CDU/GRÜNE Neue Variante
Im Festsaal von »Haus Sagel« zu Marsberg ging es hoch her. Die Genossen des westfälischen 22 000-Seelen-Städtchens feierten, so SPD-Fraktionsgeschäftsführer Michael Berg, »den wichtigsten Sieg der hochsauerländischen Sozialdemokratie«.
Nach mehr als 30jähriger CDU-Herrschaft hatten die Sozis, gemeinsam mit S.77 der lokalen »Wählergemeinschaft Die Grünen«, in der christdemokratischen Hochburg Marsberg der CDU die gewohnte absolute Mehrheit abspenstig gemacht. Nach dem Willen der Wähler sollten im städtischen Rat die Roten (15 Sitze) und Grünen (5 Sitze) zusammen eine Stimme mehr haben als die Schwarzen (19 Sitze).
Dank der neuen Machtverteilung im Rat, so waren Sozialdemokraten und Alternative übereingekommen, sollte ein SPD-Mann ins Bürgermeisteramt gebracht werden. Doch die Genossen freuten sich zu früh. Denn »wider alle Abmachungen und Erwartungen«, so SPD-Fraktionssprecher Wolfgang Kies, wurde nicht ein Sozi, sondern ein Christdemokrat zum Bürgermeister gewählt - mit der Mehrheit von einer Stimme.
Ermöglicht hatte die Fortsetzung der in Marsberg schon traditionellen Besetzung des Bürgermeisterpostens mit einem CDU-Vertreter just jener Ratsherr, der zuvor im Kommunalwahlkampf mit am lautesten gefordert hatte, »die verkrusteten Machtstrukturen« aufzubrechen - der Grüne Karl Josef Gerlach.
Gerlachs »Verrat an der gemeinsamen Sache« (Grünen-Ratsherr Rudolf Oettmeier) an jenem »für Marsberg denkwürdigen 16. Oktober 1979« (SPD-Kies) bildete den Auftakt zu einer Kommunal-Posse, deren Hintersinn sich erst jetzt, nach über drei Jahren, erschließt: Denn über das Verhalten des grünen Landwirtes Gerlach ist inzwischen auch die Marsberger CDU entzweit.
Gerlach ist CDU-Mitglied und war es auch, als er 1979 für die Grünen agierte - »mit Billigung der zuständigen Parteiorgane« der CDU und »offenbar aus kommunalpolitisch taktischen Erwägungen«, wie ein jetzt erstelltes parteiinternes Gutachten der »Kommunalpolitischen Vereinigung der Christlich-Demokratischen Union« (KPV) ausweist, eine Parteiorganisation der CDU für kommunalpolitische Angelegenheiten in Nordrhein-Westfalen.
Das CDU-Papier deckt eine neue Variante des Umgangs der Rechten mit den Alternativen auf. Die grünen Aktivitäten des 47jährigen Bauern, so ist der KPV-Schrift zu entnehmen, seien zulässig, wenn mit »taktischen Maßnahmen eine Spitzenkandidatur (z. B. die Bürgermeisterwahl) bei knappen Verhältnissen für die CDU ermöglicht werden kann«.
Die Taktik ließe sich erklären: Denn um die Marsberger CDU war es vor den Kommunalwahlen 1979 so schlecht bestellt wie selten zuvor. So hatten sich die Christdemokraten mit der Planung einer vierspurigen Hochbrücke ebenso Bürgersympathien verscherzt wie mit dem eigenwilligen Verhalten ihres Bürgermeisters Bertram Biederbeck. Der einflußreiche CDU-Funktionär, der bisweilen 33 Ehrenämter bekleidete, mußte sich in der Lokalpresse einen »hierarchischen Führungsstil der Stadt-CDU« ("Westfalen-Blatt") vorwerfen lassen.
