GESELLSCHAFT / AUGUST VON FINCK Neun Nullen
Der alte Mann trägt einen konfirmandenblauen Anzug schlichter Machart, dazu braune Schuhe mit abgetretenen Absätzen. Kragen und Manschetten seiner Hemden wirken verschlissen. Schief hängt der nachlässig gebundene Schlips.
Das Bürgerwort zu desavouieren, daß Kleider Leute machen, fällt dem Greis nicht schwer. Jenseits der Milliarden-Grenze gelten wieder Bauernregeln.
Sonntags benutzt er einen Volkswagen. Er fährt ins bayrische Land südöstlich von München und stapft im abgewetzten grünen Lodenmantel kilometerweit durch Wälder, die ihm gehören. Er macht nichts her von seinem Eigentum, trinkt wenig und raucht mäßig -- allenfalls billige Strohhalm-Virginias, die auch das sprichwörtliche Gerede widerlegen, daß Geld nicht stinkt.
Kleingeld trägt er nicht bei sich. Braucht er es gleichwohl, bohrt er die ungepflegten Finger in die Westentesehen und murmelt.: »Ach. habe ich denn nichts eingesteckt?« Markstücke nimmt er mit offener Hand von jedem entgegen, der nahe ist.
Wer immer dem Greis mit Münzen beisprang -- ihn an die kleinen Gaben zu erinnern, hat kaum jemand gewagt. Und da freilich stimmt das Sprichwort, wenn auch für die anderen -- Adel verpflichtet eben doch: August Georg Heinrich von Finck, 71, hat neun Nullen vor dem Komma.
Der bayrische Edelmann wird auf drei bis vier Milliarden taxiert. Nur er und der noch ältere Düsseldorfer Industrielle Friedrich Flick, 86, stehen zur Wahl, wenn die Frage zu beantworten wäre, wer der reichste Mann der Bundesrepublik sei. Dann jedenfalls kommt sehr lange nichts, mehr als anderthalb Milliarden besitzen nur die zwei Greise.
Außer dem immensen Vermögen verbindet die beiden nichts. Zweimal -- vor und nach dem letzten Krieg -- fügte Kapitalist Flick ein Industrie-Imperium zusammen. Finck fügte sich in die Rolle des Prinzipals, der ererbtes Vermögen verwaltet.
Flick ist zum Synonym für Kapitalanhäufung geworden -- für die Apo wie für das Establishment; seine Konzernspitze »Verwaltungsgesellschaft für industrielle Unternehmungen« muß nach dem Aktiengesetz Bilanzen veröffentlichen.
Finck ist selbst in Bayern kaum bekannt -- das Photo, das der SPIEGEL auf dieser Seite veröffentlicht, ist die erste Aufnahme seit Jahrzehnten; seine Vermögenszentrale, das Münchner Bankhaus Merck, Finck & Co., braucht nichts zu publizieren, weil sie als Offene Handelsgesellschaft firmiert.
Der Finanzmakler Rudolf Münemann, der, bevor er fallierte, über drei Cadillacs gebot ("Sonntagsblatt": »Krösus"); der Millionen-Rentier Arndt von Bohlen und Halbach, dem »Jasmin« ein »Existenzminimum von 100 000 Mark im Monat« zuschrieb; Playboy Gunter Sachs, der 88, Picassos und ähnliche Kleinodien sammelte -- all diese Illustrierten-Millionäre nehmen sich gegenüber dem Milliardär wie Kleingewerbetreibende aus. Selbst Springer ist ein kleiner Mann gegenüber Finck, dem unter anderem gehören:
* das Bankhaus Merck, Finck & Co. zur Hälfte, dessen Eigenbestand an Aktienpaketen und an Beteiligungen auf eine Milliarde geschätzt wird; die Bank hält zwei Dutzend Aufsichtsratsposten in diversen Industrie- und Handelsbereichen besetzt;
* rund 2000 Hektar Boden an der Münchner Peripherie -- zwanzig Millionen Quadratmeter potentielles Bauland. Für zwei Drittel dieser Partie wollte ihm die Stadt vor zehn Jahren bereits 800 Millionen Mark geben; heute wird der Grund auf mindestens zwei Milliarden geschätzt.
Außer dem gleichwertigen Restdrittel besitzt Finck noch Landstücke in anderen Regionen, verschiedene Immobilien, auch eine der schönsten bayrischen Jagden im Karwendel und einen 53 Hektar großen See im Isar-Hochtal. Allein an die gewerkschaftseigene »Neue Heimat« veräußerte er während der letzten Jahre Grund für über 100 Millionen Mark; für einen Teil der Kaufsumme ließ er sich Ersatzboden in mäßiger Entfernung von München überschreiben, der dieses, nächstes oder übernächstes Jahr für die gleiche »Neue Heimat« als Bauland interessant sein wird. »Es ist wie im Märchen von Hase und Igel«, so Ludwig Geigenberger, Geschäftsführer der »Neuen Heimat Bayern«, »wo wir auch hinkommen -- Finck ist schon da.«
Und obwohl er immer schon da ist. weiß es kaum einer; nie hat sich an Finck eine Auseinandersetzung über die Fragwürdigkeit der westdeutschen Bodenordnung entzündet, nie weiteten sich die Diskussionen um eine gerechte Vermögensverteilung oder um die Erbschaftsteuer auch nur bis zur Erwähnung seines Namens aus.
So wäre es vielleicht geblieben, wenn nicht ein rumäniendeutscher Bauer namens Hans Bittenbinder, heute 49, sich gegen die bayrische Obrigkeit gesperrt hätte. Bittenbinders Hartnäckigkeit rückte den Milliardär unversehens in den Mittelpunkt einer jener bayrischen Affären, die nach mittlerweile klassischem Muster ablaufen: Einige Reiche kommen zu Millionen, außer weniger begüterten Bürgern erleidet niemand einen meßbaren Schaden, die Exekutive wickelt die Geschäfte in aller Stille ab, und die Legislative erfährt höchstens durch Zufall davon, obwohl sie von den Ministerien eingeschaltet hätte werden müssen.
Das Stichwort zur Affäre lautet »Bodenreform« -- eine Umschreibung für das, was nach 1945 in Deutschland hatte geschehen sollen. Wie alle bayrischen Großgrundbesitzer mußte auch der Bankier nach dem Kriege aufgrund eines Gesetzes Land für Flüchtlingssiedler abgeben.
Doch auf gut bayrisch wurde der ursprüngliche Enteignungsbeschluß über 575 Hektar etappenweise auf schließlich 200 Hektar gedrückt. Mehr noch: Finck erreichte es, daß ihm Bayerns CSU-Regierung darüber hinaus weitere 45 Hektar Bau- und Bauerwartungsland nahe München für eine ganze Mark pro Quadratmeter zurückgab (und ihm in diesem Zusammenhang fällige Steuern in Hohe von rund zwei Millionen Mark erließ).
