CHILE Nicht vom Weg ab
General Augusto Pinochet Ugarte, Diktator von Chile, macht Pläne für die Zukunft:
»In ein, zwei, drei oder mehr Jahren«, so erklärte er vergangenen Monat, wolle er aus dem 24 Stockwerke hohen Regierungsgebäude Diego Portales umziehen in den während der spanischen Kolonialzeit erbauten Moneda-Palast im Herzen der Haupstadt.
Dort hatten seit Generationen die Präsidenten des Andenstaates ihren Regierungssitz -- bis zu jenem 11. September 1973, an dem die Truppen des Generals Pinochet und seiner Gesinnungsgenossen den Palast mit Bomben bewarfen, um den ersten marxistischen Präsidenten Chiles, den Sozialisten Salvador Allende, gewaltsam von der Macht zu vertreiben.
Allende kam dabei ums Leben, Tausende von Chilenen starben bei den blutigen Säuberungen der Militärs, und die rauchgeschwärzten, von deutlich sichtbaren Einschüssen verunstalteten Mauern der Moneda wurden mit einem Baugerüst umgeben. Der leere Palast blieb das peinliche Schandmal eines Staates, dessen Bürger bis dahin stolz darauf gewesen waren, daß in ihrem Lande Regierungswechsel sich ohne Gewalt zu vollziehen pflegten.
Vier Jahre nach ihrem Putsch jedoch sehen Chiles Militärs sich nun offenbar genötigt, dem Drängen nach mehr Legalität nachzugeben:
Kurz vor dem Jahrestag seiner Machtübernahme verhieß Diktator Pinochet Parlamentswahlen für das nächste Jahrzehnt. Zugleich verkündeten die Machthaber die Abschaffung der gefürchteten Geheimpolizei »Dina«, die für Tod und Folterung Tausender von Chilenen verantwortlich ist und in deren Kerkern und Lagern. nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation »Amnesty International«, bislang rund 1500 Menschen spurlos verschwanden.
Späte Einsicht der regierenden Militärs, Sinneswandel zum Guten? Wohl kaum. Denn zwar löste die Militärjunta unter General Pinochet die »Dina«, da sie »die heikle Aufgabe, die ihr übertragen war, vollständig gelöst« habe, per Dekret Nummer 1876 förmlich auf. Doch zugleich schuf sie, mit Dekret Nummer 1878, die »Nationale lnformationszentrale« (CNI), deren Organisationsform, Aufgabenbereich und Mitarbeiterstab sich von der »Dina« so gut wie nicht unterscheidet:
Ebenso wie die »Dina« wird auch die CNI direkt dem Präsidenten Pinochet unterstehen und von einem General geführt werden. Wie vorher gehören ihre Mitarbeiter auch weiterhin vorwiegend den Streitkräften an und sollen die Aktivitäten der vier militärischen Geheimdienste des Landes koordinieren.
Für Anibal Palma, im bundesrepublikanischen Exil lebender früherer Erziehungsminister Allendes, ist die Auflösung der »Dina« denn auch nichts weiter als eine »Umbenennung«. Der Grund, der die Militärs dazu bewogen habe, so Palma zum SPIEGEL, sei durchsichtig: »In dem Augenblick, da es die »Dina' nicht mehr gibt, gibt es auch keine Organisation mehr, die juristisch für das ungeklärte Verschwinden so vieler chilenischer Bürger zur Verantwortung gezogen werden kann.«
Das Problem der »desaparecidos«, der verschwundenen Personen, war der chilenischen Junta gerade in letzter Zeit besonders lästig geworden:
Angehörige von Verschollenen gründeten ein Hilfskomitee, wandten sich mit Petitionen an Junta und Öffentlichkeit und bedrängten den US-Unterstaatssekretär für interamerikanische Angelegenheiten Terence Todman bei seiner Visite vor drei Wochen mit Bitten um Hilfe. Die Mitglieder des Hilfskomitees »zögern nicht«, empörte sich die Junta, »das Bild unseres Landes und die Ehre seiner Obrigkeit zu beschmutzen«.
Die »Dina«-Auflösung just am Vorabend des Todman-Besuches, so kalkulierten offenbar die Machthaber von Santiago, würde Carters Menschenrechtsstrategen besänftigen -- und sie kalkulierten richtig: Todman entdeckte »Schritte zum Positiven« in Chile.
Die Mehrheit der Chilenen jedoch scheint davon noch nicht viel zu spüren -- im Gegenteil: In den vergangenen Monaten erkannten selbst Sympathisanten des Regimes, daß mit den Ergebnissen der vierjährigen Militärherrschaft nicht viel Staat zu machen ist.
Wohl konnte die schwindelerregende Inflationsrate gebremst werden (von 174 Prozent 1976 auf erwartete 70 Prozent 1977), wohl stieg die Industrieproduktion ab 1976 erstmals wieder an.
Aber, so resümierte der Kommentator des chilenischen Wochenblattes »Hoy«, Hugo Lavados, vier Jahre militärischer Wirtschaftspolitik, »man gewinnt den Eindruck, daß die Reichen noch ebenso reich oder reicher als vorher sind und die Armen ärmer als zuvor«. Der rechtsradikale Anwalt Pablo Rodriguez, Neo-Faschist und glühender Anhänger des Militärregimes, rügte bereits vergangenen Sommer, Pinochets Wirtschaftspolitik werde Chile »in ein Paradies für Spekulanten und Wucherer« verwandeln.
»Wir sehen ein, daß der wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes von allen große Opfer verlangt«, erklärte die chilenische Bischofskonferenz, »aber es scheint, als müßten Bauern, Arbeiter und die Bewohner der Elendsviertel eine allzu schwere, unverhältnismäßig große Last tragen.«
Der von der Regierung festgesetzte Minimallohn eines chilenischen Arbeiters (rund 143 Mark), so errechneten 126 regime-konforme Gewerkschafts-Organisationen, reiche nur aus, um an 21 Tagen des Monats zu essen.
Die zaghafte Kritik an der tristen Bilanz seiner Herrschaft scheint allerdings den Diktator Pinochet wenig zu kümmern. In ungebrochenem Selbstbewußtsein demonstriert er händeschüttelnd Volksnähe und stellte, nur eine Woche nach dem Todman-Besuch« unmißverständlich klar, was man unter Wahlen à la Pinochet zu verstehen hat:
»Nur, wenn das Land sich positiv weiterentwickelt«, so Pinochet, sollten Chiles Bürger wieder wählen dürfen. »Die Regierung«, erklärte er Ende August, »wird wissen, wann das Volk konsultiert werden sollte -- Sie, meine Herren Politiker, werden uns nicht vom Weg abbringen!«