»Nicht zuviel Bürgerrechte aufs Spiel setzen«
Mit dem Tübinger Strafrechtler Jürgen Baumann bieten die Freien Demokraten zum drittenmal einen Rechtslehrer von Rang für ein Ministerium auf. Wie die Parteifreunde Werner Maihofer (Innenminister in Bonn) und Ulrich Klug (Justizsenator in Hamburg) zählt der Jurist zum Kreis der »Alternativprofessoren«, die Vorschläge zur Rechts-Reform gemacht haben. Baumann, 54, wurde von FDP-Landeschef Wolfgang Lüder als »Deus ex machina« (ein Senatsmitglied) präsentiert: Die Zusage des allseits respektierten Wissenschaftlers überdeckt vorerst die Krise, in die Berlins Sozialliberale nach dem Ausbruch der Anarchistinnen und dem Rücktritt von Justizsenator Hermann Oxfort geraten sind.
SPIEGEL: Herr Professor Baumann, der Berliner Strafvollzug verwahrt an die 3500 Häftlinge, davon 27 politisch motivierte. Nun sind vier Häftlinge ausgebrochen. Schlampereien offenkundig. Änderungen unvermeidlich. Was ändert sich nach Amtsantritt des Justizsenators Baumann?
BAUMANN: Ich kenne die Verhältnisse am Ort, die Anstalten und das Anstaltspersonal viel zuwenig. Ich würde mich natürlich bemühen, solche Pannen zu verhindern.
SPIEGEL: Zunächst einmal wird nach strengerem Vollzug gerufen. Werden Sie Ihren Ruf als liberaler Strafrechtsreformer abbauen müssen?
BAUMANN: Das hoffe ich eigentlich nicht. Man muß wohl unterscheiden zwischen der kurzfristigen Emotion. die durch solch eine Panne entsteht, und der langfristigen Wirkung. SPIEGEL: Kann man das?
BAUMANN: Ich glaube, daß die Bevölkerung im Augenblick stark emotionalisiert ist. Ich hoffe aber, daß sie so klug ist, das nicht zu einer Dauererscheinung werden zu lassen. Als Liberaler glaube ich eben an den mündigen Bürger.
SPIEGEL: Nach Worten Ihres Vorgängers Oxfort beißen sich Sicherheit und Liberalisierung im Vollzug.
BAUMANN: Ich stimme in vielen Punkten mit Herrn Oxfort überein. aber in diesem nicht. Im Gegenteil. man muß für äußere und innere Sicherheit in der Anstalt sorgen, wenn man überhaupt einen Resozialisierungsvollzug durchführen will.
SPIEGEL: Sagt auch Herr Oxfort.
BAUMANN: Man muß natürlich darauf achten, daß die Leute einem nicht davonspringen, wenn man sie resozialisieren will. Man hat sie ja dann gar nicht mehr.
SPIEGEL: Die Polit-Täter, die man noch hat, wollen sich doch gar nicht resozialisieren lassen.
BAUMANN: Ich weiß natürlich, daß politische Überzeugungstäter nur sehr schwer zu resozialisieren sind. Ich meine nur, daß unsere Gesellschaft so schlecht wäre, wie diese Leute behaupten, wenn wir nicht immer wieder den Versuch unternähmen. Wir dürfen einfach nicht in einen reinen Verwahrvollzug übergehen bei dieser Gruppe.
SPIEGEL: Viele Vollzugskritiker aber fordern genau das.
BAUMANN: Ich hielte das sogar für unchristlich. Ich meine, gerade bei der CDU müßte ich auf allergrößtes Verständnis für eine solche Auffassung von Vollzug stoßen ...
SPIEGEL: ... und bei der Berliner SPD, die Sie mitwählen muß?
BAUMANN: Die Alternative wäre schlicht unmenschlich. Bei keinem Menschen darf man sagen, es ist zu Ende. wir strengen uns gar nicht mehr an. Man muß ihm eigentlich immer die Hand hinhalten, selbst wenn oft genug in diese Hand gebissen wird.
SPIEGEL: Auch auf Kosten der übrigen Häftlinge, die sich gelegentlich schon über Benachteiligung beklagen?
BAUMANN: Die Vorschläge der sogenannten Alternativ-Professoren gingen zugunsten aller Inhaftierten weiter als das, was wir heute im Strafvollzugsgesetz haben. Wir wollten nicht nur Freiräume schaffen für den einzelnen Menschen, sondern durch den Ge-
* Mit dem Berliner FDP-Chef Lüder
setzgeber vorschreiben lassen, daß diese Freiräume auch genutzt werden. SPIEGEL: Wie denn?
BAUMANN: Mit viel Gruppentherapie oder dem Einsatz von Psychoanalytikern, mehr Selbstbestimmung, warum nicht mit all dem, was notwendig ist? Doch man hat unserem Entwurf vorgeworfen, daß es ein marxistischer Entwurf sei, so eine Art Räterepublik, die wir da entworfen hätten.
SPIEGEL: Die Reform-Inhalte haben Sie nicht bekommen, sind denn die Freiräume da überhaupt noch sinnvoll? BAUMANN: Dann sind sie sogar gefährlich, weil sie natürlich zu allen möglichen anderen Geschichten benutzt werden können. die keineswegs im Sinne eines Resozialisierungsvollzugs liegen -- beispielsweise zur Vorbereitung von Ausbrüchen.
