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Kuweit Nicht mehr so glücklich

Von ihren arabischen Brüdern verachtet, feiern kuweitische Flüchtlinge in Luxushotels den Kampf um ihre Heimat.
aus DER SPIEGEL 6/1991

Emir Dschabir el-Ahmed el-Sabbah, 64, wandte sich mit einem eindringlichen Appell an sein Volk. Diesmal ging es nicht um den Golfkrieg, den Verlust der Heimat oder die Leiden der Landsleute unter irakischer Besetzung.

Aus seinem saudischen Exil ermahnte der kuweitische Herrscher vielmehr all jene Untertanen, die derzeit in zahlreichen arabischen Ländern auf die Vertreibung Saddam Husseins warten: Sie sollten »sich ritterlich verhalten und nicht die Dreistigkeit besitzen, sich in den Gastländern als Herren aufzuführen«. Denn: »Wir wollen nicht die Geduld unserer Gastgeber strapazieren.«

Das ist, ein halbes Jahr nach der Ockupation Kuweits, schon im Übermaß geschehen. In Damaskus und Kairo, in den Emiraten am Golf oder in Oman, aber auch im sittenstrengen Saudi-Arabien, dem Gastgeberland der vertriebenen Herrscher-Sippe, wächst der Unmut über kuweitische Exilanten, die, so klagt Emir Dschabir, »sich nicht anständig benehmen«.

Während die Weltöffentlichkeit dem Schicksal des kuweitischen Volkes große Sympathie schenkt und vor allem US-Präsident George Bush Greueltaten der Besatzer anprangerte, hat sich das Image der vertriebenen Kuweiter bei ihren arabischen Brüdern radikal verschlechtert. Schon bisher genossen sie - an ihren knöchellangen, blütenweißen Dischdaschas und brillantenfunkelnden goldenen Uhren leicht zu erkennen - im Morgenland einen miserablen Ruf: Sie gelten als arrogante und faule Menschen, die ihren unermeßlichen Reichtum besonders protzig zur Schau stellen.

Doch nun, da sie sich als »Flüchtlinge und Opfer fühlen«, klagt ein syrisches Regierungsmitglied, seien sie überhaupt nicht mehr auszuhalten: »Wie kommen wir dazu, ihre Dreistigkeit noch länger ertragen zu müssen? Diese Beduinen sitzen in unseren Hotels, lassen sich aushalten und meinen, wir sind dazu geboren, sie zu bedienen.«

Als der Irak am 2. August 1990 das winzige Nachbarland überfiel, befanden sich fast die Hälfte der 650 000 Kuweiter im Ausland - traditionell flüchten die ganz Reichen um diese Jahreszeit vor der sommerlichen Gluthitze in ihre Anwesen in London, Paris oder Genf, während die etwas weniger Vermögenden mit ihren Familien sowie dem meist mehrköpfigen Personal arabische Hauptstädte wie Kairo oder Damaskus aufsuchen.

Im Spätherbst, in Europa wurde es schon reichlich kühl, forderte Emir Dschabir die Europa-Besucher zur Rückkehr nach Arabien auf. Nur die wenigsten zog es allerdings ins puritanische Saudi-Arabien, wo Alkohol (wie zu Hause auch) streng verboten ist. Viel lieber ließen sich die Gestrandeten in Ägypten oder den Emiraten entlang des Persischen Golfes nieder, wo exklusive Hotelanlagen mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten zur Verfügung stehen.

Seither spielt sich das Leben der meisten Heimatvertriebenen fast ausschließlich in den Lobbies, Restaurants, Bars und Suiten von Luxushotels ab - so komfortabel haben so viele Flüchtlinge noch nie auf die Befreiung der verlorenen Heimat gewartet.

In ihren feudalen Fluchtburgen führen sich junge Kuweiter gelegentlich auf wie Halbstarke aus James-Dean-Filmen. Hotelmanager in den arabischen Metropolen wissen Schauergeschichten über die Aktivitäten ihrer ungeliebten Gäste zu erzählen: Einrichtungsgegenstände und Fernseher, die nach lautstarken Saufgelagen aus den höheren Stockwerken in die Swimming-pools plumpsen, spontane Grill-Feste in Hotelzimmern, bei denen schon mal Teppiche, Vorhänge oder Tapeten Feuer fangen.

