UNO Nichts gegen Fidschi
Der französische Uno-Oberst Jean Salvan vergatterte in der Ghassan-Borro-Kaserne von Tyrus Vertreter der Palästinenser und libanesischer Linksmilizen: Unter keinen Umständen dürften in das von Israel geräumte Gebiet im Südlibanon »bewaffnete Elemente« zurückkehren.
Die waren schon da. Während Salvan mit seinen Gästen verhandelte, beschossen Freischärler fünf Kilometer von Tyrus entfernt mit Mörsern, Raketen und Maschinengewehren Uno-Fahrzeuge.
Salvan unterbrach die Sitzung und wollte mit einem Jeep zum Kampfplatz rasen. Doch schon wenige hundert Meter hinter dem Kasernentor streckten ihn MG-Salven nieder. Später hagelte es Geschosse auf die Kaserne. »Nie zuvor«, so Salvans Presseoffizier, Hauptmann Menegaux, habe er »so ein Durcheinander« erlebt: »Jeder schoß auf jeden.«
Am Ende des Durcheinanders am vorletzten Dienstag waren sechs Uno-Soldaten tot, zwölf schwer verletzt. Salvan, 46, der im Algerienkrieg das rechte Auge verloren hatte, wurde mit Schußwunden in Becken und Beinen im Hubschrauber nach Beirut geflogen. Von dort beschwor cr seine Fallschirmjäger per Funk: »Niemand soll für mich Rache nehmen. Im Libanon gibt es schon genug Not.«
Die Uno-Truppen sind tief in die Misere verstrickt. Spätestens seit den Schießereien von Tyrus wurde klar, daß die Weltorganisation im Libanon in einen Krieg ohne sichtbare Fronten geraten ist. Ihr Einsatz erscheint Londons »Guardian« als »klassischer Fall dafür, wie die internationale Gemeinschaft ein Problem lösen will, ohne die politischen Voraussetzungen und die physische Macht dafür geschaffen zu haben«.
Denn im Libanon rückten die Uno-Soldaten nicht zwischen disziplinierte Armeen, die selbst an Ruhe und Ordnung interessiert sind, wie etwa auf dem Sinai oder am Golan. Am Litani-Fluß zogen sie zwischen Partisanenverbände von Palästinensern und libanesischen Linksmilizen, rechte Freischärlertrupps, Versprengte der Libanon-Armee, 30 000 arabische Soldaten aus Syrien, Saudi-Arabien und dem Sudan und die immer noch Tausende Mann starke israelische Invasionsarmee -- die derzeit bunteste Ansammlung von Bewaffneten auf der Welt.
Zumindest die Palästinenser und die libanesischen Linksmilizen betrachten die Uno-Blauhelme als ihre Feinde, weil die alle von Israel geräumten Gebiete den libanesischen Behörden übergeben sollen, Gebiete, die bis zur Israel-Invasion im März Palästinenser und Linke beherrscht hatten.
Zwar weigerte sich Jassir Arafat als Chef des Palästinenser-Dachverbandes PLO, seine Fedajin zum offenen Krieg gegen die Uno aufzurufen. Denn die Weltorganisation hatte ihm mit seinem Auftritt vor der Vollversammlung 1974 den größten politischen Erfolg beschert. Aber sogar in seiner eigenen Organisation, der Fatah, predigten Führer wie Abu Daud den Kreuzzug gegen die Blauhelme, und extrem linke Gruppen schießen auf die Uno-Soldaten genauso wie auf Israelis.
Die Uno-Truppen wissen nie, woran sie sind: Sogar in Algerien, erinnert sich Salvan, »hatten die Guerillas ein zentrales Kommando«. Im Libanon aber gebe es wie in Feudalzeiten zahlreiche Trupps, die nur ihrem Anführer folgen.
Vor ihrem Libanon-Abenteuer waren Uno-Soldaten und -Beobachter in den vergangenen 30 Jahren in annähernd zwanzig Aktionen in Ländern von Korea bis zum Kongo eingesetzt, versuchten sie, von Zypern bis Neuguinea Streitigkeiten zu schlichten (siehe Graphik). Mit insgesamt 38 000 Mann schickte Schweden von allen Nationen das größte Kontingent zu den Brennpunkten. Dabei starben 40 Schweden -weit mehr bei Unfällen als bei Kampfhandlungen.
Aufgrund der Uno-Resolution 425 flogen seit der israelischen Invasion zunächst knapp 4000 Blauhelme in den Libanon -- Franzosen (1200), Nepalesen (700), Norweger (700), Senegalesen (600), Schweden (300) und Perser (200). Nach den Zwischenfällen von Tyrus sollen weitere 2000 Uno-Soldaten zum Litani. Der zunächst auf sechs Monate festgelegte Einsatz wird die Weltorganisation 75 Millionen Dollar kosten.
Die Uno-Soldaten können Berufssoldaten sein, wie die Franzosen, die vom Übersee-erfahrenen 3. Fallschirmjäger-Regiment abkommandiert wurden, oder Freiwillige, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben, wie die Skandinavier.
