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ENGLAND Nichts für Gentlemen

Amerikaner würden »für Dollars alles tun«, schmähte schon Charles Dickens. Ähnlich Negatives denken die Briten über die Amerikaner heute wieder. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Die Eiserne Lady war eine perfekte Gastgeberin. »Wie wunderbar, Sie hier zu haben«, schmeichelte Margaret Thatcher ihren Besuchern.

Mit Lachs- und Eibrötchen bewirtete die britische Regierungschefin 32 Touristen aus Amerika - doppelt glückliche unter 5800 US-Bürgern, denn sie hatten bei einem PR-Wettbewerb neben einem Freiflug nach London noch eine Einladung in die Downing Street Nummer zehn gewonnen.

In Frau Thatchers Amtssitz versprachen die Yankees, Zeugnis abzulegen für das Land der Gastgeberin. Die Sympathie-Werbung ist auch dringend nötig. Weil 1,8 Millionen Amerikaner aus Angst vor Terroranschlägen in diesem Jahr ihre Englandreise absagten, rechnet die britische Tourismusindustrie mit einem Einnahmeverlust von fast zwei Milliarden Pfund.

»Ich werde allen Sagen, kommt nach Britannien, hier ist alles in Ordnung«, gelobte Mary Gillespie aus Boston. Von der Premierministerin war sie hingerissen: »Frau Thatcher hat uns sogar den Tee eingeschenkt.«

Die Zahl der Thatcher-Fans mag in den USA wachsen. Im Vereinigten Königreich nimmt sie ab - auch wegen Margaret Thatchers Begeisterung für Amerika. Denn die Regierungschefin, so die Londoner Korrespondentin der »Washington Post«, befindet sich »nicht im Gleichschritt mit der anti-amerikanischen Stimmung« in Großbritannien.

Auf der Insel, auf der man sonst immer auf ein privilegiertes Verhältnis zu Amerika bedacht ist, hält nunmehr ein wachsender Teil der Bevölkerung die Supermacht USA für eine größere Bedrohung des Weltfriedens als die Supermacht UdSSR. Das Londoner Magazin »Time Out« überschrieb einen Bericht über die US-Stützpunkte in England mit der Zeile »Besetztes Britannien«.

Die Kluft zwischen Margaret Thatchers Amerika-Begeisterung und dem kritischen Volksempfinden gegenüber Amerika wird auch durch Umfragen belegt: Während Frau Thatcher Amerikas Dynamik preist, lehnen 67 Prozent der Briten den American Way of Life ab; nur 22 Prozent finden ihn vorbildlich.

Da Frau Thatcher sich mehr Einfluß von US-Firmen auf Großbritanniens Industrie wünscht, glauben 56 Prozent der Bevölkerung, daß Englands Wirtschaft schon jetzt auf gefährliche Weise von den USA beherrscht werde.

Und während die Regierungschefin Ronald Reagan als Britanniens besten Freund rühmt, meinen 59 Prozent ihres Volkes, der US-Präsident mißachte Londons Interessen. Reagans Angriff auf Libyen - mit Bombern, die von englischem Boden aus starteten - verurteilten gut zwei Drittel aller Briten.

Der Anti-Amerikanismus, so meinen englische Politologen, manifestiere sich in Großbritannien klarer als anderswo in Europa - zumal er von der Premierministerin ständig genährt werde.

Margaret Thatcher, so stellte die »Washington Post« besorgt fest, »zahlt einen Preis für ihre Lobpreisung der USA«. Weniger als zwei Jahre vor der nächsten Unterhauswahl führt die Labour-Opposition bei allen Umfragen mit beträchtlichem Vorsprung - nicht zuletzt, weil sich die Partei in ihrer Einstellung gegenüber den USA bewußt von der Premierministerin absetzt. Im Fall _(Mit dem »Diplom« eines englischen Hotels ) _(zum Dank für den Besuch. )

eines Wahlsieges will Labour über den Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen aus Großbritannien und die Schließung von US-Stützpunkten verhandeln.