Auf einigen dieser 45 Hektar wirtschaftete der inzwischen dort angesiedelte Bittenbinder. Die Rückübereignung des Landes an Finch machte Bittenbinder wieder bodenlos. Der Landwirt bemühte erfolglos die Gerichte und wandte sich schließlich an die SPD, die ihrerseits einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß im Bayerischen Landtag durchsetzte. »Zu untersuchen«, schrieb der Pressedienst der bayrischen SPD, »wären die tatsächlichen Motive, einem Milliardär ohne zwingenden Grund 50 Millionen Mark in den Rachen zu werfen.«
Und das, obwohl Finck der das begehrte Land vor »den Toren Münchens besitzt, jeden Tag von selber reicher wird -- entsprechend einem Automatismus, der einerseits auf dem Expansionszwang der Stadt, andererseits auf der Unvermehrbarkeit des Bodens beruht: Die beiden Komponenten vereinen sich erst im Spitzenpreis für den Quadratmeter, den der Bodeneigentümer verlangt.
Denn die Bundesrepublik, die sich als sozialer Rechtsstaat verstanden wissen möchte, gestattet jedermann den willkürlichen Umgang mit Grund und Boden -- so er ihn besitzt. Kaum war die CDU in Bonn etabliert, entwickelte sie eine Eigentumsideologie, die der spätere Bundeswohnungshauminister Paul Lücke klar definierte:
»Unsere bedrohte Lage am Eisernen. Vorhang fordert mehr denn je persönliches Eigentum in den Händen breiter Kreise. Das Eigentum an Grund und Boden ist die sicherste, glaubwürdigste und ursprüngliche Form des Eigentums überhaupt.«
Aufgrund dieser Philosophie vom Eisernen Vorhang verhalf die CDU der Bundesrepublik zu einer Grund-und-Bodenordnung, die Gemeinschaftsaufgaben behindert, die ohnehin ungerechte Vermögensverteilung noch weiter verzerrt und dem Grundbesitzer zu fordern erlaubt, was ihm gefällt: Sozialer Wohnungsbau findet heute kaum mehr statt, weil die Bauherren das Land zu exzessiven Preisen kaufen müßten (was zwangsläufig unsoziale Mieten zur Folge hätte).
Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel: »Wer Trinkwasser zurückhielte, damit es im Preise steigt, würde als Wucherer gebrandmarkt. Ich behaupte, daß die Grundstücke
bereits den Knappheitsgrad und die gesellschaftliche Funktion des Trinkwassers erreicht haben.«
Solche Sprache mull August von Finck befremden. Er, der steife Bankier, der vor Menschen mit prallen Konten auf altmodische Weise in den Hüften einknickt und vor höherem Adel mühelos einen Kratzfuß zustande bringt, erweist sich als ein Abkömmling des Fin de siècle, der »die Welt des notwendigen Sozialwandels nicht versteht und auch gar nicht verstehen will. Wie in einem Museum lebt er weiter in der Epoche, der er entstammt und die es seit spätestens 1914 nicht mehr gibt -- Fossil der Großbourgeoisie mit Kleinadelsprädikat.
Finck präsentiert sich als kauziger, geiziger Nachfahre jener Gründerzeit-Generation, die zu Bismarcks Zeiten die Chancen des Kapitalismus wahrnahm, gegen Ende der Monarchie vermittels »großherziger Stiftungen« noch rasch zu einem Titel kam und ihr Vermögen so anzulegen wußte, daß der Erste Weltkrieg ihm nichts und die Inflation nur wenig anhaben konnte.
Ihre Abkömmlinge, unter dem Kaiser wohlbehütete Mitglieder einer privilegierten Kaste, belachten den »Sattlergesellen Ebert« und fürchteten die sozialen Unruhen der Weimarer Republik. 1932 füllten sie jene Zirkel auf, in denen geprahlt wurde, so ein Hitler sei natürlich durchaus brauchbar, um mit Gewerkschaftern und Sozis aufzuräumen; hinterher könne man sich des böhmischen Gefreiten ja mühelos entledigen.
Als das wider Erwarten nicht klappte, arrangierten sie sich schnell und versicherten einander, Führer und Reich seien eben unlösbar miteinander verbunden. Sie waren keine Nazis. aber deutsche Patrioten; so ließ die NSDAP sie und ihren Besitz in Ruhe. und die Geschäfte liefen auch unter den Nazis gut. Erst bei Kriegsende zeigten sie sich ratlos. »Das Jahr 1945 hat ja soviel Tradition über Bord geworfen«, klagt August von Finck.
Entnazifizierung -- das war Schikane der Demokratie, Politik -- das ist schmutziges Geschäft. Gegenwart das heißt die Vergangenheit verlängern, und gewiß sucht August von Finck in der Sparsamkeit seinen Vater Wilhelm nachzueifern, der Buch über jede Briefmarke, über jede Zahnbürste und Regenschirmreparatur führte. Doch was beim Vater noch zur Reputation gehörte -- die Demonstration persönlicher Gediegenheit gegenüber den Geschäftsfreunden -, hat sich beim Sohn zum Denken in kleiner Münze schlechthin ausgewachsen.
Auf dem Finck-Sitz Gut Möschenfeld, östlich von München, rüstete ein Gast zur Abreise, als ihn der Hausherr unvermittelt ansprach, ob er ihn nicht im Wagen bis zur Ortschaft Haar mitnehmen könne. Frage: »Selbstverständlich, wo soll's denn hingehen?« Finck: »Zum Friseur, der ist dort 15 Pfennig billiger als in München.«
Die Geizkragen-Attitüde hat vom Spätkapitalisten Finck derart Besitz ergriffen, daß er Exempel seiner Knauserigkeit nicht etwa als Witz, sondern als Beispiel von Tugend ausgibt. So erzählt er mitunter die Geschichte, wie er im Kriege, als er häufig Straßenbahn fahren mußte, »immer vorne einstieg, denn der Schaffner kam ja von hinten«. Hatte sich der Schaffner durchgearbeitet, sprang Finck ab »und wartete auf die nächste Bahn. Auf diese Weise sparte ich immer wieder 20 Pfennig«.
Das Anekdotische im Leben des August von Finck besagt, daß er der Erkundigung des Zuhörers, wie hoch er denn seine Arbeitszeit bewerte, verständnislos gegenübergestanden habe. Aber wenn das wahr ist, dann bleibt unerfindlich, warum Finck »einer der großen bayerischen und deutschen Unternehmer« sein soll, wie die »Bayerische Staatszeitung« meint.
