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Nicaragua: Nach sieben Jahren ein »Wunder«

Der überraschende Waffenstillstand zwischen nicaraguanischen Sandinisten und Contras, der plötzlich Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden weckt, wurde in Washington mit Mißtrauen aufgenommen. In Mittelamerika scheint zum Unbehagen rechter Amerikaner die Ära nach Reagan bereits begonnen zu haben. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Drei Tage lang hatten die erbitterten Feinde intensiv miteinander verhandelt, am Ende schmetterten sie gemeinsam die nicaraguanische Nationalhymne. Ein »Nicaragua für alle Nicaraguaner« stehe in Aussicht, frohlockte Contra-Sprecher Bosco Matamoros, von einem »Wunder« gar sprach SPD-Troubleshooter Hans-Jürgen Wischnewski, der emsig mitgeholfen hatte, es zu vollbringen.

Zugetragen hatte sich das Mirakel, das Wischnewski als Berater der Sandinisten miterleben durfte, im nicaraguanischen Grenzstädtchen Sapoa, wo sich Nicaraguas Sandinisten und Contras am vergangenen Mittwoch überraschend auf einen neun Punkte umfassenden Plan zur Beendigung des seit sieben Jahren andauernden Bürgerkriegs einigten.

Der vor dem Treffen vereinbarte Waffenstillstand wurde um 60 Tage verlängert, Einzelheiten des Abkommens, das unter anderem die stufenweise Freilassung politischer Gefangener und umfassende Pressefreiheit in Nicaragua vorsieht, sollen noch von einer gemeinsamen Kommission ausgearbeitet werden.

»Wir haben den ersten Schritt hin zu einem Frieden gemacht, den Nicaragua so dringend braucht«, kommentierte Contra-Chef Adolfo Calero das Verhandlungsergebnis. Seine Washingtoner Befehlshaber, von der Entwicklung in Sapoa völlig überrollt, blieben zurück im Staub: Zur gleichen Zeit, als in Sapoa der Erfolg bereits greifbar nahe war, versuchte der eigens in den Kongreß geeilte Ronald Reagan wieder einmal, Waffenhilfe für die Contra-Klientel zu ergattern. 48 Millionen Dollar humanitäre Hilfe will der demokratische Sprecher des Repräsentantenhauses Jim Wright für die Contras ausschütten; die schon vorher fragliche Waffenhilfe wird es nun mit Sicherheit nicht mehr geben.

Die Reaktion der Reaganistas auf das Latino-Wunder fiel denn auch merklich kühl aus. Zwar sah Außenminister George Shultz das Abkommen als einen »wichtigen Schritt nach vorn«, gleichzeitig aber warnte er davor, den Sandinisten zu trauen. Anders die demokratischen Gegner der Contra-Hilfe im Kongreß: Das Abkommen bestätige Ronald Reagans »größte Angst, die Angst vor einem Frieden in Mittelamerika nämlich«, triumphierte der demokratische Abgeordnete George Miller.

Und während Shultz so tat, als habe die Entsendung amerikanischer Truppen nach Honduras eine Woche zuvor die Sandinisten zu Zugeständnissen am Verhandlungstisch gezwungen, sprach vieles dafür, daß sich die Contra-Bosse, enttäuscht von ihren amerikanischen Freunden und auf der Suche nach einem geeigneten Absprung, von den Washingtoner Marionettenfäden befreit hatten.

Schon im Februar, als die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus die Militärhilfe einstellte, hatten sich Calero und andere führende Contras bitter über den Wankelmut Washingtons beklagt. Den Sandinisten andererseits droht wirtschaftliches Chaos, die Unzufriedenheit im Lande wächst - Zeit für ein »Wunder«.

Für die US-Regierung endete damit in Lateinamerika eine Woche, die sie wohl lieber vergessen möchte: In Panama klammert sich der störrische, von den Amerikanern fallengelassene General Noriega trotz scharfer amerikanischer Wirtschaftssanktionen und offenen Aufruhrs noch immer an die Macht. In El Salvador verlor der Christdemokrat Jose Napoleon Duarte, ein Reagan-Liebling, dessen letzter Besuch in Washington im Küssen der amerikanischen Fahne gipfelte, bei Parlamentswahlen die Mehrheit an die ultrarechte Arena-Partei des berüchtigten Ex-Geheimdienstchefs Roberto D''Aubuisson.