Die Konservativen haben den patriotischen Rückhalt verloren, mit dem sie 1983 - im nationalistischen Taumel nach dem Falklandsieg - ihre Wiederwahl überlegen gewinnen konnten. Heute zeichnen Karikaturisten Britanniens Eiserne Lady als Schoßhündchen der Amerikaner. Britische Zeitungen registrierten einen Tiefpunkt in den anglo-amerikanischen Beziehungen - jener »special relationship«, die freilich immer schon ambivalent war.

So schrieb der Schriftsteller Samuel Johnson 1778: »Ich bin bereit, die ganze Menschheit zu lieben, ausgenommen einen Amerikaner.« Das war zwei Jahre, nachdem sich die Vettern in der Neuen Welt von der britischen Krone losgesagt hatten, und spiegelte wohl den Ärger des Mutterlandes über die abtrünnigen Auswanderer wider.

Die Amerikaner würden »für Dollars alles tun«, notierte im Viktorianischen Zeitalter Charles Dickens. Der Leitartikler der »Times schrieb 1890: »Vielleicht würde ein amerikanisiertes England einen höheren Durchschnitt an Glück produzieren als das existierende System, aber es wäre kein Land für einen Gentleman.«

Die englischen Gentlemen verloren nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Empire - nicht aber ihren Hochmut gegenüber den Aufsteigern auf der anderen Seite des Atlantik.

Heute haben die Briten von den Amerikanern »die Schnellimbiß-Ketten und pornographischen Videos übernommen, ohne sich sehr vom (amerikanischen) Arbeitseifer anstecken zu lassen«, merkte der Kolumnist Alan Watkins

selbstkritisch an. Nach der US-Invasion auf Grenada 1983, der winzigen Karibikinsel, die immer noch zum Commonwealth gehört, fragte der »Economist«; »Kann man den Vereinigten Staaten trauen?« Der Kolumnist Brian Walden geißelte Amerikas »Hintertreppen-Prediger-Moral, die dumme Gefühllosigkeit gegenüber europäischen Sorgen, den primitiven Machiavellismus zu Nachlaßpreisen«.

Weil nach der Bombardierung libyscher Städte und nach Reagans Absage an den Salt-2-Vertrag offenbar immer mehr Briten so denken, kreiden Bürger aus allen politischen Gruppierungen ihrer Premierministerin an daß sie, anders als europäische Partnerländer, Reagan meist widerspruchslos als erste folgt - ob beim Austritt aus der Unesco, ob bei SDI oder bei der diplomatischen Unterstützung für den US-Schlag gegen Libyens Gaddafi.

»Die Bomber, die von Britannien aus nach Tripolis flogen«, so die »Times«, »könnten die Konservativen die nächsten Parlamentswahlen kosten.«

Zum Klischee des häßlichen Amerikaners kommt nun auch noch der Spott über den »chicken american« hinzu, die Verachtung für den feigen Amerikaner, der wie ein Hühnchen vor eingebildeten Terroristengefahren Reißaus nimmt.

So tief sitzt inzwischen die Erbitterung, über die Amerikaner, daß die Briten, sofern sie nicht gerade Hoteliers und Restaurantbesitzer sind, eher erleichtert scheinen über das Ausbleiben der US-Touristen.

Allerdings - zur königlichen Hochzeit von Prinz Andrew und Sarah Ferguson am 23. Juli wird eine US-Invasion erwartet, angeführt von Nancy Reagan, die von Prinz Andrew eine handgeschriebene Einladung hat.

Das bunte Zeremoniell in der Westminster Abbey, so glauben viele Engländer, werde die Vorstellung der Amerikaner bestärken, daß die Insel eigentlich nur ein großes Museum sei.

»Das ist das Land des warmen Biers, der langsamen Rolltreppen und der fettigen Pommes frites«, äfft der »Daily Mirror« oft gehörte amerikanische Beschwerden nach, »es ist ein Ort, der nicht an Duschen, Klimaanlagen und Eisstücke im Drink glaubt.«

Die Yankees, so das Massenblatt, sollten »in ihrem eigenen Interesse lieber zu Hause bleiben« und den Briten »die Peinlichkeit ersparen, ihnen erklären zu müssen, wie sie es um Himmels willen geschafft haben, so lange Zeit in einem so lausigen Land zu überleben«.

Mit dem »Diplom« eines englischen Hotels zum Dank für den Besuch.

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