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»NICHTS, IM WORTSINN NICHTS ZU TUN«

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 33/1966

Was in der sogenannten SPIEGEL-Affäre unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu klären lohnend war, ist rechtskräftig entschieden, respektive nicht entschieden. Durch die dreitägige Beweisaufnahme vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist aber etwas anderes möglich geworden: Der Mit- und Nachwelt kann dargestellt werden, wie es zum größten Justizskandal in der rechtsstaatlichen Geschichte Deutschlands kommen konnte, unter Beteiligung der Bundesregierung und der höchstrichterlichen Instanzen. Genauer gesagt: Die Einwirkung der Bundesregierung auf die - formal weisungsgebundene - Bundesanwaltschaft und auf die - nicht weisungsgebundenen - Richter des Bundesgerichtshofs kann auf Grund der stenographischen Sitzungsprotokolle der beiden Stenographen Heinz Daenicke und Walter Steinbrecher dargestellt werden.

Folgt man der offiziellen Lesart, die bis heute von der Bundesregierung nicht aufgegeben worden ist, so hat sich die Angelegenheit streng im justizeigenen Raum abgespielt. Die Bundesanwaltschaft schöpfte aufgrund des Artikels »Bedingt abwehrbereit« einen noch unbestimmten Verdacht, ließ sich den Verdacht von einem unabhängigen Gutachter aus dem Verteidigungsministerium hinlänglich erhärten, beantragte aus eigenem Entschluß Haft- und Durchsuchungsbefehle, um das Unrechtsbewußtsein der etwa an dem Artikel Beteiligten festzustellen.

Unabhängige Ermittlungsrichter - in der Praxis: ein Oberlandesgerichtsrat - verfügten Haft und Durchsuchung, und weil das gesuchte Material nicht in ausreichendem Umfang und nicht rechtzeitig genug gefunden wurde, zog sich die Durchsuchung über vier Wochen, zogen sich die Haftzeiten über drei Monate hin. Sollten sich der Gutachter, die Bundesanwälte, die Ermittlungsrichter und - anfänglich - der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofes geirrt haben, so wäre das zwar bedauerlich, aber irren ist menschlich.

So, wie die Bundesregierung heute noch meint, hätte es gewesen sein können. Aber so war es nicht. Der SPIEGEL ist wohl am wenigsten legitimiert, zu untersuchen, ob die Justiz ihrerseits im Rahmen der Grundrechte legitimiert war, gegen den SPIEGEL vorzugehen. Aber er kann, in diesem speziellen Fall kenntnisreicher als jeder andere, darstellen, was gewesen ist.

Folgende Fragen sind bisher ohne Antwort geblieben:

- Wie kam es zum Ermittlungsverfahren?

- Wie konnte das Verfahren zu einer Aktion entarten; die in der Bundesrepublik, im Staat von Weimar und im Kaiserreich keine Präzedens hat?

- Welche Rolle spielte das Gutachten

des Gutachters?

- Warum beschränkte sich der Tatverdacht nicht auf den Autor und den verantwortlichen Redakteur?

- Wieso deckte der Durchsuchungsbefehl die vierwöchige Besetzung einer Redaktion?

- Woran lag es, daß die rechtsstaatlichen Sicherungen beim ersten Stromstoß durchbrannten?

Daß die Bundesanwaltschaft anläßlich des Artikels »Bedingt abwehrbereit« zu einem Ermittlungsverfahren gegen den SPIEGEL berechtigt war, ist nie bestritten worden. Über die Einleitung des Verfahrens sagte der zuständige Referatsleiter, Bundesanwalt Albin Kuhn, vor dem Bundesverfassungsgericht aus:

Ich war in der Zeit vom 8. bis 18. Oktober 1962 Sitzungsvertreter in der Mordsache Staschynski*. In einer Sitzungspause wurde ich von einem Mitarbeiter darauf angesprochen, daß im SPIEGEL ein fundierter militärischer Artikel erschienen sei, der viele Einzelheiten enthalte.

Das muß am 8. oder 9. Oktober gewesen sein. Es war eine sogenannte Sitzungspause auf dem Gang. Ich habe gesagt, ich werde mich um die Sache kümmern. Ich habe mir den SPIEGEL-Artikel in den Sitzungssaal bringen lassen, habe ihn kurz überflogen, und mein Eindruck war, daß der SPIEGEL für diesen Artikel zahlreiche Informationsgespräche geführt haben muß.

Ich war weiter der Meinung, daß in dem Artikel zahlreiche militärische Details angesprochen sind. Ob diese Details geheimhaltungsbedürftig waren, das konnte ich nicht beurteilen, weil mir die amtliche Wirklichkeit, die amtlichen Planungen und Verteidigungsmaßnahmen der Bundeswehr und der Nato nicht bekannt waren.

