeamte alten Schlages, der 1928 als Scheckbearbeiter in dem Bielefelder Backpulver- und Pudding-Unternehmen angefangen hatte, hielt bis zum Schluß alle Fäden in seiner Hand. Die drei Nachfolger (Durchschnittsalter 41 Jahre) machen deutlich, daß auch ein aktiver Unternehmer wie Rudolf-August Oetker ohne ein junges Management mit moderner Arbeitsteilung nicht mehr auskommt. Oetker nennt es seine »neue Ordnung«.

Das 1891 auf Backpulver gegründete Unternehmen ist wie ein Kuchenteig in die Höhe und Breite gegangen. Neben Nährmittelbetrieben wie Reese und Langnese-Honig gehören heute dazu:

- Reedereien (Rudolf A. Oetker, Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft Eggert & Amsinck, Columbus-Linie);

- Brauereien wie Binding und Berliner Kindl;

- Getränkefirmen (Söhnlein-Sekt, Gorbatschow-Wodka);

- Versicherungen (Condor, Deutscher

Ring);

- Geldinstitute (Bank für Brau-Industrie, Bankhaus Hermann Lampe). 15 000 Arbeiter und Angestellte beziehen von Oetker ihren Lohn und produzieren für ihn Waren und Leistungen im Wert von einer Milliarde Mark je Jahr. Als Konzern will allerdings der Bielefelder Allround-Unternehmer der dritten Generation seine Firmensammlung nicht gewertet wissen. Er spricht von seiner »Gruppe«.

Die neuen Gruppenführer sollen künftig straffer regieren. Sie sitzen in der Stammfirma Dr. August Oetker, der Nährmittel-Produzentin, unter Vorsitz von Guido Sandler als Mitglieder der Geschäftsführung. Daneben sind sie gleichberechtigte Generalbevollmächtigte in Oetkers neugeschaffener Bielefelder Zentralverwaltung: Stelbrink für Finanzen und Steuern, de La Trobe für Schiffahrt, Banken und Versicherungen, Sandler für Markenartikel und Getränke.

Der jüngste der drei machte die steilste Oetker-Karriere. Guido Georg Sandler, Sohn eines bayrischen Diplom -Landwirts und Sproß einer Kulmbacher Brauer-Familie, wollte Tierarzt werden, ehe er seine Liebe für Soll und Haben entdeckte.

Er bestand sein Examen als Diplom -Kaufmann, promovierte in Innsbruck mit dem Thema »Modelltheoretische Untersuchungen über Markttransparenz« zum Dr. rer. pol., legte die Prüfung als Helfer in Steuersachen ab und erlernte in Weihenstephan bei der brauwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Hochschule München auch noch das Biermachen. Seine Studien finanzierte er als Reporter des »Münchner Merkur.

Diplom-Braumeister Sandler wirkte 1958 für 800 Mark Monatsgehalt bei Oetkers Bayerischer Aktien-Bierbrauerei in Aschaffenburg, als der Firmeninhaber per Telegramm aus Sao Paulo einen Bierexperten anforderte; ihm war dort eine Met-Fabrik angeboten worden.

Sandler kam, riet vom Kauf ab, und Oetker war beeindruckt. Er holte den jungen Mann als Brauerei-Prokuristen in die Bielefelder Zentrale.

Rudolf Stelbrink hatte nach der Mittelschulreife und der Feuertaufe als Nachtjäger-Bordfunker keine Lust verspürt, in der elterlichen Konditorei in Gütersloh Kuchen zu backen. Er ließ sich zum Steuerbeamten ausbilden und prüfte 1951 als Inspektor Oetkers Bücher so penibel, daß ihn der Unternehmer zwei Jahre später beim Fiskus abwarb und ihm seine Gelddispositionen übertrug.

John Henry de La Trobe, Sohn eines Journalisten und Presseattaches an der Deutschen Botschaft in Tokio, legte in Japan die Reifeprüfung ab und gelangte 1942 auf dem Blockadebrecher »Dresden« nach Deutschland. Das Kriegsende erlebte er als Leutnant und studierte dann Jura an der Universität Münster (sein Bruder Fred arbeitet heute als Journalist wieder in Tokio).

Da seine Mutter eine Schwester von Richard Kaselowsky war, dem Stiefvater von Rudolf-August Oetker, brauchte de La Trobe nicht lange nach einem Arbeitsplatz zu suchen. Oetker attachierte ihn im Dezember 1949 mit einem Monatsgehalt von 360 Mark seinem Generaldirektor Delius.

Die Assistentenstelle, in aller Regel ein Katapult für Wirtschaftskarrieren, beförderte auch de La Trobe an die Spitze. Den Zirkusfreund Delius entzückte er durch eine Raubtierschau, bei der er alle Oetker-Manager in Tierkostümen auftreten ließ. Dann übernahm ihn Oetker selbst als Privatsekretär ("Ich war sein Bleistift"), als Prokuristen und schließlich als Direktor.

Die neugebildete Troika trägt die Status-Kennzeichnung des hohen Managements: Ämterhäufung und Zeitknappheit. Keiner der drei kann auf Anhieb die Zahl seiner Aufsichts- und Beiratsmandate nennen; es sind jeweils mehr als zehn. Für ihre gemeinsamen Sitzungen finden sie nur sonnabends Zeit, und Sandler muß sogar am Feiertag ins Geschäft. Mit ihm bespricht Oetker regelmäßig sonntags von elf bis halb eins neue Pläne.

Vormann Sandler: »Wir entscheiden von früh bis spät.« Sie dürfen sogar entscheiden, daß Oetker falsch entschieden hat. Wenn sie eine seiner Anordnungen nicht für richtig halten, blockieren sie die Ausführung und setzen sich mit Oetker zu neuen Konferenzen zusammen.

So selbstbewußt sind die Bielefelder Bosse, daß sie auf langfristige Arbeitsverträge verzichtet haben. Ihnen kann täglich gekündigt werden, sie selbst können täglich kündigen.

Konzernchef Oetker

Patriarchat abgeschafft

Oetker-Manager Stelbrink, de La Trabe, Sandler: Tägliche Kündigung

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