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Neue Variante der Kriegführung

aus DER SPIEGEL 6/1991

Auf den Tod erschöpft, schlapp mit den klebrig schwarzen Flügeln schlagend, suchte der ölverschmierte Wasservogel die steinige Uferbefestigung am Strand südlich von Kuweit zu erklimmen. Doch das geschwächte Tier sackte immer wieder zurück, der Überlebenskampf war nicht zu gewinnen.

Der sterbende Kormoran, von Kriegsberichterstattern am Golf fotografiert und weltweit in Hunderte von Fernsehprogrammen eingeblendet, wurde zum Symbol: Mit dem Entschluß, die meterdicken Zapfstellen vor der Küste von Kuweit zu öffnen und auf diese Weise zielstrebig eine gigantische Ölpest herbeizuführen, hatte Saddam Hussein eine neue, Furcht und Schrecken verbreitende Variante der Kriegführung eröffnet: Öko-Terror - der bedrängte Diktator nahm die Natur als Geisel.

Mit einer Bombenattacke auf die Sammelleitung des Sea Island Terminal, der ins Meer vorgeschobenen Ladestation, konnten die Amerikaner Anfang letzter Woche den sprudelnden Ölhahn erst einmal verstopfen. Doch bis Ende letzter Woche blieb unklar, ob nicht, aus dem irakischen Terminal Mina el-Bakr auf der Halbinsel Fau, immer noch neues Öl in den Golf lief. Und unentschieden blieb, woher der Wind wehen und wohin er die gigantische Öllache auf Dauer treiben würde.

Vorherrschend blieben Wind- und Meeresströmungen, die den inzwischen in mehrere Teile zerfallenen, anfänglich 160 Kilometer langen, 60 Kilometer breiten Ölteppich immer weiter nach Süden drückten. Tag um Tag mußten die Golf-Anrainer fürchten, daß der Ölfilm eine ihrer Lebensgrundlagen bedroht: Saudi-Arabien bezieht mehr als ein Drittel seines gesamten Trinkwassers aus den Meerwasser-Entsalzungsanlagen entlang der Küste zwischen Kuweit und Bahrein.

Der Öko-Alarm am Golf setzte Hilfstrupps von überallher in Marsch: Die Norweger entsandten ein Spezialschiff zum Absaugen von Ölschlick. Japan schickte Spezialisten und neuentwickelte, saugfähige Kunststoffwürste zum Eingrenzen der Ölflut. Aus Deutschland starteten fünf Ölbekämpfungsexperten mit 30 Tonnen Spezialgerät, darunter Ölsperren, Ölabsauggeräte und flexible Schwimmbehälter für das abgeschöpfte Öl.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die Umweltattacke der Iraker die erste Welle des Massensterbens im Persischen Golf schon bewirkt. Was die Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) den »Ökozid« nannte, zeigte sich am deutlichsten bei Seevögeln, Fischen und Meeressäugern. Am stärksten war die Vogelwelt betroffen. »Wenn vieles überlebt«, so erläuterte der Hamburger Zoologie-Professor Olav Giere, »die Vögel schaffen es nicht.«

»Geradezu zwergenhaft«, meint Zoologe Giere, nehme sich der bisher immer als spektakulär betrachtete Unfall des Tankers »Exxon Valdez« von 1989 im Vergleich zu dem diesmal angerichteten Schaden aus: In die Küstengewässer vor Alaska ergossen sich damals über 40 Millionen Liter Rohöl - am Golf waren es, mit schätzungsweise 1,7 Milliarden Litern, nahezu 40mal soviel.

Allein innerhalb der ersten vier Monate nach der Havarie der »Exxon Valdez« waren 30 000 tote Vögel geborgen worden; später zeigte sich, daß die Zahl der getöteten Tiere mindestens zehnmal so hoch war. Alle Versuche, verölte Vögel gesund zu waschen, darin sind sich inzwischen die Ornithologen einig, sind »nichts als Augenwischerei« (Giere).

Im Golf gab es für den von Natur aus elegant wirkenden, langhalsigen Kormoran, wenn er einmal mit der zähflüssigen Ölschicht besudelt war, keine Rettung, ebensowenig wie für die ölgebadeten Flamingos, Pelikane und Reiher, die in den saudiarabischen Küstenregionen beheimatet sind: Die Wat- und Wasservögel vergiften sich bei dem vergeblichen Versuch, ihr Gefieder zu putzen, mit dem aufgenommenen Öl; das verklebte Federkleid wird wasserdurchlässig, die Tiere verlieren ihre Auftriebskraft, ertrinken oder erfrieren.

Wie der Symbol gewordene Socotra-Kormoran, eine nur noch vor Saudi-Arabien und im Golf von Aden vorkommende Spezies dieser großen, urtümlichen Wasservögel, so sind auch andere auf den Golf als Lebensraum spezialisierte Tiere nunmehr vom Artentod bedroht - so etwa die mächtigen Dugong-Seekühe.