Ich dachte aber, daß die Dinge an sich, die hier erörtert werden, durchaus geheimhaltungsbedürftig sein können. Ich hielt es deshalb für zweckmäßig, insoweit eine Überprüfung des Artikels zu veranlassen, und habe vom Sitzungssaal aus oder in einer Pause dann einen Kollegen gebeten, er möchte sich mit Bonn in Verbindung setzen, damit wir Auskunft bekommen.

Am nächsten oder übernächsten Tag habe ich dann in der Mittagspause kurz mit dem Gutachter Dr. Wunder gesprochen und habe ihm gesagt, er möchte uns, falls er zu dem Ergebnis kommt, daß tatsächlich geheime Dinge in dem Artikel enthalten sind, ein schriftliches Gutachten machen.

Am Samstag, 13. Oktober, hat mich vormittags kurz Dr. Wunder in meiner Wohnung aufgesucht, und er hat mir erzählt, daß nach dem Ergebnis seiner bisherigen Prüfung in dem Artikel doch zahlreiche geheime und wichtige Dinge enthalten seien. Er hat mich dann gefragt, ob es genüge, wenn er ein paar wichtige Punkte herausgreife.

Dies habe ich verneint. Ich habe gesagt, ich möchte ein möglichst erschöpfendes Gutachten haben; denn man könne ein geräuschvolles Verfahren - daran habe ich nicht gezweifelt - gegen Journalisten nur durchführen, wenn man eine sichere Grundlage, habe Dr. Wunder hat mir gesagt, dadurch würde sich die Sache beträchtlich verzögern. Ich

habe gesagt, das sei mir egal, das wolle ich in Kauf nehmen, weil sich die Sitzung Staschynski doch noch bis Mitte der kommenden Woche hinziehen würde, vorher hätte ich keine Zeit.

Wer das Verfahren angestoßen hat, wäre kaum bezweifelt worden, wenn die Bundesanwaltschaft selbst nicht mehrmals behauptet hätte, ihr sei wegen des Artikels »Bedingt abwehrbereit« der Verdacht des Landesverrats »unterbreitet worden«. Kuhn vor Gericht hingegen äußerte sich so, als habe der Verdacht im Schoße der Bundesanwaltschaft zu keimen begonnen.

Daß im SPIEGEL landesverräterische Aufsätze erschienen, hatte freilich vor Erscheinen des Artikels »Bedingt abwehrbereit« der Brigadegeneral der Reserve und Professor des Völkerrechts. Friedrich August Freiherr von der Heydte, der Bundesanwaltschaft angezeigt. Nie ist behauptet worden, der damalige Bundesminister der Verteidigung, Strauß, oder sein Stellvertreter, Staatssekretär Hopf, habe das Verfahren initiiert. Strittig war, ob das Verteidigungsministerium die Bundesanwaltschaft zur Verschärfung ihrer Maßnahmen bestimmt hat.

Bis zum Zeitpunkt des SPIEGEL-Verfahrens hatte die Bundesanwaltschaft nur verschwindend wenige Verfahren wegen publizistischen Landesverrats eingeleitet. In keinem Fall beantragte sie Eröffnung des Hauptverfahrens. Einmal hatte »Quick« einen Befehlsbunker gezeigt, einmal der SPIEGEL - in einem Bericht über eine Prügelei zwischen Verfassungsschützern zwei Beamte und deren Funktionen namhaft gemacht. Dazu sagte Bundesanwalt Kuhn:

Wir haben bei der Bundesanwaltschaft auch einige Erfahrungen, und alle Pressestrafsachen, die wir vor diesem Verfahren hatten, die sind recht monoton verlauten, möchte ich sagen. Es handelte sich meist um die Veröffentlichung geheimhaltungsbedürftiger Punkte, beispielsweise die Rolle eines

operativen Mitarbeiters des Bundesnachrichtendienstes oder des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Da konnte man von vornherein zur subjektiven Seite nur wenig voraussetzen; denn nicht jeder Journalist weiß, was ein operativer Mitarbeiter ist und was das für Folgen hat, wenn man Namen bekanntgibt. Das ist eine sehr fragwürdige Geschichte.

Außerdem handelt es sich dabei meist um Staatsgeheimnisse, die auf der unteren Skala sich vornehmlich bewegen. Und weiter ist in diesen Fällen auch kaum damit zu rechnen, daß man große Aufzeichnungen findet, denn ein solches kleines Staatsgeheimnis kann sich jeder Redakteur merken.

Hier mußten nach Lage der Sache Aufzeichnungen vorhanden sein; denn das, was für die Fertigstellung dieses Artikels notwendig war, das konnte sich auch ein in militärischen Dingen erfahrener Redakteur nicht ohne weiteres merken.

