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PREISVERGLEICH Nicht empfohlen

aus DER SPIEGEL 37/1963

Der Elektrohändler Helmut Greif, 38, aus Bad Oeynhausen und der Bielefelder Landgerichtsdirektor Heinrich Gieselmann lernten sich in der Auseinandersetzung um das bundesdeutsche Wettbewerbsrecht kennen, wenn auch nicht schätzen: Greifs Werbung trug ihm innerhalb eines Jahres 16 Einstweilige Verfügungen von Gieselmann ein.

Vor allem wollte Greif nicht davon ablassen, in Zeitungsinseraten seine Verkaufspreise für Elektrogeräte mit den sehr viel höheren »empfohlenen Richtpreisen« der Hersteller zu vergleichen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Werbepraxis stand Richter Gieselmann nicht zu Gebote; einige Oberlandesgerichte haben sie verworfen, das Bundeskartellamt verteidigt sie.

Preisvergleiche nach dem Greif -Muster sind erst möglich geworden, seit die Industrie für zahlreiche Waren den Einzelhandelspreis nicht mehr vorschreibt, sondern nur noch empfiehlt.

Rühmte sich ein Händler damit, daß er gebundene Preise unterschritt, so war ihm das unschwer zu verleiden:

- Das Rabatt-Gesetz verbietet Nachlässe von mehr als drei Prozent auf Preise, »die der Unternehmer ankündigt oder allgemein fordert«;

- anhand des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) haben deutsche Gerichte seit mehr als 50 Jahren werbende Vergleiche mit der Konkurrenz für sittenwidrig erklärt. Empfohlene Richtpreise indes können, auch wenn sie in den Katalogen und Preislisten der Hersteller aufgeführt sind, nicht mehr als Preise angesehen werden, »die der Unternehmer ankündigt oder allgemein fordert« und an die sich die meisten Händler halten.

Wie wenig allgemeingültig diese Empfehlungen sind, bewiesen die Constructa-Werke GmbH in Lintorf bei Düsseldorf. Die Firma ging Anfang des Jahres von unverbindlichen Richtpreisen zu Nettopreisen über, teilte den Händlern aber durch Rundschreiben mit, ihre Waschmaschine 100 K 4 fs beispielsweise müßte nach dem bisherigen Kalkulationsschema im Laden 2390 Mark kosten. Zugleich empfahl sie einen »Barverkaufspreis« von 1798 Mark.

Angesichts solcher Eskapaden entschloß sich Helmut Greif, wie zahlreiche Händler seiner Branche, zu freier Kalkulation. Die Constructa 100 K 4 fs etwa offeriert er für 1580 Mark, die AEG Turnamat für 980 Mark statt der empfohlenen 1480 Mark, das Fernsehgerät Graetz Burggraf AF für 876 Mark statt 1368 Mark.

Als aber der Oeynhausener in ostwestfälische Tageszeitungen Inserate einrückte, in denen er die Preisdifferenzen herausstrich, hielt ein Konkurrent das für unlauter und beantragte bei Richter Gieselmann eine Einstweilige Verfügung gegen solche Reklame.

Am 26. Juli vergangenen Jahres entschied der Bielefelder Richter zunächst eindeutig für Greif: »Ein Wettbewerbsverstoß kann in dieser Art der Werbung nicht gesehen werden. Es kann jedenfalls nicht schlechthin untersagt werden, in der Werbung auf die 'empfohlenen Richtpreise' hinzuweisen.«

Diese Meinung stand indes im Widerspruch zur Auffassung mehrerer Oberlandesgerichte. So definierte das OLG Köln, etwas außer Tritt mit den Realitäten des Marktes, die empfohlenen Richtsätze als »Preise ... die im allgemeinen dem Letztverbraucher gegenüber gelten sollen«. Vergleiche nach der Methode Greif wurden von den Obergerichten für unzulässsig erklärt.

Greifs Konkurrenten konnten freilich wissen, daß nicht einmal mehr die Hersteller ihre Empfehlungen für so allgemeinverbindlich hielten wie die Kölner Richter. Indes wollte sich der Einzelhandelsverband Ostwestfalen so leicht nicht zufrieden geben. Er beauftragte den Wettbewerbsrechtler Dr. Walter Hiersemann, gegen eine neue Greif-Anzeige wiederum eine Einstweilige Verfügung zu beantragen.