Die Blauhelme bekommen für ihren Libanon-Einsatz bei freier Verpflegung und Unterkunft von ihren Regierungen zwischen 1200 Dollar (Schweden) und 200 Dollar (Senegalesen) monatlich und genießen die sonstigen kleinen Vergünstigungen von Bediensteten internationaler Organisationen: Sie erhalten Zigaretten und Kameras mindestens 30 Prozent unter dem Marktwert und können, wenn sie der Uno ein Jahr lang gedient haben, wie Diplomaten ein Auto steuer- und zollfrei kaufen. Die Franzosen bekommen ihre tägliche Weinration. Die Nepalesen schlachten jeden Tag 200 Hühner und 20 Hammel. Und oft machen Uno-Soldaten Schmuggelgeschäfte, denn sie können Grenzen unkontrolliert überqueren. Sie handeln mit Zigaretten, Devisen und manchmal auch Gold. Ein Perser hatte beim Grenzübergang von Israel in den Libanon 200 kleine Puppen bei sich -- Grundstock möglicherweise für eine zivile Geschäftskarriere.
So war es denn niemals schwer, Landser für die Uno zu finden. Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen halten Sondereinheiten von Freiwilligen abrufbereit, die nach Anfragen aus New York eingesetzt werden. Nur Spezialisten müssen sich manchmal innerhalb von Stunden entscheiden: Der Norweger Terje Froystcin, 30, der gerade sein Veterinärstudium abgeschlossen hatte und seine Wehrpflicht ableistete, folgte spontan einem Ruf in den Libanon, als per Rundruf ein Betreuer von Wach- und Minenhunden gesucht wurde.
Daß dort ein heißerer Einsatz wartete als anderswo, erkannten zunächst nur wenige. Österreichs Kanzler Kreisky weigerte sich, Soldaten abzustellen, und verärgerte damit seinen Landsmann Kurt Waldheim, den Uno-Generalsekretär. In Stockholm warnte Arthur Kaijser, 60, ehemaliger Chefarzt der schwedischen Uno-Truppen im Sinai: »Beklemmend, daß schlecht ausgerüstete und schlecht ausgebildete Männer in diesen komplizierten und gehässigen Krieg geschickt werden.«
Der Krieg forderte bald das erste Opfer: Karl-Oskar Johannson aus Schweden wurde wenige Tage nach seinem Eintreffen im Libanon von einer Panzermine zerrissen. Palästinenser beschossen Norweger und Schweden. Christen-Milizen hielten persische Uno-Truppen auf und bedrohten die leicht bewaffneten Blauhelme mit Panzern.
Im traditionell Uno-freundlichen Skandinavien änderten viele ihre Meinung: »Wie lange noch?«, fragten schwedische Libanon-Freiwillige im Stockholmer »Aftonbladet«. Levi Andersen aus Sarpsborg, der Vater eines norwegischen Uno-Soldaten, protestierte dagegen, daß Norweger im Libanon als »Schlachtvieh« verheizt würden.
Die Friedenssoldaten stießen auf ungewohnte Feindseligkeit. Pro-israelische Libanon-Christen schrieben an ihre Häuser »Norweger raus«. Israelische Zeitungen schimpften die skandinavischen Uno-Soldaten »Feiglinge« und verhehlten nicht, wie wenig sie von deren Kollegen aus der Dritten Welt hielten. Die Israelis trauten nur den kampferfahrenen Franzosen in Tyrus zu. daß sie sich gegenüber den Palästinensern durchsetzen könnten.
Die französischen Fallschirmjäger begannen ihren Job denn auch vielversprechend. Sie vertrieben Palästinenser und Linksmilizen mit Überredungskunst und Drohungen aus der Ghassan-Boi-ro-Kaserne. »Der mit dem Glasauge, mit dem ist nicht zu spaßen«, hieß es bald über Oberst Salvan. Sein Hauptmann Menegaux gab sich stark: »Wir halten nichts von Warnschüssen in die Luft.«
Die Fallschirmjäger verwandelten die im Bürgerkrieg von Palästinensern und Linken ausgerufene »Volksrepublik von Tyrus« in »Frankreichs sechste Republik«, wie einige darüber keineswegs unzufriedene Stadtbewohner bemerkten.
Aber der Palästinenser-Ultra Abu Nidal beschuldigte die Franzosen, im Auftrag des amerikanischen Weltfeindes den palästinensischen Widerstand im Libanon liquidieren zu wollen. Abu Niasi vom linksextremen Ali-el-Chatib-Kommando drohte den Fallschirmjägern: »Die werden ihr Dien Bien Phu erleben.«
Vorletzten Dienstag. nachdem Salvans Männer nach Süden strömende Partisanen aufgehalten und zwei Fedajin erschossen hatten, griffen die Linken an. Überall in und um Tyrus gerieten die Franzosen unter Feuer. Ein Sprecher der Volksfront von Georges Habasch: Den französischen Neokolonialisten habe man »eine gute Lektion erteilt«.
Das Uno-Oberkommando unter dem Generalmajor Erskine aus Ghana befahl den Franzosen nach den Zwischenfällen von Tyrus, vorübergehend die Patrouillen einzustellen. Nun konnten die Fedajin völlig ungehindert zurück in den Süden.
Zur Verstärkung der angeschlagenen Uno-Truppe sollen Fidschi-Insulaner in den Libanon geflogen werden -- 600 Soldaten der 770-Mann-Armee von der Pazifik-Inselgruppe. Der stellvertretende Fidschi-Premier Ratu Sir Penaia Ganilau auf die Frage, ob er sich um seine Soldaten sorge: »Was sollen wir denn schon zu befürchten haben. Es gibt kein einziges Land, das etwas gegen Fidschi hätte.«