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Beamte Nicht mehr marktgerecht

Wohin mit zweieinhalb Millionen DDR-Staatsdienern? In die Arbeitslosigkeit - oder ins Beamtentum?
aus DER SPIEGEL 34/1990

Der Gewerkschafter wollte kaum glauben, was er da eben im Bonner Innenministerium gehört hatte. Beim Informationsgespräch über die Zukunft der Staatsdiener in der DDR erfuhr ÖTV-Beamtensekretär Wilfried von Loewenfeld, am Tage des DDR-Beitritts würde das, was die ÖTV derzeit gerade bei ihren Verhandlungen mit den öffentlichen Arbeitgebern der DDR tarifvertraglich festschreiben wolle, auf einen Schlag hinfällig. Von Loewenfeld aufgebracht: »Das lassen wir uns nicht gefallen.«

Der Zorn der Gewerkschafter richtet sich gegen einen Passus, den Innenminister Wolfgang Schäuble in den Einigungsvertrag schreiben will. Danach »ruhen vom Tage des Inkrafttretens des Vertrages an« alle Arbeitsverhältnisse der DDR-Staatsdiener. Wer nicht in den Staatsdienst der Bundesrepublik übernommen wird, bekommt noch sechs Monate lang (über 50jährige neun Monate) ein »Wartegeld« in Höhe von 70 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts der letzten zwölf Monate. Dann ist Schluß, das Arbeitsverhältnis endet »mit Ablauf dieser Frist«.

Ob denn bis dahin geschlossene Tarifverträge, in denen zum Beispiel Kündigungsschutzrechte vereinbart würden, den automatischen Rauswurf qua Einigungsvertrag verhindern könnten, wollten die Gewerkschaftsvertreter vom Schäuble-Abgesandten wissen. Die Antwort des Innen-Staatssekretärs Franz Kroppenstedt fiel deutlich aus: Der Vertrag schaffe neues Recht.

Der Bonner Regierung bleibt offenbar nichts anderes übrig, als sich der Heerschar der DDR-Staatsdiener auf rabiate Art zu entledigen. Je näher der Beitritt rückt, desto deutlicher wird, auf welche großen Probleme die Übernahme auch nur eines Teils der Ost-Beamten in den westlichen Öffentlichen Dienst stößt.

Selbst Schäuble weiß nicht genau, wie viele DDR-Arbeitnehmer überhaupt als öffentlich Bedienstete einzustufen sind. Schätzzahlen schwanken zwischen 2 und 2,6 Millionen.

Würde die DDR-Bevölkerung von rund 16 Millionen - entsprechend der westlichen Quote - mit Beamten, Angestellten und Arbeitern des Öffentlichen Dienstes ausgestattet, dann fänden etwa 1,2 Millionen Arbeit in den neuen, demokratisch legitimierten Behörden der ehemaligen DDR. Die Kehrseite: Etwa eine Million DDR-Staatsdiener müßten sich nach einem neuen Job umsehen.

Dabei ist schon die einfache Übertragung bundesrepublikanischer Verhältnisse auf die neuen Länder im Osten höchst problematisch. Kopiert wird damit ein völlig überholtes öffentliches Dienstrecht, über dessen Reform seit Jahren gestritten wird.

»So bald wie möglich«, will Schäuble in den Einigungsvertrag schreiben, soll die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben auch in der DDR Beamten übertragen werden.

Vorsichtshalber klopfte Beamtenbundchef Werner Hagedorn fest, daß damit die großzügige westdeutsche Auslegung gemeint sein müsse: Nicht nur im Kernbereich der Hoheitsverwaltung, auch in der sogenannten Leistungsverwaltung - bei Bahn und Post, im Bildungswesen und in der Sozialverwaltung - sollen unkündbare, laut Verfassung nach den »hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums« gesicherte Obrigkeitsverwalter dienen. Etwa 500 000 werden es in der ehemaligen DDR sein, so die Bonner Vorstellung.

»Schlicht absurd«, nennt es Postgewerkschaftschef Kurt van Haaren, »wenn der DDR das Beamtenrecht übergestülpt« werde. »Lähmend, überholt und nicht mehr marktgerecht« sei es, kritisiert der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms, nun auch ostdeutsche Lehrer und Postboten in den warmen Beamtenmantel zu hüllen. Und der Hinweis aus Brüssel, daß Bonn mit seiner großzügigen Ausdehnung des Beamtentums in Europa aneckt, wird die DDR vor einer Ausbreitung des Beamtentums nicht schützen.

Selbst wenn es gelingt, sich mit dem Einigungsvertrag der Hälfte der DDR-Staatsdiener zu entledigen - die Übertragung des öffentlichen Dienstrechtssystems auf die DDR wird teuer. Schon zeichnet sich ab, daß die in der Bundesrepublik jahrzehntelang geübte Schaukelpraxis auch in der DDR wirken wird: Eine Gruppe des Öffentlichen Dienstes setzt Verbesserungen durch, alle anderen ziehen nach, weil Gleichbehandlung nötig sei.

Die Beamten der DDR-Finanzämter haben bereits gelernt. Sie wollen sich einen günstigeren Stellenkegel zulegen, als ihre westdeutschen Kollegen haben; eine Übertragung auf die gesamte Finanzverwaltung, warnte bereits Schleswig-Holsteins Finanzministerin Heide Simonis, werde nun nicht lange auf sich warten lassen.

In wenigen Schritten will die ÖTV den Anschluß der Einkommen ihrer Arbeiter und Angestellten des Öffentlichen Dienstes in der DDR an das Lohnniveau im Westen erreichen - und fordert zunächst einmal einen Zuschlag von 30 Prozent. Was die Gewerkschaft durchkämpft, wird - so die Übung - auf die Beamten übertragen.

Die öffentlich Bediensteten der ehemaligen DDR, das ist absehbar, werden ihren Kollegen aus der Privatwirtschaft in wenigen Jahren davonsprinten. Der Staat kann nicht pleite gehen, und Produktivität als Voraussetzung für höhere Löhne war im Öffentlichen Dienst noch nie gefragt.

Allerdings haben nur wenige höhere Chargen die Chance, von Schäubles Kündigungsschreiben verschont und von neuen Herren übernommen zu werden. Hans-Dietrich Genscher etwa glaubt, allenfalls 300 der über 3000 Bediensteten des Außenamts-Ost weiter beschäftigen zu können - für Aufräumarbeiten des gewesenen DDR-Außendienstes.

Ähnlich geht es den anderen Ministern, etwa Helmut Haussmann. 3800 Mitarbeiter hat das DDR-Gegenstück in Ost-Berlin. In Bonns Wirtschaftsministerium arbeiten gerade 1600 Leute. Allenfalls 380 meinen Haussmanns Personalplaner verkraften zu können. Der Rest sowie rund 17 000 Beschäftigte in nachgeordneten Dienststellen der alten DDR-Planwirtschaft werden »der Arbeitsverwertung zugewiesen« (so ein Bonner Beamter).

Jene, die übernommen werden, machen Probleme genug. Denn die meisten Ressorts wollen die neuen Leute in Außenstellen in Ost-Berlin oder sonstwo in der Ex-DDR beschäftigen - gemischt mit Kennern aus Bonn. Nur: Der Bonner Beamte verdient bis zum Fünffachen seines neuen Kollegen am Schreibtisch nebenan.

»Das geht nicht«, sagt ein Bonner Personalplaner, »aber anders geht's auch nicht.«

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