Hier bestand gewisse Aussicht, tatsächlich Unterlagen dieser Art zu finden. Außerdem war ich der Meinung, daß die Bedeutung dieses Falles auch eine nachhaltigere Aufklärung verlangt hat, im Gegensatz zu früheren Fällen, die wir zu bearbeiten hatten.

Wir sind deshalb übereinstimmend der Auffassung gewesen, daß hier ein einheitlicher und umfassenderer Zugriff notwendig ist, und zwar möglichst gleichzeitig mit gleichzeitiger Vernehmung aller Beschuldigten, möglichst aller Zeugen, gleichzeitiger Durchsuchung der SPIEGEL-Raume in Hamburg und Bonn, bei gleichzeitiger Verhaftung von Rudolf Augstein und Ahlers und gleichzeitiger Durchsuchung der Wohnungen.

Davon haben wir uns eine schnelle und erfolgreiche Aufklärung versprochen. Wie kamen die Bundesanwälte übereinstimmend zu der Auffassung, die Bedeutung des Falles verlange eine nachhaltige Aufklärung, einen einheitlich umfassenden Zugriff, mit Verhaftung nicht nur des Autors, sondern auch des Herausgebers, mit Durchsuchung nicht nur der Geschäftsräume in Bonn und Hamburg, sondern auch der Privatwohnungen von Ahlers, Augstein, Jacobi und Engel. Der Bundesanwalt Kuhn sagte dazu eher zurückhaltend aus und hielt sich im Rahmen dessen, was die Bundesregierung bisher hatte verlauten lassen.

Aber sein damaliger Vorgesetzter, der heute 65 Jahre alte Bundesanwalt Dr. Walter Wagner, erinnerte sich ungleich vollständiger:

Am 20. Oktober 1962 kamen zu mir, das war ein Sonnabend, der Kollege Dr. Kuhn und Herr Dr. Wunder. Ich darf bemerken, daß in der Zeit vom 19. bis 23. Oktober der damals amtierende Generalbundesanwalt Dr. Westram abwesend war und daß er mir für diese Zeit die Vertretung in erstinstanzlichen Sachen übertragen hatte.

Die Herren nahmen mich in dieser Funktion als Vertreter des Generalbundesanwalt in Anspruch und erzählten mir, was mir bis dahin nicht bekannt war, daß seit einigen Tagen Ermittlungen wegen eines Artikels, der in der Ausgabe vom 10. Oktober des SPIEGEL gestanden hat, schwebten, ein Artikel, der sich mit dem Generalinspekteur Foertsch beschäftigte, daneben aber auch mit der Frage, inwieweit die Bundeswehr abwehrbereit sei.

Man habe aufgrund von Ermittlungen ein Gutachten angefordert vom Bundesverteidigungsministerium. Dieses Gutachten habe Dr. Wunder erstattet, der mitgekommen war, und beide Herren legten mir sowohl den SPIEGEL als auch das Gutachten vor.

Dr. Wunder bemerkte, daß er das Gutachten gemeinsam mit Oberst von Hopffgarten gefertigt habe, und, wenn ich mich nicht irre, auch noch Befragung der in Betracht kommenden Fachreferate. Ich hatte Gelegenheit, den SPIEGEL-Artikel zu studieren und mich dann mit dem Gutachten vertraut zu machen.

Ich war gerade fertig mit dieser Lektüre, als Staatssekretär Hopf erschien, den Herr Wunder bei der Begrüßung angekündigt hatte. Hopf bemerkte, daß er auf der Durchreise in Karlsruhe sei, er hatte seine Gattin bei sich, die irgendwo auf ihn wartete.

Die Rechtspflege obliegt in zivilisierten Demokratien nicht dem Verteidigungsministerium. Das Institut der Justizminister ist älter als das der Kriegs- und Verteidigungsminister. Was wollte also der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung bei Bundesanwalt Dr. Wagner? Über den Zweck der Reise hatte es bis zu Wagners Aussage nur folgende Lesart gegeben, und zwar aus dem SPIEGEL -Bericht der Bundesregierung:

Die am 20. Oktober 1962 in Karlsruhe folgende Besprechung zwischen Staatssekretär Hopf und Vertretern der Bundesanwaltschaft ... diente der Erörterung, in welchem Umfange und in welcher Weise das Bundesverteidigungsministerium und seine Dienststellen zur Aufklärung undichter Stellen« im Bereich der Bundeswehr beitragen könnten Staatssekretär Hopf und Bundesanwalt Dr. Kuhn brachten übereinstimmend ihre Sorge darüber zum Ausdruck, daß der SPIEGEL offenbar in erschreckender Weise über einflußreiche Informanten im Bereich der Bundeswehr verfügen müsse. Staatssekretär Hopf erklärte, es komme dem Bundesverteidigungsministerium in erster Linie darauf an, diese Informanten ohne Ansehen der Person aufzuspüren. Er sicherte der Bundesanwaltschaft jede nur mögliche Unterstützung des Bundesverteidigungsministeriums für Ermittlungen gegen Angehörige der Bundeswehr zu.

