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BONN/WASHINGTON Nichts als Verachtung

In Bonn fragen sich besorgte Politiker, wie lange US-Präsident Carter die Belehrungen und rüden Umgangsformen Kanzler Schmidts noch hinnimmt.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Die Truppe meuterte gegen den Chef. In der Kabinettssitzung am Mittwoch vergangener Woche hielten die Minister Hans Apel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff dem Kanzler vor, wenn es nicht schon eine Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen gebe, so sei Helmut Schmidt dabei, sie endgültig herbeizureden -- mit seinen bitterbösen Bemerkungen über US-Präsident Jimmy Carter und dessen Mannschaft.

»Wir müssen«, warnte Genscher den Regierungschef, »mit Carter noch sieben Jahre auskommen« Apel sekundierte: »Einen Partner darf man so nicht anpacken:«

Wahr ist, daß Helmut Schmidt kaum je ein Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegenüber Carter gemacht hat. Dreimal in dreizehn Monaten traf er mit dem Präsidenten zusammen, auf dem Londoner Weltwirtschafts-Gipfel, in Washington und im ägyptischen Assuan (Schmidt: »Jetzt kommt der ja auch noch"), und jedesmal vermied er bewußt, die gutgemeinten Annäherungsversuche des Mannes aus Georgia ("Hi, Helmut") zu erwidern: »Ein »Jimmy kommt mir nicht über die Lippen. Allenfalls ließ sich der deutsche Kanzler zu abfälligen Sottisen über den großen Verbündeten herab: »Carter ist ein lernfähiges System.«

Für Diplomvolkswirt Schmidt lernt Carter freilich viel zu langsam und zu wenig. Vorbei sind die Zeiten, da der deutsche Regierungschef einfach im Weißen Haus, bei Gerald Ford, anklingelte, um ihm einen Rat zu geben, bisweilen sogar selbst einen Tip zu erbitten. Zur Zeitgeschichte verblaßt, wie oft der Außenminister Henry Kissinger auf deutschem Boden niederging, wo ihn Amtskollege Genscher mit einem politischen Problem empfing -- oder auch schon mal mit einem von Mutter Genscher gestrickten Pullover, damit »Freund Henry« sich nicht erkälte.

Den Nachfolgern Carter und Cyrus Vance wird derlei Fürsorge nicht zuteil. Der Kontakt über den Atlantik ist unterkühlt, und Schmidt tut nichts, den Frost abzutauen. Langwierige Briefwechsel haben das schnelle Telephongespräch ersetzt; immer häufiger wird die jeweilige Meinung. gleichsam ex cathedra als unabänderliche, nicht kompromißfähige Lernweisheit verkündet.

So steht für die Amerikaner fest, (laß die Bonner ihre Aufgabe verfehlt hätten, durch die Zugkraft eines starken Wirtschaftswachstums im eigenen Land die weltweite Flaute überwinden zu helfen.

Die Antwort gab Weltökonom Schmidt in gewohnter Dozentenmanier öffentlich. Wenn »einige Ausländer«, so der Kanzler in seiner letzten Regierungserklärung spitz, »die Bundesrepublik als Lokomotive ansehen möchten, welche alle anderen Staaten gefälligst aus der Weltrezession herausziehen soll«, so wäre damit die »deutsche Kraft überschätzt«.

Aber auch indirekte Methoden sind im deutsch-amerikanischen Schlagabtausch inzwischen gang und gäbe. Gestützt auf diskretes Wohlwollen Carters und seines Finanzministers Michael Blumenthal, erregt sich seit Wochen die »New York Times«, die Deutschen drehten mit ihrer Inflationshysterie und ihrem Stabilitätsfimmel der Weltkonjunktur den Dampf ab.

Ausgerechnet einen Tag bevor der Bonner Wirtschaftsminister Lambsdorff mit den Carter-Leuten in Washington die Differenzen bereden wollte, schlug Schmidt zurück -- mit einer exakten Übernahme der amerikanischen Angewohnheit, Mißfallen in Zeitungskommentaren statt in diplomatischen Noten zu übermitteln.