Tatsächlich haben die wenigen, sorgsam ausgewählten Journalisten, die zu dem Milliardär vorgelassen wurden, bislang zur Erhellung des Phänomens Finck nichts beigetragen. Felix Brüggemann etwa, Wirtschaftschef des »Münchner Merkur«, unterrichtete seine Leser lieber darüber, wie er anläßlich einer Audienz bei Finck den Bankier sagen hörte, er wünsche jetzt nicht gestört zu werden. »Dankbar«, so der Journalist, habe er »diese ganz unerwartete besondere Aufmerksamkeit« registriert.
Die hätte Fincks Vater Wilhelm, der dem Kolonialwarenhandel Finck & Schäfer im hessischen Vilbel entstammte und 1870 als 22jähriger Prokurist in das gerade gegründete Münchner Bankhaus Merck, Christian & Co. eintrat, eher angestanden. 1879 hieß die Firma bereits Merck, Finck & Co., 1897 gehörte sie nurmehr Wilhelm Finck und seinem jüngeren Bruder August.
Der »Banguier« (Wilhelm Finck über sich) war kein Genie, aber tüchtig. Sein Biograph Bernhard Hoffmann schildert ihn als unmusisch, robust, arbeitswütig -- Qualitäten, die, weniger von Intellekt denn von Durchsetzungskraft zeugend, auch moderne Manager auszeichnen. Ihm wurde nachgerühmt: »Er hatte die seltene Gabe, nur gute Geschäfte zu machen.«
Er begründete oder mitbegründete Brauereien (darunter ·die heutige Löwenbräu AG), Eisenbahnlinien und die Münchner Trambahn AG, des weiteren Deutschlands erste Wasserkraft-Überlandzentrale, die Isarwerke GmbH, außerdem die Bayerischen Stickstoffwerke AG und, gemeinsam mit Rudolf Diesel. die Allgemeine Gesellschaft für Dieselmotoren AG.
Seinem Monarchen, dem irren Schlösserbauer Ludwig II., verweigerte er mißtrauisch einen Kredit, dafür engagierte er sich in Granitbrüchen' Blei- und Kupferbergwerken. Und mit Vorliebe kaufte er aus Zwangsversteigerungen Land auf. Biograph Hoffmann über den »Stand beim Tode« des Banguiers: »Der Hauptbesitz im Osten Münchens dehnt sich, fast geschlossen, auf die 20 Kilometer lange Strecke von Perlach bis Zorneding aus und umfaßt zu einem Drittel Wiesen und Ackerland, zu zwei Dritteln Wald.«
Gründerfreudigkeit zeugte auch die Münchner Rückversicherungs AG, die Wilhelm Finck gemeinsam mit zwei Konsorten, 1880 errichtete. Ihr Feld: Sie deckt bestimmte Prozentsätze oder Spitzen der von den Direktversicherern garantierten Versicherungssummen ihrerseits ab, zahlt also im Schadensfalle entsprechende Anteile an die Erstversicherer aus.
Zwar gab es damals in Deutschland bereits einige Unternehmungen dieser Art, doch handelte es sich dabei nur um unbedeutende Firmen. Das große Rückdeckungsgeschäft wurde in England getätigt, vorwiegend bei Lloyd's. Allein eine einzige Berliner Agentur reichte jährlich 20 bis 25 Millionen Mark deutscher Prämiengelder nach London weiter. »So war der Zeitpunkt«, berichtet Hoffmann über Fincks Rück-Initiative, »günstig und richtig gewählt.«
Unter dem Aufsichtsratsvorsitzer Wilhelm Finck -- er hielt diesen Sessel 44 Jahre lang, bis zu seinem Tode -- legte die Münchner Rück derartige Reserven zurück, daß sie
* nach dem großen Brand von Baltimore im Februar 1904 -- Gesamtschaden 300 Millionen Mark -- trotz Abdeckung ihrer eigenen Verpflichtungen von vier Millionen noch eine Dividende von 25 Prozent ausschüttete;
* nach dem Erdbeben von San Francisco im April 1906 -- Gesamtschaden rund zwei Milliarden Mark -- ihre eigene Rechnung von elf Millionen beglich, 20 Prozent Dividende zahlte und im nächsten Geschäftsjahr die Ausschüttung wieder auf 25 Prozent anheben konnte. Zehn Jahre nach ihrer eigenen Geburt, am 5. Februar 1890, zeugte die Münchner Rück eine Tochter namens Allianz Versicherungs-AG (Werbeslogan heute: »Hoffentlich Allianz-versichert"), deren Aktien am Tage ihrer Einführung an der Börse bereits mit 300 Punkten notiert wurden. Kontinuierlich entwickelte sich die Allianz unter ihrem Aufsichtsratsvorsitzer Wilhelm Finck zum größten Direktversicherer des europäischen Kontinents.
Bei der Allianz kroch nach dem Ersten Weltkrieg eine Serie angesehener deutscher Versicherungen unter, die an der Inflation zu siechen begannen: Sie konnten ihre Auslandsverpflichtungen nicht mehr in Devisen begleichen. Die Allianz dagegen hatte systematisch Devisen gehortet; mühelos übernahm sie die Schulden ihrer Konkurrenten und die Konkurrenten dazu.
Von Montag bis Sonnabend kontrollierte Wilhelm Finck -- sein einziger Bruder August war bereits 1903 als Junggeselle verblichen -- seinen Konzern, sonntags inspizierte er seine Güter. Von 1905 an durfte er sich Reichsrat der Krone Bayerns nennen, erhielt im gleichen Jahr den persönlichen, 1911 den erblichen Adel und den Fink im Wappen.
Doch als er 1924 starb, schien es, als zerrinne das Geschaffene: 1916 war sein älterer Sohn Wilhelm als Leutnant im Infanterie-Leibregiment gefallen. Wie in der ersten Wilhelm! August-Generation war auch in der zweiten Wilhelm der weitaus begabtere; ihm hatte der Vater die geschäftlichen Unternehmungen, dem jüngeren August nur die Landwirtschaft hinterlassen wollen. Entmutigt entschied der Banguier nun, das Bankhaus möge nach seinem eigenen Begräbnis liquidiert werden.
Der Alte traf entsprechende Bestimmungen, und erst als Moribunder warf er seine Entscheidung um und bestimmte August doch noch zum Nachfolger. »Wenige Tage vor seinem Tod«, so Biograph Hoffmann, entschloß sich der Vater »zu einigen testamentarischen Verfügungen, die frühere ... änderten«.
August von Finck erbte fast alle Güter und gemeinsam mit seinen Schwestern Margarethe, heute 78 und verwitwete Freifrau von Stengel, sowie Elisabeth, heute 74 und verehelichte Winterstein, das Bankhaus samt Depots und Beteiligungen.