Die stromlinienförmigen, walähnlichen Säuger, ehemals an den seichten Küsten warmer Meere weit verbreitet, sind die einzigen überlebenden Vertreter ihrer Gattung. Die sensiblen Vegetarier, die in den unterseeischen Seegraswiesen des Golfs weiden, vermehren sich, mit nur einem Jungen nach 13monatiger Tragzeit, vergleichsweise langsam; um die Seekühe vor der Ausrottung zu bewahren, hatte der deutsche Meeresbiologe Holger Schulz, Berater der saudiarabischen Naturschutzbehörde, gerade die Einrichtung von Schutzzonen vorgeschlagen. Nun ist zweifelhaft, ob die rar gewordenen Dugongs die schwarze Flut überleben können, die ihre Haut angreift und die Atemwege blockiert.

Zu den vom Öl bedrohten »Schlüsselarten des Golfs«, so Meeresbiologe Schulz, zählen auch die Echte Karett- und die Suppenschildkröte, die ihre Eier an den Sandstränden ablegen. Der massenhafte Tod ist diesen Meeresbewohnern ebenso gewiß wie den Kleinwalen und Delphinen, den Fischen, Krebstieren und Muscheln.

Damit trifft der Terroranschlag gegen ihre Umwelt auch die Menschen direkt: Eine florierende Fischwirtschaft, die von reichen Beständen an Makrelen, Sardinen, Garnelen und vielfältigen anderen Meeresfrüchten lebte, wird weitgehend vernichtet, ebenso eine der größten Perlfischereien der Welt, von der vor allem die Bahreiner profitieren.

Noch mehr als um die schon sichtbaren Auswirkungen des Öl-GAU sorgen sich die Meeresbiologen um die Langzeitfolgen der Katastrophe. Der etwa 1000 Kilometer lange, 300 Kilometer breite und im Durchschnitt nur 35 Meter tiefe Golf ist durch frühere Ölkatastrophen und Leckagen bereits vorgeschädigt: Schon während des irakisch-iranischen Krieges 1983 gab es Lecks in iranischen Förderanlagen und explodierten Öltanker auf dem Binnenmeer, das mit 150 Tankschiffen pro Tag der meistbefahrene Öl-Transportweg der Welt ist.

Die Strömung in dem weitgehend nach außen abgeschlossenen Meeresbecken ist von den wechselnden, meist aus Nordwest wehenden Winden abhängig. Driftet die von den Irakern herbeigeführte Ölpest immer weiter gen Süden, wären die Habitate mit der größten Artenfülle in Gefahr, die Korallenriffe: »Das fragile Öko-System dieser in Jahrmillionen gewachsenen Lebensräume könnte irreparabel geschädigt werden«, fürchtet Öl-Ingenieurin und WWF-Mitarbeiterin Nicole King-Volcy. Mit der Zeit siedelt sich zwar auf den abgestorbenen Korallenriffen wieder Leben an, etwa in Form robuster, einfacher Algen, »doch es entsteht nur ein ärmeres, ganz anders geartetes ökologisches Gefüge« (King-Volcy).

Selbst wenn der Ölteppich auf dem Golf sich allmählich verteilt und auflöst, befürchten Biologen jene »feineren, schleichenden Effekte«, die, wie der Hamburger Biologe Giere erläutert, am Ende »das gesamte Nahrungsnetz zusammenbrechen« lassen: Vögel, Seekühe oder auch Wale sind nur Endglieder einer Kette, die zerstört wird, wenn im Golf weiträumig das Plankton abstirbt.

Zwar verdunstet mindestens ein Drittel der 2000 bis 3000 chemischen Verbindungen, aus denen Rohöl besteht. Doch niedermolekulare toxische Substanzen wie Benzole und Phenole lösen sich in Wasser und gelangen in tiefere Meeresschichten, wo sie Seegras, Schwämme, Muscheln und andere marine Lebewesen vergiften.

Je nach Tier- und Pflanzenart, das zeigten Gieres Untersuchungen nach Ölunfällen, erleiden die Organismen Stoffwechsel- und Atmungsschäden, Störungen im Bewegungsapparat und im Verhalten. Viele der überlebenden Arten werden in ihrer Fortpflanzung, in der Embryonalentwicklung und im Wachstum so stark geschädigt, daß sie im natürlichen Konkurrenzkampf schließlich unterliegen: »Ihre Populationen siechen allmählich dahin, um irgendwann ganz zu verschwinden« (Giere).

Akute, schwerwiegende Folgen für das marine Öko-System im Golf sind demnach unausbleiblich. Auf längere Sicht, so meinen die Wissenschaftler, kann sich die Natur jedoch zumindest teilweise wieder regenerieren. »Der Golf«, so Biologe Giere, »muß, wenn nicht noch viel mehr Öl ausläuft, nicht zu einem toten Meer werden.«

Die Voraussetzung dafür, daß sich die Meeresfauna und -flora von den Folgen des ersten Umweltkrieges in der Geschichte der Menschheit wieder erholt, sind am Golf günstiger als in anderen Meeresregionen, beispielsweise in Alaska.

