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VERBRECHEN / WALL STREET Neun Kugeln

aus DER SPIEGEL 25/1967

Solange sich Alan ("Al") Robert Rosenberg, 36, mit zünftigen Gaunereien -- Diebstahl, Hehlerei, Postbetrug -- abgab, fürchtete er nur die Polizei und sonst nichts in Chicago. Als er ins Börsengeschäft einstieg, hatte er auch organisierte Gangster gegen sich.

Am 17. März dieses Jahres war es um den 292 Pfund schweren Geschäftemacher geschehen. Eine Chicagoer Polizeistreife fand ihn auf dem Rücksitz eines 67er Miet-Cadillacs; in seinem Körper steckten neun Pistolenkugeln vom Kaliber neun Millimeter.

Der Mord an Rosenberg -- laut Polizeibericht die »typische Arbeit berufsmäßiger Killer« enthüllte, was Amerikas Strafverfolgungs-Behörden seit langem vermuten: Chicagos Gangster-Syndikate sind des Handels mit Rauschgift, Waffen und geraubtem Schmuck überdrüssig und haben sich auf Aktienhandel umgestellt. Wer sie dabei stört, wird liquidiert.

Ralph S. Saul, Präsident der New Yorker Börse »American Stock Exchange«, sagte den kriminellen Spekulanten jetzt den Kampf an. »Bei uns wird zuviel manipuliert«, eröffnete er vergangenen Monat in einem Brief den Börsenmitgliedern und rief die Staatsanwaltschaft zu Hilfe.

Schon seit langem war Saul aufgefallen, daß die Kurse einiger Aktien an seiner Börse ungewöhnlich auf und nieder tanzten. Beispielsweise

> zogen die Papiere der Rowland Products Inc. in Kensington, Connecticut, Anfang letzten Jahres binnen vier Monaten von 28 auf 48,75 Dollar an; fünf Wochen später sackten sie auf 23,88 Dollar ab;

> kletterten die Aktien der Pentron Electronics Corporation in Chicago zur gleichen Zeit von 1,75 auf 3,75 Dollar, danach fielen sie auf 1,25 Dollar zurück.

»Die Masche ist immer dieselbe«, erläuterte Börsen-Präsident Saul den Staatsanwälten. »Eine Reihe von Börsenkunden deckt sich mit bestimmten Aktien ein, streut Gerüchte über zukünftige Gewinne aus und verkauft, wenn die Publikumsnachfrage die Kurse in die Höhe treibt.«

Einer von Sauls Börsenkunden war Al Rosenberg. Im März vergangenen Jahres schloß der mehrfach vorbestrafte Finanzmann, der sich Dritten gegenüber gern als »Alan Rich« oder »Mr. Allen« ausgab, einen Pakt mit der angesehenen Maklerfirma Edward N. Siegler & Co. in Cleveland, Ohio.

Siegler, so schlug Rosenberg vor, solle ein Zweigbüro in Chicago eröffnen, da dort »große Geschäfte« zu machen seien. Er, Rosenberg, wolle sich auch an der Suche nach einem geeigneten Büroleiter beteiligen. Als der Makler zögerte, drohte Rosenberg mit Enthüllungen; vorsichtshalber hatte er sich mit belastendem Material gegen Siegler versehen.

Siegler gab nach, eröffnete eine Filiale in Chicago, und Büroleiter wurde Sam Kurzburg, ein ehemaliger Oberkellner mit Verbindung zu Chicagos Unterwelt.

Gemeinsam mit Rosenberg kaufte der zum Börsenmakler avancierte Gastronom in großem Stile Rowland- und Pentron-Aktien sowie Papiere fünf weiterer Gesellschaften auf. Das Finanz-Duo bezahlte die Aktien nicht in bar. Statt dessen verschaffte sich Kurzburg -- im Namen Sieglers -- Kredite von der First National Bank of Lincolnwood in Lincolnwood, Illinois. Währenddessen trieben Rosenberg und Kurzburg mit Hilfe falscher Gerüchte über »außergewöhnliche Gewinnaussichten« die Kurse von Rowland und einiger anderer Aktiengesellschaften in die Höhe. Auf Rückfragen anderer Makler bestätigte auch Siegler, daß die Firmen glänzende Geschäfte machten.

Indes, die Börsengauner von Chicago hatten sich verrechnet. Bevor sie ihre Aktien im Wert von 5,2 Millionen Mark mit Gewinn wieder abstoßen konnten, sanken -- auf schlechte Nachrichten aus Vietnam hin -- in New York allgemein die Kurse und rissen auch die Papiere von Pentron und Rowland mit.

Sieglers Kreditgeber in Lincolnwood baten zur Kasse. Doch Bürochef Kurzburg tauchte unter, und das Maklerbüro Siegler mußte Konkurs anmelden.

Fortan ging es auch mit Rosenberg bergab. Um wieder ins Börsengeschäft einsteigen zu können, nahm er mehrfach Kredite bei Geldverleihern der Chicagoer Unterwelt auf, zum Zinssatz von eineinhalb Prozent pro Tag. Doch weder Kurzburg noch andere Gangster mochten mehr mit ihm zusammenarbeiten.

Als Rosenberg -- im Dezember vergangenen Jahres -- die Kredite nicht zurückzahlen konnte, erreichte ihn in einer dunklen Vorstadtstraße die erste Warnung: Ein Unbekannter brach ihm beide Beine. Rosenberg humpelte zur Polizei und versprach, Einzelheiten über die Aktien-Geschäfte der Unterweit auszupacken.

Bevor er jedoch vor dem Untersuchungsrichter aussagen konnte, sackte er im Feuer seiner Mörder zusammen. Kommentar der Chicagoer Polizei: »Zu schade, Al hätte uns noch viel erzählen können.«

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