Mit 25 Jahren übernahm August von Finck zwei Dutzend Aufsichtsratsposten, inbegriffen die Vorsitzerstühle bei der Münchner Rück und der Allianz. Im Kriege hatte er in einer Fourage-Kompanie gedient und sich dabei das rechte Knie lädiert. In der Bank wird heute spöttisch geflüstert: »Er stolperte über einen Brotlaib.«
Der junge Mann mit der gelegentlich meckernden Lache galt unter den nüchternen Bankern bald als blasiert. Ursprünglich zum Landwirt bestimmt, jetzt zwangsläufig an der Statur seines Vaters gemessen, stand er den komplizierten Techniken des Finanzwesens unbeholfen gegenüber.
Vater Wilhelm hatte das Vermögen mit sicherer Hand über die Inflation gebracht, nun mehrte es sich unter der Führung noch der alten Mitarbeiter von selber -- entsprechend jener magnetischen Kraft, die viel Geld auf weniger Geld ausübt: Von 1924 bis 1929 schluckte allein die Allianz ein weiteres Dutzend Versicherungsgesellschaften.
Neben dem Wohlstand hatte August vom Vater auch dessen frömmelnden Protestantismus geerbt. Der Alte garnierte sein Leben mit Bibelsprüchen, der Junge mußte es erdulden, daß seine Schwestern Katholiken ehelichten.
Derart verunsichert, suchte August eine bessere Welt und zog sich mehr und mehr aufs Salon-Parkett zurück. Dort wurde dem verklemmten reichen Jüngling gesellschaftliche Anerkennung zuteil; umkreist von Schmeichlern vornehmlich adeliger Herkunft, gebärdete er sich bald so, daß seine Schwestern ihn ab und zu an die Provenienz aus dem Gemischtwarenhandel mahnten: »August, stell dich doch nicht so an, denk an deinen Großvater.«
Gegen Ende der Weimarer Republik bewegte sich August unauffällig in jenen Herrenklubs, die Adolf Hitler dazu ausersahen, mit der Wirtschaftskrise fertig zu werden. Später, vor der Spruchkammer, versicherte Finck, in die aufgelegten Spendelisten zugunsten der NSDAP habe er sich nicht eingetragen -- was ihm sofort geglaubt wurde.
Vorsichtig wartete er bis zur Machtübernahme und trat der Partei erst im März 1933 bei. Dann holte er auf, und zwar standesgemäß: Noch im gleichen Jahr ließ er sich zum Mitglied des Generalrats der Wirtschaft, zum Senator der Deutschen Akademie und zum Präsidiumsmitglied der Akademie für deutsches Recht ernennen.
Was das für die Nationalsozialisten bedeutete, ist offenkundig: Damals noch jedenfalls standen weite Kreise des Adels und des Besitzbürgertums Hitler und seinen Stiefelträgern eher skeptisch gegenüber. Fincks Engagement im NS-Staat hatte »einen überhaupt nicht abzuschätzenden Propagandawert« -- so ein Mitglied der weiland Münchner Gauleitung.
Aber der Bankier saß nicht nur, quasi passiv, auf Ehrensesseln; er übernahm für die Nazis einzigartige Hilfsdienste. Adolf Hitler, selber dilettierender Aquarellist, blickte August von Finck ins Auge und sprach: »Sie sind
mein Mann. Sie müssen mir ein Haus der Deutschen Kunst bauen.«
Schon am 15. Oktober 1933 legte Hitler den Grundstein zu dem langgestreckten Säulenbau an der Münchner Prinzregentenstraße. Zweimal pochte er mit einem silbernen Hammer auf den Granitblock; als er zum drittenmal ausholte, sprang der Hammerkopf in weitem Bogen davon.
Finck machte den unglücklichen Beginn wieder wett. Auf weiten Reisen sammelte er -- nun auch Kuratoriumsvorsitzer des Hauses der Deutschen Kunst -- so viele Schecks, daß er sogar mit den wiederholten Kostenüberschreitungen Schritt hielt.
Als der »Weißwursttempel« (münchnerisch) vier Jahre später stand, brauchte die NSDAP von zwölf Millionen Gesamtkosten nur 100 000 Mark zu übernehmen, nicht einmal ein Prozent. August von Finck, nun schon geübt, sammelte weiter: Er organisierte »Hermann Göring-Geburtstagsspenden« in sechsstelligen Größenordnungen.
Schlecht ging es denn auch den Finckschen Unternehmungen im NS-Staat nicht. 1938 steckte das alteingesessene Berliner Bankhaus J. Dreyfus & Co. auf, und August von Finck durfte einspringen: Formal korrekt, überwies er dem in die Schweiz emigrierten Juden Dreyfus den aus der Bilanz errechneten Überschuß, und Merck, Finck & Co. hatte eine Filiale in der Reichshauptstadt. (Dreyfus erhob nach dem Krieg Ansprüche gegen Finck, wurde aber von einem bayrischen Gericht abgewiesen.)
Und gleich nach dein Einmarsch in Österreich war Finck auch in Wien vertreten: Er übernahm -- unter dem Namen Eduard von Nicolai & Co. -- das Bankhaus S. M. von Rothschild unter Umständen. die nie klargewor-
* Hitler-Begrüßung durch Finck vor dem Haus der Deutschen Kunst am 18. Juli 1939.
den sind. Denn das gegen Kriegsende völlig zerstörte Gebäude war dann von den Russen okkupiert; der aus Wien in die Schweiz geflüchtete Baron Louis Rothschild ging 1945 in die USA und schenkte beiläufig der Österreichischen Regierung seinen Wiener Besitz; die Bank nahm ihre Tätigkeit nicht mehr auf. Niemand meldete Restitutionsforderungen gegen Finck an.
So überstand er das Dritte Reich. Gegen Ende griff der Volkssturm nach ihm, doch machte ihm gerade um diese Zeit sein Knie zu schaffen, und er humpelte plötzlich dermaßen, daß selbst seines Führers letztes Aufgebot ihn freigab. Finck-Bilanz bei Kriegsschluß: das Münchner und das Berliner Bankgebäude zerstört, das Wiener eingebüßt, das Führer-Photo mit eigenhändiger Widmung vom Klavier abgeräumt -- sonst alles gerettet.
Als die amerikanischen Besatzer Fincks Personalien aufnahmen, wollten sie wissen, ob er einer bestimmten Parteigliederung angehört habe. Der Bankier: »Ich war Mitglied vieler Organisationen; im einzelnen weiß ich es heute nicht mehr. Sicher ist jedenfalls -- mehr als 80 Mark Jahresbeitrag habe ich nirgendwo gezahlt.«
Auf dem Finck-Sitz Möschenfeld trugen die Amis einen Papierstoß zusammen, den sie als »belastende Korrespondenz« qualifizierten und nach München abtransportierten. Dort wanderte unterdes ein ehemaliger KZ-Insasse namens Dr. Harry Philippi von Behörde zu Behörde und plädierte für die Wiedereröffnung der Finck-Bank.