In den USA wird unterdessen die Kritik an der Entsendung von 3200 US-Soldaten nach Honduras immer lauter. Der fernsehwirksame Theaterdonner im honduranischen Regenwald belege einen »siebenjährigen Machtverlust als Resultat einer widersprüchlichen Mittelamerikapolitik, der es an einem öffentlichen Konsens mangelte«, urteilte die »New York Times«. _(Am vergangenen Mittwoch in Sapoa: ) _(Unterzeichner Wischnewski, Kardinal ) _(Obando y Bravo; links vom Tisch ) _(Nicaraguas Verteidigungsminister ) _(Humberto Ortega, rechts Contra-Führer ) _(Calero. )

So ziehen nach dem Rückzug der Sandinisten aus Honduras nun auch die GIs wieder ab, mit weniger Pomp als bei der Ankunft und scharf beäugt von Beamten des General Accounting Office, dem amerikanischen Gegenstück zum Bundesrechnungshof. Deren Präsenz soll verhindern, daß ein Teil der mitgebrachten Waffen den Weg zu den Contras findet - peinlicher Ausdruck eines Mißtrauens, das sich die Reagan-Administration redlich verdient hat.

Zehn Monate sind es noch bis zum Ende der Reagan-Regentschaft. »Was bleibt«, so der Kolumnist Philip Geyelin, »ist die Obsession des Präsidenten und kein Mittel, mit der sie sich verwirklichen ließe.« Wie anders hatte es doch vor sieben Jahren ausgesehen, als Reagans Republikaner in Washington die Macht übernahmen: In Zentralamerika wolle man dem Kommunismus seine »Grenzen« zeigen, tönte Reagans erster Außenminister Alexander Haig.

Nach einer Reise durch die Region Ende 1982 gestand der Präsident, »eine Menge« gelernt zu haben und zu seiner Überraschung auf »unterschiedliche Länder« gestoßen zu sein. Was in Mittelamerika wie auch zu Hause durchsetzbar war, blieb ihm unerfindlich, weshalb seine Politik gegenüber den Sandinisten mehr dem Inhalt einer Wundertüte als einem rationalen Katalog politischer Ziele glich.

Mal sollten die bösen Buben in Managua sich nur besser benehmen und gute Liberale werden, mal sollten sie, weil auf das Wort von Commies kein Verlaß sei, am besten ganz von der Bildfläche verschwinden. Und obwohl der Fall der Sandinisten im inneren Zirkel des Präsidenten von Beginn an eine ausgemachte Sache war, verkündete Reagan noch 1983: »Wir versuchen nicht, die nicaraguanische Regierung zu stürzen.«

Ähnlich wirr geriet die Vorgabe für die Contras. Den mißtrauischen Überwachungsausschüssen im Kongreß zuerst als eine Art Grenztruppe verkauft, die den angeblichen Waffennachschub von Nicaragua an die salvadorianische Guerilla unterbinden sollte, wurde den Contras bald Größeres zugemutet. Reagan, nie um Melodramatik und ein großes Wort verlegen, verglich sie mit den amerikanischen Gründungsvätern und der französischen Resistance, worauf die Entrüstung sowohl in Frankreich als auch in den USA groß war.

Verhandlungslösungen wurden auf Eis gelegt, Diplomatie blieb Nebensache. Ob Gespräche mit den Sandinisten im mexikanischen Manzanillo, ob Contadora- oder Arias-Plan: Washington torpedierte, was es nur konnte.

Dabei half, daß bereits 1981 das State Department von erfahrenen Lateinamerika-Experten gesäubert wurde. Wer als Weichmacher eingestuft wurde wie etwa Jimmy Carters Lateinamerika-Unterstaatssekretär William Bowdler, mußte schleunigst den Hut nehmen. Bowdlers Stellvertreter James Cheek, einen erfahrenen Zentralamerika-Fachmann, entsandte man als stellvertretenden Missionschef ins diplomatische Exil nach Nepal; Robert White, Botschafter in El Salvador, wurde ebenso aus dem Auswärtigen Dienst gedrängt wie der Botschafter in Managua, Lawrence Pezzullo.

Wie weit Reagan zu gehen bereit war, zeigte schließlich der Iran-Contra-Skandal. Die Resultate solch stümperhafter Unverfrorenheit fielen in Mittelamerika wie in den USA vornehmlich negativ aus. In El Salvador und Panama, Nicaragua und Honduras wuchs antiamerikanischer Nationalismus, das Problemland Mexiko wurde vernachlässigt. Unter den US-Bürgern gab es, den zahlreichen Meinungsumfragen zufolge, nie eine Mehrheit für die Reagan-Politik gegenüber Nicaragua. Frustriert bekannte denn auch der demokratische Senator und Sandinistengegner Ernest Hollings Mitte vergangener Woche, das amerikanische Volk sei »noch nicht konditioniert« für den Einsatz von US-Truppen in Nicaragua.

Das »Problem Nicaragua« wolle der Präsident »nicht seinem Nachfolger überlassen«, drohte 1986 der damalige Sicherheitsberater John Poindexter. Vielleicht löst sich das »Problem Nicaragua« nach Sapoa ganz ohne Ronald Reagans Zutun.

Am vergangenen Mittwoch in Sapoa: Unterzeichner Wischnewski,Kardinal Obando y Bravo; links vom Tisch NicaraguasVerteidigungsminister Humberto Ortega, rechts Contra-Führer Calero.

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