Hiersemann obsiegte bei Gieselmann. Im Dezember vorigen Jahres revidierte der Bielefelder Richter seinen ersten Spruch und untersagte dem Händler Greif, die empfohlenen Preise für Radio - und Fernsehgeräte den Greif-Preisen gegenüberzustellen.

Allerdings mochte sich Gieselmann auch jetzt nicht der Kölner Version anschließen, die empfohlenen Preise seien allgemeingültig und Vergleiche mit ihnen deshalb sittenwidrig. Gerade umgekehrt hieß es bei Richter Gieselmann:

Diese Richtpreise hätten ihre Funktion verloren, weil jeder Händler sie unterbiete.

Daraus folgerte Gieselmann:. »Die Gegenüberstellung von Greif-Preisen mit prozentualen Abschlägen von empfohlenen Richtpreisen ruft daher ...

eine Irreführung über die eigene individuelle Preissenkung hervor.« Das aber sei unwahre Werbung und verstoße gegen Paragraph 3 des UWG.

Greif suchte sich der jäh gewandelten Spruchpraxis anzupassen. In seinen Inseraten erläuterte er jetzt unter der Überschrift »Was ist eigentlich der empfohlene Richtpreis?": »Jeder (Händler) darf den Richtpreis beliebig unterschreiten. Tatsächlich hält sich auch kein Händler mehr an diese Preise, Weil sie dem allgemeinen Marktpreis nicht mehr entsprechen. Der allgemein geforderte Marktpreis liegt denn auch heutzutage unter dem empfohlenen Richtpreis der Hersteller.« Dann erst kam: »Wir unterschreiten diese Richtpreise wie folgt.«

Die Mühe des Erläuterns war vergeblich. Inzwischen hatte nämlich das Gieselmann übergeordnete Oberlandesgericht Hamm in einem ähnlichen Fall geurteilt: »Die Werbung mit derartigen fiktiven Preisen, denen keine reale Bedeutung mehr beigemessen werden kann, (ist) schon als solche wettbewerbsfremd.« Sie sei »mit den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbes nicht zu vereinbaren«.

Im nächsten Greif-Termin, Mitte Februar dieses Jahres, verwarf Richter

Gieselmann nun auch den veränderten Anzeigentext: »Dadurch wird ... die Irreführung über die eigene Preissenkung nicht ausgeräumt. Der flüchtige Durchschnittsleser, dem die Preis- und Marktsituation nicht im vollen Umfang bekannt ist, soll weiterhin mit einem hohen prozentualen Preisabschlag geworben werden, der aber tatsächlich nicht gewährt wird.«

Weder Gieselmann noch die Hammer Oberlandesrichter beschäftigten sich mit dem naheliegenden Einwand, daß die »fiktiven« Preisempfehlungen nicht von den Händlern, sondern von der Industrie stammen. Die Richter hätten sonst entdecken können, daß die Richtsätze ihre »reale Bedeutung« zwar weithin, aber noch keineswegs überall verloren haben.

In großstadtfernen Gebieten gelingt es nach wie vor, Elektrogeräte zu den überhöhten Richtpreisen oder mit nur geringem Abschlag an den Mann zu bringen. So konnten Haustürvertreter ihrer bäuerlichen Kundschaft in Süddeutschland AEG-Waschmaschinen des Musters Lavamat anstandslos zum vollen empfohlenen Preis von 2280 Mark verkaufen (SPIEGEL 50/1962).

Mithin: Die empfohlenen Preise sind derzeit weder allgemeingültig noch sind sie fiktiv.

Wie hilfreich in diesem Preisgestrüpp für den Verbraucher die Werbemethode Greif sein kann, verdeutlichte das Bundeskartellamt in Berlin. Weil »eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu noch nicht vorliegt«, strich die Fünfte Beschlußabteilung des Amtes im März dieses Jahres aus einer Wettbewerbsordnung der Kraftfahrzeughändler einen Passus, der Preisvergleiche des Greif-Musters untersagte. Begründung der Kartellbeamten:

»Eine sachliche und wahre Gegenüberstellung führt den Verbraucher nicht irre, sondern ist im Gegenteil geeignet, seine Marktübersicht zu verbessern und dadurch die Gefahr der Irreführung zu verringern.«

Werber Greif: Rügen vom Preis-Richter

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