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Briefe

Nicht Fouché
aus DER SPIEGEL 34/1973

Nicht Fouché

(Nr. 32/1973, SPIEGEL-Titel über Walter Ulbricht)

Wann wird die bürgerliche Geschichtsschreibung, die in der BRD gelehrt wird und die auch in der Titelgeschichte des SPIEGEL zum Ausdruck kommt, endlich begreifen, daß hier nicht ein Mann, sondern eine Klasse die Macht ergriff und damit ihre Interessen durchsetzte?

Kassel BERND KUCHINKE

Es ist meines Erachtens noch zu früh, um Walter Ulbricht nach strengen geschichtswissenschaftlichen Maßstäben darstellen zu können. Dieser Apparatschik hat niemals in seinem Leben einem anderen Menschen sein Herz geöffnet oder seine innersten Gedanken preisgegeben. Hätte er die Mauer nicht gebaut und die Flüchtlingsquoten wären nur gleichbleibend geblieben, säßen in der DDR nur noch Alte, Invaliden, Rentner, Hilfsarbeiter und Enkelkinder. Die Flüchtlingszahlen wären sogar Jahr für Jahr angestiegen. Mit der Flucht jedes Akademikers oder Facharbeiters verringert sich das Volkseinkommen und damit der Lebensstandard jedes einzelnen. Wie makaber es auch für 17 Millionen ist, der Mauerbau hat das Gebiet der DDR der deutschen Nation erhalten. Unsere Brüder und Schwestern hatten sich aus Sorge um die eigene Existenz mit Ulbricht abgefunden, sie haben unfreiwillig 30 Jahre lang Opfer gebracht. Danken wir es ihnen.

Hannover KARL HEINZ PASSMANN

Das Zitat am Schluß der Titel-Story ist ein bißchen falsch wiedergegeben. Statt »Du gestattest, daß ich mich setze, Erich?« müßte es richtig heißen: »Erlaubst Du. daß ich mich dabei setze?« Die Peinlichkeit der Situation kommt meines Erachtens bei dem echten Ulbricht-Zitat deutlicher zum Ausdruck als bei der SPIEGEL-Version.

Berlin ANDREAS RUHRUS

Ulbricht ist tot. Clara Zetkin hatte ihn in bewundernswerter Menschenkenntnis bereits damals als hinterhältig und ehrlos charakterisiert. Und die Verbrechen dieses Erzvaters des kalten Krieges in Deutschland erkannten außer seinem Stellvertreter Karl Schirdewan alle Deutschen, die fähig und willens waren nachzudenken. Es blieb freilich dem Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) vorbehalten, sich nicht zu entblöden und in »tiefer Bewegung« Ulbricht als Vorkämpfer für friedliche Koexistenz zu feiern. Ob es da noch eines Kommentars bedarf?

Frankfurt DR. ROLAND E. HERBST

Geschichte und Leistung des Ulbricht hin oder her, Ulbricht hat so viel Entsetzliches getan, schon lange vor Mauer und Schießbefehl. Er war ein Teufel, und schlimmer noch -- es gibt kein Wort für diesen Mann und keinen Vergleich, auch nicht mit Fouché.

Hamburg ANNEROSE HELLER

Aber der Irrsinn der Geschichte wollte es, daß Ulbricht nach dem 17. Juni 1953 noch mehr Macht gewinnen konnte. Seine Fistelstimme wurde noch unangenehmer, wenn er den Genossen jenseits der Grenzen der SBZ Belehrungen erteilte. Er überlebte Berija, Chruschtschow, sah Malenkow in der Versenkung verschwinden. Er beteiligte sich als Lakai der Moskowiter an der Besetzung der CSSR. Ein Grund mehr für die Tschechen, einen Deutschen so zu hassen wie weiland Heydrich! Altbach (Bad.-Württ.) FRANZ WOLFF Die SPIEGELs und Carola Sterns kommen und gehen, die DDR bleibt bestehen.

Düsseldorf H.-J. MOMBERGER

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