Der Kanzler soufflierte der »Frankfurter Allgemeinen« einen Vierspalter, um Washington nun seinerseits mitzuteilen, wie »befremdet« verstört, verärgert, verständnislos« er der US-Wirtschaftspolitik gegenüberstehe. Das Ganze wirke auf ihn, so der Deutsche via »FAZ«-Kommentar. wie eine »Kampagne. grobe Verzerrung, Fehleinschätzung. sture Beharrlichkeit« oder -- echt Schmidt -- »völliger Unsinn«.

Mit den emotionalen Kraftsprüchen ließ es der Weltwirtschaftslenker nicht bewenden. Statt den Konflikt zu entschärfen, machten Kanzlerhelfer wiederholt kleinkarierte Rechnungen auf, um zu belegen, wie absurd und dumm doch die gesamte Konjunktur-Strategie Washingtons sei.

Das Zahlenspiel der Bonner Besserwisser: Die Westdeutschen gäben jede dritte Mark für Importe aus, die USA nur jeden zehnten Dollar; die eigenen Einfuhren hätten fast den gleichen Wert wie die der USA, deren Wirtschaftskraft, gemessen am Sozialprodukt, aber zweieinhalb mal so groß sei; und das letzte Bonner Ankurbelungsprogramm sei, verglichen mit dem Etat der USA, dreimal soviel wert wie Carters jüngstes Konjunkturpaket.

So schief solche Rechnungen auch sein mögen, sie sind längst Methode: Am Montag vergangener Woche, beim Blitzbesuch Blumenthals in Bonn, hielt Schmidt dem Carter-Emissär einen ganzen Sündenkatalog vor. Die Amerikaner hätten nicht den geringsten Grund, ständig an den Deutschen herumzunörgeln; gerade sie seien schuld an der internationalen Konjunkturschwäche, weil sie nichts gegen Dollar-Zerfall und die tiefroten Zahlen in der US-Außenhandelsbilanz täten.

Ein Bonner Teilnehmer an den Gesprächen mit Blumenthal: »Der Kanzler ging unheimlich hart ran.« Geradezu böse empfand es ein Amerikaner: »Nichts als Verachtung« habe Schmidt den Gast spüren lassen.

Überdies gehen die moralpolitischen Umtriebe des US-Präsidenten dem deutschen Pragmatiker schon lange auf den Nerv. Schriftlich beschwerte er sich über Carters globale, vor allem aber an die Adresse des Ostblocks gerichtete Menschenrechts-Kampagne. Energisch wandte er sich gegen den Mann im Weißen Haus, als der aus Sorge um die Gefahren einer weltweiten Plutonium-Wirtschaft den deutschbrasilianischen Atomkontrakt verhindern wollte.

Und in seinem vorgefaßten Urteil, die Carter-Administration agiere mit einer Mischung aus Naivität und Dreistigkeit, sieht sieh der Kanzler bestätigt, wenn die Amerikaner einen CIA-Mann, der ihnen in der Sowjet-Union verlorenging, gegen Kanzlerspion Günter Guillaume austauschen wollen, ohne vorher die Bonner überhaupt zu fragen.

Was immer Carter auch anpackt, Schmidt hält erst einmal dagegen. Die Folge: Statt miteinander reden Bonn und Washington im wesentlichen nur noch übereinander. Der beiderseitige Vertrauensvorschuß von einst schmilzt dahin.

Aus seiner Überzeugung, der inflationäre Wirtschaftskurs der USA sei nachweislich unsinnig und gefährlich, zieht Kanzler Schmidt den Schluß, die gesamte Außenpolitik des unerfahrenen Carter sei von ähnlicher Güte. Im Kabinett, immerhin, fand er sich zu einem Minimalzugeständnis bereit: Wenn die USA aufhörten, die Bonner in der Konjunkturpolitik zu bedrängen, werde er weiteres Mäkeln lassen.

Noch scheinen die Amerikaner einigermaßen konsterniert über die Entwicklung, noch fragen sie sich erschrocken, was sie wohl falsch gemacht hätten: »Warum«, wollte Außenminister Cyrus Vance in Washington von Otto Graf Lambsdorff wissen, »stehen wir in Deutschland eigentlich in so schlechtem Ansehen?«

Eine erste Erklärung hat nach seinem Zusammenprall mit dem Kanzler inzwischen Michael Blumenthal übermitteln können. Die Antwort Washingtons auf die Schmidt-Schelte steht noch aus. Und »wenn Carter auf die Tube drückt«, so ein deutscher Chef-Diplomat, »dann gnade uns Gott«.

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