In Abu Dhabi, wo etwa 20 000 Kuweiter als Gäste des heimischen Emirs logieren, mußte kürzlich im Sheraton-Hotel, vorübergehende Heimstatt zahlreicher Exilfamilien, das Mobiliar erneuert werden. Kosten: vier Millionen Dirham (1,7 Millionen Mark).

In Dubai, Aufnahmeplatz für weitere 30 000 Gestrandete, ließ Verteidigungsminister Scheich Mohammed Bin Raschid el-Maktum Hunderte Familien in den zahlreichen Luxushotels einquartieren, ebenfalls auf Kosten der Staatskasse. Nur im Dubai-Hilton durften keine Kuweiter einchecken - das Haus gehört dem Verteidigungsminister persönlich.

Im benachbarten Emirat Schardscha registrierte die Polizei in den vergangenen Wochen vermehrte Einsätze gegen Kuweiter, die in Restaurants andere Gäste anpöbelten und dann handgreiflich wurden. In die Radarfallen entlang den mehrspurigen Wüsten-Highways rasten Mercedes- und BMW-Limousinen, deren Fahrer sich durch die Aufschrift an der Heckscheibe »El-Kuweit hurra« (Kuweit ist frei) als Flüchtlinge auswiesen. Nicht selten, berichtete ein Offizier der Emirat-Polizei, würden sich die ertappten Verkehrssünder mit dem Satz »Ich bin Flüchtling, ich kann nicht zahlen« vor der Verantwortung drücken.

Vor allem in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, wo 30 000 Kuweiter die Wiedereroberung ihrer Heimat abwarten, führte die hemmungslose Zurschaustellung zu Konflikten mit den Einheimischen. Seit Ausbruch des Krieges, sagt Ahmed Hamid, Kellner des fast ausschließlich von Kuweitern frequentierten Luxushotels Safir, habe sich deren Benehmen weiter verschlimmert: »Seit sie wissen, daß sie irgendwann ihre Villen zurückerhalten werden, sind sie noch arroganter geworden.«

Genüßlich schilderten oppositionelle Zeitungen »Neues von den Flüchtlingen": von einem betuchten Kuweiter etwa, der in einer Nacht in einem Spielkasino am Nil 125 000 Dollar verspielte, oder der kuweitischen Jeunesse doree, die, »während die Zurückgebliebenen den Terror Saddams erleiden müssen«, die Kairoer Diskotheken okkupiert haben.

Schließlich mußte Kuweits Botschafter in Ägypten, Abd el-Rassak el-Kandari, auf Druck der verstimmten Kairoer Regierung den ausgelassenen Jugendlichen im wehrpflichtigen Alter äußerste Zurückhaltung verordnen. Der Botschafter: »Ich habe unseren Leuten auferlegt, sich nicht mehr so glücklich zu fühlen, solange unsere Heimat besetzt ist und für Kuweit Blut vergossen wird.«

Die Exilregierung drohte ihren vergnügungssüchtigen Untertanen bei Fehlverhalten überdies mit dem Entzug der großzügigen finanziellen Hilfen. Dutzende von Sittenwächtern sind seither in Discos, Spielbanken und Hotelbars unterwegs, um jeden Kuweiter, der sich anstößig benimmt, an die Botschaft weiterzumelden.

Auch in den Golf-Emiraten gehen die Herrscher immer schärfer gegen ihre heimatlosen Gäste vor. Aus Abu Dhabi wurden ein Dutzend Kuweiter, die in öffentlichen Lokalen Frauen belästigt hatten, ins benachbarte Saudi-Arabien abgeschoben.

In Oman, das Platz für 8000 kuweitische Flüchtlinge bietet, hat sich der Herrscher Sultan Kabus, gewarnt durch die Eskapaden gelangweilter Kuweiter in den Nachbarländern, eine Art Quarantäne einfallen lassen: Die Flüchtlinge sind auf eintönige Wüstenorte um die Hauptstadt Maskat verteilt. Kabus' Mahnung an seine Gäste: »Wer sich in Maskat sehen läßt, fliegt.« o

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