
Die Lage am Morgen Hat Facebook aus der Coronakrise gelernt?

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit der Wut der AfD auf sich selbst, den seltsamen Ferien dieses Sommers und dem Treffen des Facebook-Chefs mit einem EU-Kommissar.
AfD-Wut richtet sich jetzt gegen die Partei selbst
Die AfD hat oft genug Hass und Wut organisiert, seit dem Wochenende richten die einen Mitglieder den Hass gegen andere. Sie verstehen einfach etwas davon. Am Freitag war der Brandenburger AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz aus der Partei rausgeworfen worden. Nun aber fehlen sein Aufnahmeantrag und damit entscheidende Beweise gegen ihn. Und AfD-Prominente wie Björn Höcke sehen den Rauswurf als "Verrat" an.
Die Partei steht vor einer selbst beschworenen "Zerreißprobe": National-Konservative gegen Vertreter von Rechtsaußen, und ja, auch West gegen Ost. Heute will die Landtagsfraktion in Brandenburg eine Änderung der Geschäftsordnung prüfen und über die Frage beraten, ob Kalbitz Fraktionsvorsitzender bleiben kann. Die AfD hat sich immer für die "Meinungsfreiheit" eingesetzt. Nur zu also. Solange diese Partei mit internen Meinungsverschiedenheiten beschäftigt ist, kann sie weniger Schaden außerhalb anrichten.
Normale Ferien werden das nicht
Griechenland hat seine Badestrände wieder geöffnet, alles wirkt auf Fotos fast wie früher, würden nicht Masken zu Badehosen noch etwas seltsam aussehen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) will heute mit seinen Kollegen aus beliebten Urlaubsländern beraten, wie die Reisebeschränkungen gelockert werden können. Bei der Videokonferenz sind zum Beispiel Spanien, Italien, Slowenien und Zypern vertreten. Maas sagte gestern in der ARD, das Auswärtige Amt wolle ab 15. Juni möglichst keine "Reisewarnungen" mehr aussprechen, sondern "Reisehinweise". Eine feine rhetorische Verschiebung, die kaum verdeckt, dass an Entwarnung eben nicht gedacht werden kann. Ferien waren bisher immer eine Zeit, in der Sorgen vergessen werden sollten. Es wäre besser, wenn das Konzept diesmal anders wäre: Eine Sorge sollte mitreisen - die vor Ansteckung und Verbreitung.
Für die einen rollt der Ball, den anderen fehlt die Bazooka
Die Lage am Montag steht noch unter dem Eindruck des Wochenendes und des Neustarts der Bundesliga, auch wenn es Geisterspiele gewesen sind. Selbst Fußball-Muffel hatten den kuriosen Kommentatoren-Sound früherer Wochenenden irgendwie doch vermisst: Der eine Verein habe beim anderen "einen Punkt geholt", der eine Verein "trennt" sich von dem anderen, der nächste ist ein "Schlusslicht". Als dieser Sound nun zurückkehrte, klang er so friedlich und vertraut wie das Gurgeln der Kaffeemaschine am Morgen, wenn sie eine Weile kaputt gewesen ist. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) plädieren dafür, in der nächsten Saison der Fußball-Bundesliga wieder Zuschauer in die Stadien zu lassen. Das sagten sie in der "Bild am Sonntag". Da haben sie bei den Fans wahrscheinlich einen Punkt geholt.
Künstler wie der Schauspieler Ulrich Matthes und der BAP-Musiker Wolfgang Niedecken fordern von der Politik mehr Hilfe für Kulturschaffende, also einen gewissen Teil der scholzschen Bazooka. Wenn die Fußballer jetzt laut würden, müssten es Kulturschaffende auch sein, sagt Matthes im aktuellen SPIEGEL. Nun haben die Kulturminister von Bund und Ländern ein sechsseitiges Konzept für die Kanzlerin und die Regierungschefs der Länder erarbeitet. Die Ministerrunde spricht sich für "eine planvolle Öffnung weiterer kultureller Einrichtungen" aus. Doch es ist nicht damit getan, Spielstätten zu öffnen. Denn wenn die Auslastung nicht stimmt, stimmt die ganze Rechnung nicht. Über die Nöte der Kulturschaffenden lesen Sie hier.
Zuckerberg stellt sich EU-Kommissar
Das Treffen war erst im Februar, aber vom Mai 2020 aus wirkt der Februar 2020, als läge er viele Jahre zurück. Corona hat vieles verändert, auch das Zeitgefühl. Im Februar jedenfalls war Facebook-Chef Mark Zuckerberg nach Brüssel gereist, also wirklich gereist, und hatte dort Thierry Breton, den EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, leibhaftig getroffen: Mit dabei hatte Zuckerberg Pläne für einen neuen Regulierungsansatz fürs Internet und soziale Medien.
Das Treffen lief nicht gut für Zuckerberg. "Wir müssen uns nicht dieser Firma anpassen, sondern diese Firma muss sich uns anpassen", resümierte Breton.
Aber hat sich Zuckerberg in den Corona-Monaten verändert? In seiner Haltung zu Falschinformationen, um die es in Brüssel auch ging, hat sich durchaus etwas getan. In der Vor-Corona-Zeit hatte er meistens argumentiert, Facebook sei eine Plattform und kein Medienunternehmen, die eigentliche Verantwortung für Inhalte läge woanders. Nun aber betont er häufig, wie wichtig ihm der Kampf gegen Falschmeldungen sei. Zweierlei ist richtig: Dem Unternehmen rutschen immer wieder Posts mit gefährlichen Verschwörungstheorien durch, auch jetzt. Zugleich weist Facebook darauf hin, dass allein im März etwa 40 Millionen Posts zum Thema Covid-19 mit Warnhinweisen markieren worden seien.
Heute Abend um 18 Uhr kommt es wieder zu einem Treffen zwischen Zuckerberg und Breton: bei einer Diskussionsveranstaltung. Es geht um die Rolle von Technologieunternehmen während der Pandemie. Diesmal wird es ein virtuelles Treffen sein, per Livestream übertragen - wenn man so will ein Heimvorteil für Zuckerberg.
Gewinnerin des Tages...
...wird wahrscheinlich die Aggression sein. Der Montag wird für diejenigen, die sich wieder in die Außenwelt begeben, beginnen, wie der Freitag dort aufgehört hat: mit Gereiztheiten, wo man auch hingeht, einem Verrutschen des Tons an allen möglichen unnötigen Stellen. Sicher, Homeoffice mit Kleinkindern, Sorge um die Gesundheit, das alles hebt die Stimmung nicht. Doch bei jedem Verständnis soll hier im Namen aller eher höflich veranlagten Menschen gesagt sein: Wir können nichts dafür. Wirklich nicht. Das Virus ist nachweislich nicht von uns ausgegangen, sondern von einer Fledermaus oder wovon auch immer. Also ersuche ich hiermit in aller Nachsicht die Gereizten darum, sich bitte zusammenzureißen.
Nun ist ein politischer Newsletter nicht dafür da, erzieherisch tätig zu sein oder sich in Alltäglichem zu verlieren. Doch unter den politischen (!) Kommentaren der gestrigen FAS war der ausführlichste ebenfalls diesen alltäglichen Aggressionen gewidmet, den "Haarrissen in der Gesellschaft". Hier bekamen wiederum die Angepöbelten einen Auftrag erteilt: zu "verzeihen" ober zu "vergeben." Ist gut, wird gemacht. Noch praktischer wäre allerdings, wenn es nichts zu verzeihen gäbe.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer