NEUER MENSCH
(Nr. 44/1970, SPIEGEL-Gespräch mit Professor Hacker)
Ihr Gespräch mit Professor Hacker ist sehr interessant, ganze Passagen werde ich mir hinters Ohr stecken. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, daß das alles SPIEGEL-Fechterei ist! Ein Beispiel: Das Kind plärrt und plärrt und plärrt und plärrt ... Frage nach der »Gewalt« und »Aggression«. Hamburg ECKHARD SCHÄFER
Wenn man Aggression als Folge des Betätigungsdranges, der Eigenaktivität des Menschen ansieht, so ist die Feststellung, daß aggressionsloses Zusammenleben unmöglich sei, eine notwendige Folgerung. Die Aussage, daß Aggressionen zum Leben des Menschen gehören, bleibt banal, wenn nicht Kriterien geliefert werden, anhand derer zwischen »notwendigen«, »sinnvollen« und »überschüssigen«, »destruktiven«, »schlechten« Aggressionen unterschieden werden kann. Trotz mehrfacher gezielter Aufforderung, auf solche Unterscheidungskriterien zu sprechen zu kommen, weicht Herr Hacker diesem Thema aus; schließlich gibt er zu erkennen, daß er die Lösung dieser Frage von der Zukunft der Wissenschaft erwartet: »Durch empirische Forschung, durch Experimentieren und durch Pluralismus, indem man das gleichzeitige Funktionieren verschiedener Systeme toleriert«, glaubt er, könne die Frage geklärt werden. Kritik an bestehenden Verhältnissen ist nach Hackers Ansicht notwendig, er übt sie auch selbst, allerdings sehr vage und ohne zu sagen, anhand welcher Kriterien er dies tut. Offenbar glaubt er, als Wissenschaftler nicht eindeutig Stellung beziehen zu können. So verwundert auch nicht, daß er es für prinzipiell gleichgültig hält, woher Kritik und Veränderung kommen: »Wenn Sie fragen, wer sich der vorhandenen Organisationen und Institutionen bemächtigen soll, kann ich nur sagen: möglichst andere als die, die es jetzt machen -- zu experimentellen Zwecken.« Es ist schlicht unverständlich, daß man sich angesichts· der grauenhaften Aggressionen, die täglich geschehen, damit zufriedengeben kann, festzustellen, daß Aggressionen notwendig zum menschlichen Leben gehören und daß man die Kriterien, nach denen zu entscheiden ist, welche Aggressionen schlecht, abzulehnen und zu ändern sind, aus wissenschaftlichen Experimenten und pluralistischem Herumprobieren irgendwann in der Zukunft will.
Berlin HELGA RENFORDT
Apropos das brennendwichtige Gespräch mit Professor Hacker möchte ich die Frage an ihn stellen: Wäre nicht viel gewonnen -- das heißt eine »Sublimierung« der Gewalt, eine »Verritterlichung« -, wenn sich die Gewaltanwender Ebenbürtigkeit zubilligten? Das taten doch auch die altmodischen Duellanten! Denn noch schlimmer als alle Kriege, an denen gleichbewaffnete oder einigermaßen gleichbewaffnete Gegner sich gegenüberstehen, finde ich den Überfall auf wehrlose Kategorien, wie beispielsweise auf die Indianer, mit vergiftetem Zucker. Hier liegt doch ganz deutlich die Grenze zwischen »guter« und »schlechter« Gewalt? Also: man soll seinem Feind eine Waffe verehren und niemanden als seinen Feind betrachten, der diese Waffe nicht zu bedienen weiß. Es würde dann eine Art ernstes Spiel daraus, aber: Um so besser -- nicht wahr?
Hagersten (Schweden) HILDE RUBINSTEIN
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