Besonders zu schaffen machte der Biederbeck-Partei auch die »Wählergemeinschaft Die Grünen«. In der setzten sich parteilose Umweltfreunde und organisierte Bundesgrüne für »Transparenz statt Kungelei«, für »Erhalten und Restaurieren statt Betonieren« (Grünen-Flugblatt) ein und machten Stimmung gegen »die unhaltbare Wachstumsideologie« (Grünen-Grundsatzprogramm). »Diese Grünen«, so warnte denn auch die Marsberger CDU, »locken nun mit ungespritzten Äpfeln und einer systemverändernden Umdenkparole.«
Und ausgerechnet zu denen gesellte sich wenige Wochen vor der Wahl der langjährige Christdemokrat Karl Josef Gerlach, der sich bis dahin nur als Vorsitzender des »Reit- und Fahrvereins Marsberg und Umgebung« hervorgetan hatte. Zu einem Austritt aus seiner alten Partei sah der wendige Gerlach freilich »keinen Grund«.
Seine alten Parteifreunde störte die politische Kursänderung auch nicht. Von einem Parteiausschlußverfahren, das nach der Satzung des CDU-Kreisverbandes Hochsauerland jedem droht, der »einer gegen die CDU gerichteten Wählergruppe angehört« (Paragraph 11.1), sah die Marsberger Stadt-CDU ab.
Fortan zog Gerlach mit den Grünen über die Lande und machte gegen die schwarzen Parteifreunde mobil. Die Wählergemeinschaft wußte den »engagierten Einsatz für unsere Sache«, so die damalige Grünen-Sprecherin Gertrud Bertelsons, zu schätzen. Nach der Kommunalwahl durfte Gerlach für die Grünen ins Stadtparlament einziehen.
Doch kaum im Rat der Stadt, stimmte der Landwirt nicht nur für den CDU-Bürgermeisterkandidaten Alfons Scholle - wofür sich die CDU erkenntlich zeigte und ihn einstimmig mit zum ersten Stellvertreter wählte -, sondern er entpuppte sich auch bei vielen Abstimmungen damals als der alte CDU-Parteigänger. SPD-Kies: »Wann immer es brenzlig wurde, stimmte Gerlach mit der CDU.«
Doch auch für die Christdemokraten wurde Gerlach zu einem »schwierigen Fall« (CDU-Ratsherr Ulrich Eilebrecht). Besonders als er im letzten Sommer auch parlamentarisch in seine »eigentliche politische Heimat« (Gerlach) zurückkehren wollte und einen Antrag auf Aufnahme in die CDU-Fraktion stellte - ein Ersuchen, das die Fraktion in zwei Lager spaltete.
Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Gerlach-Antrages sollte ein Partei-Gutachten der Kommunalpolitischen Vereinigung in Recklinghausen bringen. Und das fiel nicht nur zugunsten Gerlachs aus, sondern lieferte in der Begründung seiner Entscheidung auch gleich eine mögliche Erklärung für die seltsame Wandlung des Bauern vom Schwarzen zum Grünen und wieder zurück.
»Im vorliegenden Fall«, so das KPV-Papier, »war mit Billigung der CDU die vorübergehende Mitgliedschaft in einer anderen Ratsfraktion vorgesehen": ein Verhalten, das nicht parteischädigend sei, wenn es dazu diene, »die Ziele der Partei zu fördern«. Folglich müsse »nunmehr, nach Beendigung dieser anderweitigen Fraktionsmitarbeit ... die Aufnahme in die CDU-Fraktion erfolgen«.
Dem »gutachterlichen Zwang« in diesem »unsauberen Überläuferverfahren« (CDU-Ratsherr Josef Sauerland) wollten sich sieben CDU-Fraktionsmitglieder nicht beugen. Gemeinsam mit Grünen und Sozialdemokraten stimmten sie für »die Entfernung des Wahlbetrügers Gerlach« (SPD-Kies) aus seinem Amt als stellvertretender Bürgermeister.
Die Quittung erhielten die rebellischen sieben von ihrem Kreisvorstand, der jeden Vorwurf der Manipulation in Sachen Gerlach als »Unwahrheit« zurückwies. Während Karl Josef Gerlach, der »gegen die Vorwürfe gerichtlich vorgehen« will, vor kurzem auch offiziell Mitglied der CDU-Fraktion wurde, leiteten die CDU-Oberen gegen die Rebellen wegen »parteischädigenden Verhaltens« ein Ausschlußverfahren ein.