Zum einen hilft das warme Klima am Golf: Bei den derzeitigen Lufttemperaturen von etwa 14 Grad vor der kuweitischen Küste und bei Wassertemperaturen um 20 Grad könnten die allergiftigsten Bestandteile schon im Laufe einer Woche verdunsten, meint Olof Linden, Professor für tropische Meeresökologie am schwedischen Umweltforschungsinstitut in Karlskrona.

Zurück bleibt eine Öl-Wasser-Emulsion, im Fachjargon »Chocolate Mousse« genannt, die wahrscheinlich unter der Wasseroberfläche dahintreiben wird und, je nach Wetterlage, allmählich absinkt oder in Form von Teerklumpen an den Küsten angeschwemmt wird.

Die Temperaturen begünstigen auch den Abbau des schmierigen Films durch ölfressende Bakterienstämme, die am Golf relativ reichlich vorhanden sind - weil es dort schon bisher soviel Öl zu fressen gab.

Auf diese natürlichen Ölvertilger bauen die Umweltschützer am meisten; die Chancen der Hilfstrupps, den Ölteppich abzuschöpfen, stehen hingegen eher schlecht. »Sogar in Friedenszeiten«, konstatiert Öl-Ingenieurin King-Volcy, »konnten mit größten Anstrengungen nur zehn bis zwölf Prozent des ausgeflossenen Öls geborgen werden.«

Am drängendsten schien Ende letzter Woche die Frage, ob es gelingen könne, die empfindlichen Meerwasser-Entsalzungsanlagen vor der andrängenden Ölflut abzuschirmen. Die nördlichste der saudiarabischen Wassergewinnungsanlagen, Chafdschi, ist schon seit geraumer Zeit abgeschaltet. Doch nun schien es eine Frage von Tagen oder gar Stunden, bis der Ölteppich die Wasserfabrik von El Dschubeil, die größte Meerwasser-Entsalzungsanlage der Welt, erreicht haben würde.

Bereits 1983, nach der auch damals vom Irak verursachten Ölpest im Bohrfeld von Naurus, waren die saudiarabischen Trinkwasseranlagen weiträumig durch schwimmende Kunststoffbuhnen abgeschirmt worden, die ein Meter tief ins Wasser eintauchen (siehe Grafik). Doch Fachleute äußerten letzte Woche die Befürchtung, der nach Süden drängende Ölschwall werde, bei genügendem Wind- und Strömungsdruck, diese künstlichen Hindernisse überrollen wie eine Lawine einen Gartenzaun. In diesem Fall müßte die Anlage in El Dschubeil, die viereinhalb Millionen Menschen mit Wasser versorgt, abgeschaltet werden.

Welche Schäden durch kleinere Ölverunreinigungen in der Wasserfabrik ausgelöst würden, wußte letzte Woche niemand exakt vorherzusagen. Die Entsalzungsanlage von El Dschubeil saugt das Meerwasser durch meterdicke Schlünde in zehn Meter Tiefe an, elf Millionen Kubikmeter am Tag, doppelt soviel, wie ganz New York verbraucht.

Jeweils ein Viertel dieser gigantischen Wassermenge kommt nach einer »vielstufigen Entspannungsverdampfung« (siehe Grafik Seite 153) als hochreines Trinkwasser heraus und wird in die Versorgungsnetze eingespeist.

Schwere Schäden entstünden, wenn größere Mengen Öl über die Ansaugrohre ins Innere der Anlage dringen. Wie ein klebriger Film würde sich das Öl in den Verdampfern ablagern und die Wasserfabriken auf lange Zeit lahmlegen.

Doch dahin wird es gar nicht kommen. Denn schon wenige Liter Rohöl genügen, um die Gewinnung von Trinkwasser zu stoppen. Ein geringer Teil des Öls würde bei dem Destillationsvorgang mit verdampfen und sich dementsprechend im Trinkwasser wiederfinden. Schon in Spuren aber verändern Ölrückstände den Geschmack enorm - das Trinkwasser wird ungenießbar, lange bevor die Verunreinigung die Schwelle der Giftigkeit erreicht hätte.

Betroffen wären als erste vor allem die zwei Millionen Einwohner von Riad, die zu drei Vierteln von El Dschubeil aus versorgt werden. Insgesamt gewinnen die Bewohner des Wüstenstaates Saudi-Arabien, die mit 450 Liter pro Kopf und Tag dreimal soviel Wasser verbrauchen wie der durchschnittliche Bundesbürger, nur ein Drittel ihres Trinkwasserbedarfs aus Brunnen.

In arge Bedrängnis kommen, ohne das in El Dschubeil entsalzte Meerwasser, auch die alliierten Streitkräfte. 750 000 Mann sind im saudisch-kuweitischen Grenzbereich stationiert, wo es mit der Wasserversorgung eng wird, wenn die Leitung aus El Dschubeil versiegt.

Der Tagesverbrauch eines Soldaten in der Wüste, Waschen nicht gerechnet, wurde zeitweilig mit 23 Liter beziffert. Kommt es zum Landkrieg und zu den gefürchteten Chemieangriffen der Iraker, würde der Wasserbedarf bei der Truppe ruckartig steigen. Zum Dekontaminieren eines einzigen von chemischen Waffen heimgesuchten Infanteristen sind einige Hundert Liter Wasser nötig.

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