Philippi, selber alter Banker, argumentierte, Merck, Finck & Co. sei beim Wiederaufbau von Bayerns Wirtschaft unentbehrlich, »denn an dieser Bank hängen ja die ganzen Versicherungen, an denen wieder andere Unternehmen hängen und so weiter«. Philippi überzeugte und wurde als Treuhänder der Bank eingesetzt.
Dort registrierte er als erstes eine Schuld von 40 Millionen Mark an die Reichsbank, entstanden durch eine ungeschickte Finanztransaktion in den letzten Kriegswochen. Kunstvoll stopfte Philippi das Loch; Merck, Finck & Co. nahm die Tätigkeit wieder auf.
Während August von Finck in Möschenfeld harrte, »frierend, obwohl ihm wahrhaft übergenug Holz zur Verfügung stand, statt zu heizen in einen vollkommen vermotteten uralten Pelz gewickelt' (Philippi), hörte der Treuhänder etwas Unglaubliches: Wohl war das Berliner Filialgebäude bei Kriegsende zerstört worden, doch seien die Aktiendepots erhalten geblieben -- rechtzeitig geborgen in Privatwohnungen.
Umsichtig leitete Philippi eine abenteuerliche Wanderung der Papiere ein, die über Hamburg und Westdeutschland tatsächlich nach München gelangten. Der Nominalwert des Pakets, das Philippi »eines Nachts zwischen drei und vier« ins Finck-Safe stopfte, betrug 25 Millionen Mark, darunter befanden sich auch ausländische Aktien, die der Treuhänder, entgegen den Vorschriften, keineswegs den Besatzern ablieferte.
Als August von Finck in Möschenfeld erfuhr, was der Treuhänder für ihn gewagt hatte, hob er die Achseln: »Das ist das persönliche Risiko des Herrn Philippi gewesen.«
Noch um ein Vielfaches an Substanzwert wurde der Berliner Schatz von den Aktienfudern übertroffen, die Philippi an der Münchner Börse unter den heftigen Protesten des Bankherren in dessen Depot einfuhr. Für Reichsmark und Reichspfennige schaufelte Philippi Versicherungs-, Stahl- und Chemiewerte zusammen, die sich schon bald als erstklassige Papiere erwiesen.
Philippi war denn auch schnell sonderbaren Versuchungen ausgesetzt. Bayrische Bank- und Versicherungsleute, die einst vor August von Finck gedienert hatten, schwärzten ihn nun bei den Amerikanern an und offerierten dem Treuhänder, sie als Teilhaber in die Bank aufzunehmen und die Fincks hinauszusetzen. Dem früheren KZ-Häftling wurden dafür späteres Miteigentum an der Bank oder entsprechende Abfindung in Aussicht gestellt.
* Bild links: in Düsseldorf; Bild rechts: in Essen.
Philippi blieb fest und brachte die Bank zum Florieren. Derweil drohte anderem Finck-Besitz Amputation: Das vom Alliierten Kontrollrat erlassene »Gesetz Nr. 48 zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform«, das »die endgültige Ausschaltung des Einflusses der Junker und nazistischen Großgrundbesitzer aus Staatsangelegenheiten« erreichen sollte, sah Landabgaben nach einer progressiven Tabelle vor: Fincks erster Bescheid lautete über 575 Hektar.
Philippi focht das Papier an. Die Begründung gegenüber dem zuständigen bayrischen Landwirtschaftsministerium fiel ihm nicht schwer: »Es ist meine Verpflichtung, das Grundvermögen der Bank, deren Treuhänder ich bin, intakt zu halten.«
Von 575 Hektar drückte Philippi die Quote während seiner Treuhänderzeit auf weniger als 300 Hektar. Als er vor den Großgrundbesitzer trat und ihm das Ergebnis mitteilte, erstarrte Finck: »Was? So viel? Ich muß mich erschießen.«
Finck überstand auch diesen Schicksalschlag -- wie er Ende 1948 die Entnazifizierung überstand. Zwar: Da waren die formalen Belastungen und die Spenden-Eintreibereien; da gab es Leute -- Juden und Nichtjuden -- die, von den Nazis bedrängt, den Bankherrn vergebens angefleht hatten, für sie zu intervenieren; da lagerte noch bei den Amerikanern die in Möschenfeld beschlagnahmte »belastende Korrespondenz«.
Doch am 27. Dezember 1948, als Finck vor die Münchner Spruchkammer trat, geschah ein Wunder. Zeugen, die geladen worden waren, um zu seinen Ungunsten auszusagen, erschienen nicht. Ein Versicherungsmann, der ihn bei den Amerikanern so denunziert hatte, daß es selbst die Finck-Feinde anwiderte, wand sich: Es müsse sich um entsetzliche Mißverständnisse, Irrtümer, Hörfehler handeln. Die »belastende Korrespondenz« war nicht bei den Akten, wohl aber preßten sich Männer und Frauen in den Verhandlungsraum' die nur Gutes über den Bankier zu sagen hatten.
»Lieber Egon«, schrieb Finck am 30. Dezember: »Wärmsten Dank für Deinen Glückwunsch, besonders aber auch für Dein Eintreten als Zeuge, das ganz wesentlich zu einer günstigen Beurteilung des Falles bei der Kammer beigetragen hat.« Egon Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, der die Spruchkammer so zu beeindrucken verstand, war vorher (in der Berliner Filiale) Finck-Kompagnon gewesen und wurde es nachher wieder (in München).
Der Ankläger hatte Finck noch vor der Verhandlung mit Gruppe II (Belastete> bewertet, ging dann vor der Kammer von sich aus auf Gruppe III (Minderbelastete) herunter und sträubte sich nicht, als die Kammer den Bankier in Gruppe IV (Mitläufer) einstufte.
Daß das alles doch kein Wunder war, weiß ein ehemaliger Vertrauter Fincks dem SPIEGEL zu berichten: »Zunächst muß man bedenken, daß Finck schon vor der Verhandlung über jeden' aber tatsächlich über jeden Schritt, jedes Vorhaben des Anklägers prompt unterrichtet wurde; er war jederzeit imstande, Gegenmaßnahmen zu überlegen und zu treffen; nichts konnte ihn überraschen.«
Dann: »Äußerst gefährlich konnte ein potentieller Belastungszeuge werden, der sehr viel wußte und Finck haßte. Es wurde eine für damalige Begriffe ungeheure Summe transferiert, ich meine mich an 500 000 Mark zu erinnern -- Finck selber war darüber nicht orientiert -, und damit war der Fall erledigt.«
Und: »Der Ankläger war ein Homosexueller, an sich kein Geheimnis. Vor der Verhandlung nun erschien jemand bei ihm, der darauf, selbstverständlich in der liebenswürdigsten Art, anspielte und darüber hinaus Kenntnisse einiger Details wirklich sehr delikater Natur verriet, deren Bekanntwerden für den Ankläger vernichtend sein mußte. Unter diesem Aspekt muß sein Verhalten vor der Kammer betrachtet werden.«
Schließlich: »Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Vielleicht bekam er hinterher Gewissensbisse, vielleicht spielten da andere Gründe mit, jedenfalls legte der Ankläger Berufung ein. Die neue Verhandlung wurde also angesetzt, und wieder tauchte der Besucher auf und plauderte in einer rechtlich nie faßbaren Form über dies und jenes. Kurz und gut, der Ankläger zog seine Berufung zurück, und damit hatte sich die Fincksche Entnazifizierung.«
August von Finck kam mit einer Buße von 1000 Mark davon -- dem millionsten Teil einer Milliarde. Aber August wäre nicht August gewesen, hätte er gezahlt. Unter Berufung auf sein im Ersten Weltkrieg lädiertes Knie und eine einschlägige Bestimmung beantragte er Befreiung -- und brauchte keinen Pfennig zu entrichten.