SPIEGEL: Müßte man, so gesehen. dann nicht von der ganzen Liberalisierung ablassen?
BAUMANN Natürlich will ich die Liberalisierung und Humanisierung des Vollzugs nicht etwa zurückdrehen. Ich hoffe auf ein allmählich zunehmendes Verständnis der Bevölkerung und meiner künftigen Kollegen für die Vollzugsprobleme, so daß wir eines Tages vielleicht auch das
Geld bekommen, diese Freiräume mit Therapie zu füllen.
SPIEGEL: Das neue Frauengefängnis, das man Ihnen nun in Berlin bauen will, kostet 30 bis 40 Millionen Mark. Wäre es nicht rationeller, Polit-Täter einfach zu separieren?
BAUMANN: Der Finanzaufwand wäre noch größer, und man wurde die Leute in eine Kasernierungssituation hineinsetzen, die ausgesprochen resozialisierungsfeindlich ist. Man soll Gruppen zusammenstellen, die unterschiedliche Probleme haben, damit sie diese auch diskutieren können mit Leuten, die das gleiche Problem nicht haben.
SPIEGEL: Ihre Wunsch-Besetzung kann leicht an der Praxis scheitern. Beispiel Stammheim -- Gudrun Ensslin sträubte sich dagegen, eine bestimmte Umschlußpartnerin zu bekommen. Sie erhielt ihren Willen.
BAUMANN: Ich würde auch nicht darauf bestehen, Der würde ich vielleicht jede Woche eine andere Genossin anbieten. Ich wurde jedenfalls tun, was in meinen Kräften steht, zu einer einfach vernünftigen und nicht bürokratischen Lösung beizutragen. Im übrigen glaube ich, daß kein Inhaftierter Anspruch darauf hat, nur unter seinesgleichen zu sein. Dann soll er sich so verhalten, daß er nicht in die Anstalt kommt.
SPIEGEL: Dann ist das Prinzip Stammheim -- Normalisierung ja. doch nur unter Abschluß von den übrigen Häftlingen also falsch?
BAUMANN: Ich halte das für kein gutes Prinzip. Sie kriegen da einen Vollzug, den Psychiater nicht ohne Grund als persönlichkeitszerstörend oder selbstmordfördernd einstufen. Natürlich ist es am billigsten, wenn man diese vier oder sechs Leute, die von einer Couleur sind und die besonders ausbruchsverdächtig sind, unter High-Security-Bedingungen zusammenlegt. SPIEGEL: Aber doch auch effektiv? BAUMANN: Wir haben schließlich auch andere Ausbrecher. Die liegen auch in ausbruchsicheren Anstaltsteilen. Wir müssen also ohnehin einen gewissen Aufwand betreiben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Ich jedenfalls werde mich bemühen, solche Subkulturen, soweit sie nicht resozialisierungsförderlich sind, aufzubrechen.
SPIEGEL: Der Berliner Vollzug scheint schon feste dabeizusein. Nach dem Ausbruch der Mädchen setzt es überall kleinliche Vollzugsauflagen. Horst Mahler etwa klagt über Besuchsverbot selbst für Frau und Kinder. Sportverbot. Wegfall der Radios. des halbstündigen Freigangs oder gar des lange terminierten Zahnarztbesuchs.
BAUMANN: Ich werde altes tun, was in meinen Kräften steht, solche Dinge zu vermeiden. Nur sollten sich die Kritiker darüber klar sein, daß bei Aufhebung der einschränkenden Maßnahmen im Augenblick wohl besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müßten. Und Sicherheitsvorkehrungen erfordern Personal. und Personal erfordert Geld.
SPIEGEL: Gesetzt, Sie bekommen es -- wen wollen Sie einstellen, lauter Liberale?
BAUMANN: Die Alternativ-Professoren. darunter ich, glaubten anfangs. daß man mit dem alten Personal nur schwer arbeiten könne. Wir haben uns aber überzeugt, daß das nicht stimmt. Es ist ganz erstaunlich, wie sehr solche Leute für einen Resozialisierungsvollzug zu motivieren sind, wenn man klarmacht, welche Idee dahintersteht.
SPIEGEL: Wird es nicht gerade jetzt aussichtslos sein, öffentlich und intern für liberalen Strafvollzug zu werben? BAUMANN: Da muß man einfach einen langen Atem haben. Ich habe mir manchmal gedacht: Ach, wärst du doch beim Sachen- oder Hypothekenrecht geblieben, da redet dir keiner rein wenn du Reformen vorschlägst. Vom Strafrecht glaubt jeder etwas zu verstehen und vom Vollzug auch.
SPIEGEL: Immerhin fordern auch zahlreiche Juristen mehr Staat im Vollzug. Christdemokraten haben die Forderung nach drastisch verschärfter Überwachung der Kontakte von Anwalt und Mandant wiederaufgewärmt.
BAUMANN: Wir sollten uns nicht auf das Glatteis begeben, mit immer neuen Gesetzen zu reagieren. Damit würden wir zuviel Freiheitsrechte und Bürgerrechte aufs Spiel setzen wegen einer Erscheinung, die den Bestand der Bundesrepublik doch nun weiß Gott nicht bedroht. Ich bin dafür, das eine gegen das andere abzuwägen. Ich würde unter Umständen sogar eine schwächere Reaktion des Staates gegenüber der Anarcho-Szene in Kauf nehmen.