GRIECHENLAND / PARLAMENT Nicht sprechen
Im Ursprungsland des Worts »Demokratie« hat das Volk seit fast vier Jahren nichts mehr zu sagen. Das griechische Volk wartet Immer noch auf die Bekanntgabe eines Termins für die allgemeinen Wahlen eines Parlaments, wie es die Verfassung vom September 1968 vorsieht.
Am vorletzten Freitag aber eröffnete Griechen-Premier Papadopoulos In Athen ein Parlament -- dessen Abgeordnete hatte er selbst ernannt. Im April 1970 hatte Papadopoulos empfohlen, ein »kleines beratendes Parlament« einzurichten. Dann kamen ihm Zweifel, ob die Bezeichnung »Parlament«, sei es auch klein, nicht doch fehl am Platz sei, Im September gab er bekannt, die Griechen würden bald Vertreter zur »Beratenden Kommission« zu wählen haben.
Doch Athens wichtigstem Nato-Verbündeten genügte das: Washington rechtfertigte im September die volle Wiederaufnahme der US-Militärhilfe mit dem Plan der Obristen, eine parlamentarische Demokratie zu Installieren.
Mit Gesetzesdekret Nr. 675 legte Papadopoulos die Zahl der Volksvertreter auf 60 fest, mit Verordnungen bestimmte er das Wahlverfahren: Kandidat durfte nur sein, wer nicht wegen Regime-Feindschaft verurteilt ist, und er muß Rechenschaft ablegen über seine »Stellung zu Parteien, Organisationen und Vereinen, deren Ziele deutlich oder versteckt der Regierungsform widersprechen«.
Aufgabe der Abgeordneten: Gutachtliche Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen der Regierung, ohne ein Verwerfungsrecht und ohne jede Verbindlichkeit.
Trotz einer monatlichen Diät von 2500 Mark zuzüglich Reisespesen war der Gutachter-Job nicht sehr gesucht. Kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist für Kandidaten wies der Vizepremier und Innenminister Pattakos die Bürgermeister dringend an, Bewerber zu rekrutieren. Es fanden sich schließlich 526 Interessenten, meist Ex-Offiziere und Anwälte ohne Klienten, dazu der Gerichtsbote Petoumenos aus Korinth und zwei Herren des Faschistenblatts »4. August«, das die Ideen des Vorkriegs-Diktators Metaxas propagiert.
Präfekten und Sicherheitspolizisten sortierten unerwünschte Kandidaten aus, 1240 Wahlmänner (darunter 256 vom Regime eingesetzte Bürgermeister) wählten dann 92 Parlamentarier-Anwärter. Die Gewählten waren jedoch noch nicht die Abgeordneten. Ein Putschkamerad von Papadopoulos, Ex-Oberst Stamatelopoulos, sprach von einer Schönheitskonkurrenz, bei der das Publikum die Damen bewundern darf, während die Jury entscheidet.
Als Jury entschied Premier Papadopoulos. Aus der Liste der 92 suchte er Anfang Januar 46 Namen aus und fügte zehn nach eigenem Gutdünken hinzu. Zum Präsidenten wählte er den sechs Monate zuvor abgesetzten Arbeitsminister Vogiatzis, der zu den Diäten 1200 Mark Repräsentations-Spesen im Monat und einen Dienstwagen erhält, ferner zwei Stellvertreter: einen Zement-Industriellen und einen Wirtschaftsprofessor. Das Griechen-Parlament hat somit derzeit nur 59 Mitglieder -- einer der Abgeordneten erlag einem Herzschlag.
In der »Vouli«, Athens seit vier Jahren leerstehendem Parlamentssaal, eröffnete Präsident Vogiatzis am 22. Januar die erste Sitzung, nachdem Erzbischof Hieronymos den Segen der Kirche erteilt hatte, und erteilte vor leeren Zuschauer-Galerien dem Dienstherrn das Wort.
»Ihre Einschaltung ist beratender Art«, erinnerte Papadopoulos die Mini-Parlamentarier mit den Maxi-Spesen. »Sie sind nicht hier, um die Ansichten einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zu vertreten. Sie sind hier, um auszudrücken, was die Massen der jeweiligen Gruppen oder Regionen denken.«
Die Massen aber müßten erzogen werden, und dazu hätten die Abgeordneten alle Gesetzeswidrigkeiten mutig anzuzeigen. Erzieher Papadopoulos: »Sprechen Sie nicht, wenn Sie nichts Neues zu sagen haben. Sprechen Sie nicht, um nur zu sprechen. Sprechen Sie nicht länger als nötig ist. Und schließlich sprechen Sie nicht, wenn ein anderer spricht.«
Die Abgeordneten hielten sich an diese Geschäftsordnung. Als Papadopoulos sich ausgesprochen hatte, erklärte Parlaments-Präsident Vogiatzis die Sitzung für geschlossen.