So zog er wieder in seine Bank ein, klagte: »Philippi hat mich um alles gebracht, was mein Vater erworben hat«, und lebte nach seinen alten Prinzipien weiter. Seiner 1927 geschlossenen Ehe waren zwei Söhne -- die dritte Wilhelm/August-Generation -- sowie eine Tochter entsprossen. 1942 wurde die Scheidung ausgesprochen; Finck verpflichtete sich zu monatlich 1000 Mark Unterhalt für die Ex-Frau und die bei der Mutter verbliebene Tochter. Nach Kriegsende freilich unternahm er einige Anstrengungen, die Alimente zu löschen -- diesmal allerdings vergebens.
Während die beiden Söhne das Bankfach erlernten, hielt der Vater nach einer neuen Frau Umschau. Nachdem er eine Ärztin erwählt hatte -- dieser Ehe entstammen zwei weitere Kinder -, schenkte Volkswagenfahrer Finck ihr einen Mercedes 190. Frau von Finck holte das Auto beim Händler ab und brachte es alsbald wieder zurück -- auf Geheiß Augusts, der keineswegs das Benzin-Modell, sondern den ökonomischen Diesel hatte spendieren wollen.
Nicht so nachgiebig wie seine Frau zeigte sich Schwester Margarethe, die Baronin von Stengel. Mit ihr und der anderen Schwester, Elisabeth Winterstein, hatte Finck zu gleichen Teilen die Bank sowie etliche Aktienhaufen und Beteiligungen geerbt.
Doch den Schwestern stand keinerlei Einblick in die Geschäfte oder in die Bücher zu. Margarethe von Stengel: »Das interessierte mich auch gar nicht. Ich kriegte, was ich brauchte, und lebte sehr vergnügt.« Erst nach dem Kriege ("Man stand ja praktisch vor dem Nichts") wollte die Baronin wissen, wie groß denn ihr Nichts -- immerhin noch eine hohe achtstellige Summe -- sei. »Aber ich erfuhr es nicht. Ich fragte und fragte, doch August gab mir keine Antwort.«
Als Antwort gab er ihr schließlich, im Treppenaufgang von Gut Möschenfeld, eine Ohrfeige. Daraufhin kündigte die sieben Jahre ältere Schwester ihr Drittel, ließ sich ihre Effekten in einen großen Korb packen und wählte eine andere Bank. Seither, an die 20 Jahre, prozessieren die beiden miteinander, denn, so die Baronin, die ihren Bruder »schäbig« nennt: »August hat mich beschissen.«
Nachdem solcherart die persönlichen Verhältnisse geordnet worden waren -- Schwester Elisabeth hält heute noch ihren Teil an der Bank -, ging Finck daran, seine alten Aufsichtsratssessel wieder zu okkupieren. Mit etwa zwölf Prozent des Aktienkapitals in seinem Portefeuille meldete er sich bei der Bayerischen Vereinsbank und verlangte die Aufnahme in den Aufsichtsrat.
Doch da erhob sich Kommerzienrat Karl Albert Friedrich Butzengeiger, Vorstandssprecher des Instituts, und sagte: »Finck nicht.« Butzengeiger, im Blickwinkel des Finck-Olymps irgendein Angestellter irgendeiner Provinzbank, setzte sich durch: Finck blieb draußen und verkaufte pikiert seine zwölf Prozent.
Der Kommerzienrat gab damit ein Signal. Vater Wilhelm Finck hatte bei der Münchner Bück 44 Jahre, bei der Allianz 34 Jahre lang die Posten des Aufsichtsratsvorsitzers innegehabt und sie dann seinem Sohn vererbt. Doch als, Anfang der fünfziger Jahre, August von Finck die zwei Stühle -- er hatte von 1924 bis 1945 auf ihnen gesessen -- wieder besteigen wollte, meinten die maßgebenden Herren der beiden Unternehmen, es sei ja wohl noch ein bißchen früh. Jahrelang kämpfte Finck um die beiden Sessel; durch Zukauf an der Börse verdreifachte er seine Rück- und Allianz-Pakete von ursprünglich je rund sechs Prozent des Aktienkapitals -- und scheiterte trotzdem: Nicht geerbt hatte er den Respekt der Versicherungsmenschen gegenüber seinem Vater. 1955 gab er auf und tauschte seine Zukäufe gegen Stahlpapiere ein,
Aktientransfers großen Stils sind es denn auch, die die Finck-Bank wesentlich beleben. Beispiel: Im Mai 1968 veräußerte Friedrich Flick seine 52prozentige Beteiligung an der Stahlwerke Südwestfalen AG für 120 Millionen Mark an Merck, Finck & Co.; noch im gleichen Monat reichte das Bankhaus je die Hälfte der Neuerwerbung an zwei Interessenten weiter. Finck, so die »Süddeutsche Zeitung« damals, »dürfte an dem Paketverkauf schätzungsweise mindestens zehn Millionen Mark verdient haben«. Und er war auch bei der Emission von IOS-Aktien in der Bundesrepublik dabei.
Die Stammkundschaft des Hauses setzt sich aus bayrischen Adeligen zusammen, entweder mit Grund- oder mit Effektenbesitz, am besten mit beidem. Den Adeligen folgten die Schauspieler, denen die Schickeria, soweit sie finanzkräftig ist.
1954 schon konnte Finck gemeinsam mit dem Essener Bankhaus Waldthausen & Co. KG zu Düsseldorf das Privatbankhaus Waldthausen & Co. eröffnen; 1963 übernahm er die Frankfurter Bank Alwin Steffan und wandelte sie zu einer Filiale seines Münchner Stammhauses um; auch kaufte er sich in das Essener Bankhaus Burkhardt & Co. ein.
