JUGENDBERICHT Nicht zu ändern
Selten haben Gutachter ihren Auftraggeber so heruntergeputzt wie
jene Sachverständigen-Kommission, die jungst ihr Urteil über die Bonner Jugendpolitik abgab.
Denn was Familienministerin Antje Huber als Hilfe für heranwachsende Bundesbürger ausgebe, so befanden die Gutachter in ihrem 5. Jugendbericht für das Ministerium in dürrem Gelehrten-Deutsch, sei »stärker von den Bedingungen eines administrativen Apparates bestimmt, als daß sie an den Interessen, den Problemsichten und den Lebenswelten der Klientel orientiert wäre«. Mögen auch die öffentlichen Mittel stark angestiegen sein -- die Pädagogen, Soziologen und Psychologen entdeckten bei ihren Recherchen, daß immer mehr Kinder »unter Lebensbedingungen« aufwachsen, »die ihre Entwicklung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen«.
Immer mehr Jugendliche werden von ihren Eltern mißhandelt oder vernachlässigt, immer mehr reißen aus, verfallen Drogen oder Alkohol, versuchen sich durch Diebstahl oder Zerstörungswut an der Gesellschaft zu rächen.
Die harsche Experten-Kritik ist für die Regierung um so unangenehmer, als die Opposition das Thema Familienpolitik im kommenden Bundestagswahlkampf hochspielen will. Versäumnisse fanden die Gutachter zuhauf.
Detailliert führten die Wissenschaftler -- rund 60 Experten hatten der siebenköpfigen Sachverständigen-Kommission zugeliefert auf über tausend Seiten die Schwachstellen einer Bonner Jugendpolitik auf, die keine grundlegenden Reformen schafft: Vielmehr
werde, wer von Lehrstellenmangel, Schulstress und Numerus clausus betroffen ist. »als Sozialfall« registriert.
Jugendhilfe, so die Autoren, kuriere lediglich an den Symptomen herum. Behörden und Gerichte etwa regeln das Sorgerecht, bringen Kinder ins Heim oder in die Familie zurück und versuchen junge Delinquenten zu resozialisieren, ohne daß die Betroffenen eine Chance haben, »ihre Probleme zur Sprache zu bringen«. Häufig führe der Eingriff des »Jugendhilfeapparats« sogar »zu negativen Karrieren, nicht selten bis hin zur Kriminalität.
Die Vorwürfe der Kommission richten sich freilich nicht nur gegen die Jugendpolitiker? sondern auch gegen die Bildungspolitiker in Bund und Ländern. Ihr Fazit: »Schule als Institution produziert Schulversager.«
So bleiben noch immer vier Prozent -der Schulanfänger in der 1. Klasse sitzen, obwohl diese pädagogische Maßnahme »höchst umstritten« ist. Ein Viertel aller Schulabgänger hat im Laufe seiner Schulzeit eine Klasse wiederholen müssen; unter den Realschülern bleibt jeder zweite im Durchschnitt einmal sitzen. Leistungsnachweise, Abschlüsse und Berechtigungsscheine sind in den letzten Jahren »noch wichtiger« als zuvor geworden. Der sich verschärfende Konkurrenzkampf und wachsender Leistungsdruck führten zu politischer Apathie und »resignativer Abstumpfung«, die auf eine »tiefgreifende Krise gesellschaftlicher Strukturen und Wertmuster verweisen«.
Für Antje Hubers Beamte indes sind derlei Analysen und Anwürfe übertriebenes Professoren-Gewäsch. So schlimm sei dies alles gar nicht, meinen sie in ihrer Stellungnahme zu dem Bericht, der im nächsten Monat dem Kabinett vorgelegt werden soll: Mit »verallgemeinernden Vorwürfen werden weder die Situation der jungen Menschen noch die Leitvorstellungen der Politik für den jungen Menschen zutreffend beschrieben«.
Der »Bericht über die Lage der Jugend« beschäftige sich zu stark mit »Problemgruppen«. Für »die Mehrzahl der jungen Menschen« hätten sich in Wirklichkeit »ihre wirtschaftliche Lage, ihre Ausbildungs- und Berufsaussichten ... in den letzten Jahren wesentlich verbessert«.
Daß schon Kinder unter Konkurrenzkampf und Leistungsdruck gesetzt werden, sei eben nicht zu ändern, bedauern die Beamten lapidar; solange die Schule Leistungen zu bewerten habe, »wird es »Versager? geben«.
Im übrigen tue das Ministerium eine Menge für Versager und Randgruppen: Schließlich habe das Haus Huber »allein 1978 über eine Million Mark« für die Bekämpfung des Rauschgift- und Alkoholmißbrauchs ausgegeben; außerdem sei die Frau Minister bestrebt, die Flucht in Drogen und Jugendsekten auch mit einer »breitangelegten gezielten Öffentlichkeitsarbeit« einzudämmen, und um geschundenen Kindern zu helfen, hätten die Ministerialen ja das Handbuch »Kindesmißhandlung -- Was man dagegen tun kann« herausgegeben.
So einfach mögen es sich Antje Hubers Parteifreunde inzwischen doch nicht mehr machen. »Haben Wir unsere Jugendlichen enttäuscht?« fragte Bildungsstaatssekretär Björn Engholm selbstkritisch am vergangenen Montag beim jugendpolitischen Kongreß der SPD. Es reiche wohl kaum, so befand der Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz, daß »viele der Kleinfamilien ihren Kindern nur mehr gute Verpflegung und gute Unterkunft bieten«. Und auch die Bonner Arbeitsstaatssekretärin Anke Fuchs räumte ein, das Wirtschaftswachstum habe der jungen Generation »nicht automatisch zu mehr Selbstverwirklichung und erst recht nicht zu mehr Lebenssinn verholfen«.
Antje Huber freilich hatte für die kritischen Genossen keine Zeit. Der nordrhein-westfälische Sozialminister Friedhelm Farthmann ärgerte sich über die Nonchalance der Bonner Kollegin: »Noch nicht einmal einen Staatssekretär hat sie geschickt.«