Nur, der »Konzernbaumeisler«, als den das »Handelsblatt« ihn anläßlich eines banalen Aktientausches feierte, ist August im Gegensatz zu seinem Vater nie gewesen; er errichtete, unter den Nazis, nach den Nazis, lediglich Filialen des Stammhauses. Zwar verläßt er, wie der Vater, die Bank häufig erst nachts; wie der Vater nimmt er Akten nach Hause mit und prüft sie sonntags. Mit dem Wertpapiermarkt kennt er sich mittlerweile aus. Aber von modernen Volkswirtschaftslehren hat er keine Ahnung.
In den 100 Jahren seiner Existenz -- nächsten Monat wird Jubiläum gefeiert -- rückte Merck, Finck & Co. nach eigener, sehr zurückhaltender Einschätzung unter »die ersten fünf deutschen Privatbanken« auf -- gemessen an seinem Bilanzvolumen von annähernd einer Milliarde. Über seine Aktienstöße ist Finck schon wieder auf elf Aufsichtsratsstühle geklettert, auf sieben davon als Vorsitzer. Ein Dutzend weiterer Aufsichtsratsposten hat er an seine Mitarbeiter delegiert, vornehmlich an seinen Sohn August, 40.
Der Ältere, Wilhelm, 42, entwich schon vor Jahren aus dem väterlichen Dunstkreis nach Düsseldorf, wo er sich als Komplementär bei Waldthausen & Co. betätigt. August der dritte, auch er wiederum blasser als der dazugehörige Wilhelm, wurde unter die Teilhaber der väterlichen Bank aufgenommen.
Doch über deren 300 Angestellte gebietet ausschließlich der greise Prinzipal, und er meint: mit Erfolg. Denn die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hat bei Merck, Finck & Co. »kein einziges« Mitglied, der DGB »nur ganz wenige«; und selbstverständlich hat diese Bank auch keinen Betriebsrat.
Das halbe Dutzend Direktoren des Stammhauses bezieht, Jahrestantieme inbegriffen, zwischen 50 000 und 70 000 Mark jährlich. Und da keiner von ihnen wissen soll, wieviel die Kollegen verdienen, laufen ihre Gehälter nicht über Konten: Jeweils am Ersten tritt eine verschwiegene Dame ins Zimmer und zählt Bargeld auf den Tisch.
Diskretion sozusagen Ehrensache -- auch das einer der Grundsätze, die August von Finck herüberzuretten suchte aus einer Zeit, als kapitalistische Tüchtigkeit noch geadelt. wurde: ein Staatsbürger, der sich dem Eigentum verpflichtet weiß. das der Fleiß der Vorfahren, die Gunst der Nazis, die Duldsamkeit der Besatzer, die Nachsicht der bayrischen Bürokratie zu mehren halfen und die freie Marktwirtschaft, die von Tag zu Tag die Bodenpreise hochtreiben läßt.
Vom Schreibmöbel seines Vaters aus, die 30-Pfennig-Virginia zwischen den Zähnen, sucht er nach wilhelminischen Zuchtbegriffen zu regieren -- sparsam, herrisch und gefeit gegen Vorwürfe, er gehöre zu jenen, die von allen politischen Systemen der letzten 100 Jahre profitiert haben. Gelassen sieht er den Nachforschungen des seinetwegen eingesetzten Untersuchungsausschusses im Bayern-Parlament entgegen.
Denn was der landabgabepflichtige Landbesitzer Finck im Laufe der Jahre vom bayrischen Staat zu ergattern verstand, summiert sieh zu einem Vorgang, neben dem legendäre weißblaue Affären wie die Spielbankenvergabe oder der Verkauf der Berchtesgadener Hotels an den Frankfurter Unternehmer Stdgenberger zu biederen Possen schrumpfen.
Das »Gesetz Nr. 48 zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform« aus dem Jahre 1946 sah Abgaben nach progressiven Tabellen vor; so sollten von 100 Hektar zehn. von 1000 bereits 625 enteignet werden. Finck, der damals rund 2000 Hektar besaß, kam gut davon: Sein erster Bescheid im Herbst 1947 lautete über 575 Hektar.
Treuhänder Philippi reagierte schnell und formaljuristisch korrekt: August von Finck, der allein fast den gesamten väterlichen Landbesitz geerbt hatte, begann nun, über 20 Jahre nach dem Tod seines Vaters, eine »Erbauseinandersetzung« mit Schwester Elisabeth Winterstein. Durch die Teilung in zwei Partien verminderte sich die Progression; Fincks nächster Abgabebescheid lautete auf 425,8 Hektar (Schwester Elisabeths auf 17,26 Hektar).
Zwischen 1947 und 1949 trat Finck der -- dafür zuständigen -- Bayerischen Landessiedlung 271,75 Hektar ab. Und bereits am 20. Mai 1949 begibt sich das erste Rätsel in diesem Ablauf: Vor einem Notar nimmt August von Finck »hiermit alle Rechtsmittel« hinsichtlich der 271,75 Hektar zurück, läßt also dieses erfüllte Abgabesoll ausdrücklich rechtskräftig werden. Dafür verzichtet die Bayerische Landessiedlung auf »das restliche Landabgabesoll« Fincks -- an die 154 Hektar.
Rätsel zwei: Am 13. Dezember 1960 erhält Finck 42,4 Hektar des rechtskräftig abgelieferten Landes plötzlich zurück -- »zum Zwecke des endgültigen Abschlusses des Landabgabeverfahrens«. Was die Bayerische Landessiedlung zu diesem jeder gesetzlichen Grundlage ermangelnden Präsent an Finck veranlaßt hat, ist unbekannt.
Am gleichen Tag erhält Finck -- Rätsel drei ein weiteres Geschenk: Die Bayerische Landessiedlung läßt auf einem 53,25 Hektar großen Grundstück aus der Finck-Abgabe unentgeltlich ein Bauverbot zugunsten Fincks eintragen. Will mithin ein Neusiedler dort ein Gebäude errichten, muß er sich an Finck wenden, für den, so ein Aktenvermerk von Bayerns Oberster Siedlungsbehörde am 22. Januar 1963, dieser Eintrag »einen erheblichen Geldwert« darstellt.
Ebenfalls am 13. Dezember 1960 wird Finck -- Rätsel vier -- »zur Vermeidung einer Rückvermessung« ein 1,30 Hektar großes Stück Land aus seiner Abgabe unentgeltlich zurückgegeben.
Rätsel fünf: Gegen eine »Unkostenpauschale« von 3000 Mark erhält Finck am 30. März 1962 weitere 25 Hektar seines rechtskräftig abgegebenen Landes retour, wiederum »im Zuge der Generalbereinigung des Landabgabeverfahrens« und ohne gesetzliche Grundlage.
Bei diesem Stande -- von 271,75 Hektar sind bereits 68,78 Hektar wieder in Fincks Besitz -- gelingt dem Gutsherrn im August 1965 der Goldene Schuß: 45,71 Hektar Landwirtschafts-Land der von ihm geleisteten Abgabe werden an ihn rückübertragen, nachdem die Äcker in der Zwischenzeit zu Bau- und Bauerwartungsland avanciert sind. Fincks Gegenleistung: eine Mark pro Quadratmeter.
Auch dieses sechste Rätsel wird wie üblich als »endgültiger Abschluß des Landabgabeverfahrens« deklariert, und, der Staat erläßt -- Rätsel sieben -- August von Finck die auf ihn entfallenden Grunderwerbsteuern in Höhe von etwa zwei Millionen Mark.
Auf einer Parzelle dieses Landstrichs sitzt der Landwirt Hans Bittenbinder, der nun verschwinden muß. Während Bittenbinder räumt, begibt sich Rätsel acht; Für ein Stück Land, das Finck 1949 der Bayerischen Landessiedlung rechtskräftig für 52 Pfennig Festpreis pro Quadratmeter abgegeben hat, verlangt und erhält er nun eine Nachzahlung von 3,48 Mark -- insgesamt 229 018 Mark. Konsequenz: Ein Teil der dort ansässigen Neusiedler muß die Erhöhung übernehmen.
Das neunte Rät ei folgt alsbald: 7,9 Hektar Acker aus Fincks Abgabe werden ihm plötzlich als Bauland entschädigt; der Profit durch Höherstufung beläuft sich auf eine Million.
Bittenbinders Rechtsanwalt Peter Kloer, 40, angesichts dieser Geheimnis-Bilanz (Schwester Elisabeth hatte von den auf sie entfallenden 17,26 Hektar knappe elf Hektar Abgabe geleistet): »Wenn die Sozialdemokraten
* Konstituierende Sitzung (am 8. Mai) im bayrischen Parlament.
behaupten, Finck seien 50 Millionen in den Rachen geworfen worden, unterschätzen sie ihn. Wenn ich das alles heute addiere, komme ich auf weit über 100 Millionen Mark.« Jurist Kloer darf Sachverstand in Anspruch nehmen, er ist außerdem Diplom-Landwirt.
Daß Kloer nicht ins Uferlose schätzt, mag daraus erhellen, daß ein Teil jener 45,71 Hektar, die Finck steuerfrei für eine Quadratmeter-Mark zurückerhielt, im Februar dieses Jahres den Besitzer wechselte -- für genau 265 Mark pro Quadratmeter.
Kloer: »Es handelt sich hier um eine ungeheuerliche Staatsvermögensverschenkung, immerzu motiviert als endgültiger Abschluß der Finckschen Landabgabe. Wenn nicht Bittenbinder sich dagegen gewehrt hätte und die Angelegenheit schließlich im Landtag gelandet wäre, würde möglicherweise immer noch weiter »endgültig abgeschlossen', bis Finck auch den letzten Hektar zurückerhalten hätte.«
Im Landtag freilich geriet der Fall Bittenbinder nicht recht voran; Der Landwirtschaftsexperte der bayrischen SPD, Georg Kronawitter, 42, richtete am 16. Dezember 1969 eine parlmentarische Anfrage an Bayerns CSU-Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann und beschwerte sich am 16. April bei CSU-Landtagspräsident Rudolf Hanauer: »Ich habe leider bis heute keine Antwort auf meine Anfrage erhalten.«
Eisenmann, erst seit Anfang 1969 im Amt, ist der einzige CSU-Landwirtschaftsminister. unter dem Finck keine Vorteile herausgeschlagen hat. Kronawitter: »Für ihn besteht keinerlei Anlaß zum Schweigen, aber offenkundig wünscht seine Partei nicht, daß er zur Aufklärung dieser Affäre beiträgt. Denn hier hat doch die CSU einen Milliardär in einer Weise protegiert, die untragbar ist.«
Der Volksvertreter warnte den Landtagspräsidenten -- »Abgeordnete sind doch keine Hanswurste« -- denn auch, es dürfe »nicht der Vorwurf aufkommen ... wir lebten in einer Dunkelkammer-Demokratie, in der es den Reichen und den Mächtigen immer wieder gelinge, für sie unangenehme Tatbestände mit Unterstützung staatlicher Organe zu verwischen«.
Dem Rechtsanwalt Kloer hingegen scheint sich die Dunkelkammer ein wenig zu erhellen: »Ich könnte mir denken, wie Finck das alles geschafft hat.« Was Kloer herausgefunden hat, mag in der Tat einen Hinweis dafür liefern, daß Finck gegen die Bayerische Landessiedlung »ohne Zweifel Handhaben gehabt hat« (Kloer). Denn dieses Organ des Freistaats, dessen Aufgabe es war, das Bodenreformland »zu übernehmen, und nach drei Jahren »an die Landberechtigten zu Eigentum zu übergeben«, ging mit den Finckschen Äckern sehr freihändig um:
Es verkaufte Finck-Land an Privatpersonen, die keineswegs Berechtigte waren, an eine Baugesellschaft, an den Bezirk Oberbayern, an eine Gemeinde -- durchweg gegen die Bestimmungen -, übertrug ein Grundstück der Evangelisch-Lutherischen Kirche München zwecks Errichtung eine. Gotteshauses und erstellte schließlich auf dem Bodenreformland Wohnblöcke zur eigenen Nutzung. Kloer: »Ein geradezu abenteuerliches Verwaltungshandeln, und diesen Tatbestand dürfte Finck zu seinen eigenen Gunsten ausgeschlachtet haben.«
So kommt es, daß aus den Schwierigkeiten des Siedlers Bittenbinder, der bei der SPD Hilfe gegen seine zweite Heimatvertreibung suchte, eine 100-Millionen-Affäre erwuchs: Ende Februar verlangten die Sozialdemokraten einen Untersuchungsausschuß, in dessen Mittelpunkt noch der Rumäniendeutsche stand.
Die CSU stimmte dem Ausschuß zu -- schon deshalb, weil sie damit den Vorsitz übernimmt. Doch je mehr Finck-Protektionen bekannt wurden. um so mehr Zeit ließen sich die Christsozialen: Von Monat zu Monat zögerte sich die Konstituierung hinaus, bis zum 6. Mai.
Am Dienstag nächster Woche will das Gremium endlich die ersten Zeugen vernehmen, um »die Vorgänge im Zusammenhang mit den Landabgaben der Grundeigentümer von Finck und Winterstein sowie der Tätigkeit der Bayerischen Landessiedlung GmbH als Siedlungsträger« zu erforschen -- ein Unternehmen, das das Parlament bis in den Herbst hinein beschäftigen dürfte.
August von Finck selber sieht in dem Ausschuß-Thema ebenfalls ein »schreckliches Unrecht« -- wenn auch anders als die Sozialdemokraten: »Man hat mir einfach Boden weggenommen, den mein Vater mir hinterlassen hat, und das damit begründet, daß diese Aktion gegen die Junker gerichtet sei. Und dabei bin ich doch überhaupt kein Junker.«