Hopf selbst wußte in seiner Vernehmung nicht zu sagen, ob er die Reise nach Karlsruhe auf eigene oder auf fremde Initiative hin unternommen habe. Nur, daß sein Minister ihn dazu nicht ermuntert habe, wußte er genau. Hopf:

Wenn ich die Reise unternommen habe auf eigene Initiative, dann hatte sie für mich den Hauptzweck, klarzustellen, daß, wenn das Ermittlungsverfahren sich gegen Angehörige des Verteidigungsministeriums richtet, wir bereit sind, jede technische oder sonstige im Rahmen der Gesetze liegende Amtshilfe zu leisten, und es war ein psychischer Zweck, gleichzeitig zu sagen, darauf entsinne ich mich nämlich: Wer davon betroffen wird, ist gleichgültig, auch wenn höhere Personen betroffen werden, der Generalinspekteur zum Beispiel.

Dieser angebliche Reisezweck befremdete den Bundesverfassungsrichter Professor Stein. Er fragte:

Ich verstehe nicht ganz, daß die Aufforderung notwendig gewesen ist für die Bundesanwaltschaft, gegen Mitglieder des Verteidigungsministeriums rücksichtslos vorzugehen, wenn sich ein bestimmter Verdacht herausgestellt hat. Die Bundesanwaltschaft muß von sich aus schon vorgehen, wenn undichte Stellen vorhanden sind, gegen Verdächtige, die in Betracht kommen.

Bundesanwalt Wagner nun hatte das Auftreten Hopfs in ganz anderer Erinnerung. Hopf, so sagte Wagner, habe bei seinem Besuch in Karlsruhe der Bundesanwaltschaft folgendes berichtet:

Die Bundesregierung sei durch die Veröffentlichung im SPIEGEL in eine äußerst schwierige Lage gekommen, da der Artikel eine Reihe von Erkenntnissen enthalte, die einem potentiellen Gegner einen weitgehenden Einblick in die Schlagkraft der Bundeswehr,

in die Verteidigung des Bundesterritoriums und in etwaige militärische Abwehrmaßnahmen biete.

Die amerikanischen Dienststellen, ich glaube, daß in diesem Zusammenhang die Namen McNamara und Taylor fielen, hätten sich äußerst bestürzt gezeigt und hätten sich beschwerdeführend an die Bundesregierung gewandt, so daß nicht nur die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik, sondern auch deren Bündnisfähigkeit in Frage gestellt sei.

Der Bundeskanzler, mit dem Hopf, möglicherweise gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsminister Herrn Strauß, über diesen Sachverhalt gesprochen hätte, habe erklärt, so ginge es nicht mehr weiter und man müsse einschreiten.

Er verwies dabei auf das Gutachten, erklärte aber, er kenne das Gutachten nicht. Er habe die ersten ein oder zwei Seiten überflogen, aber mangels Zeit und wohl auch wegen nicht detaillierter Fachkenntnisse das Gutachten im übrigen nicht zur Kenntnis genommen. Es sei auf Anforderung der Bundesanwaltschaft erstattet worden Er selber habe keinen Einfluß darauf gehabt.

Ich habe damals Herrn Staatssekretär Hopf die Frage vorgelegt, ob er sich - er sprach an Hand von Notizen, es dauerte ziemlich lange, bis er seine Ausführungen beendet hatte -, ob er sich von einem strafrechtlichen Einschreiten eine Abhilfe für die Indiskretion aus seinem Hause verspreche und ob nicht auf andere Weise diese Quelle verstopft werden könne Das hat Staatssekretär Hopf rundweg verneint.

Er erklärte, man habe die verschiedensten Versuche angestellt, um dieser Indiskretion Herr zu werden, ihr zu begegnen. Es sei alles vergeblich gewesen. Es scheiterte mangels Verschwiegenheit der Offiziere, die unter falschen überkommenen Vorstellungen lebten; alle Kameraden für vertrauenswürdig hielten und ohne Rücksicht auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit in Kameradenkreisen über Dinge sprachen, die der Sekretur unterliegen, die, auch außerhalb ihres eigentlichen Amts- und Zustandigkeitsbereiches mit Abgeordneten, insbesondere des Verteidigungsausschusses und außerhalb von dessen Sitzungen, über solche Dinge sprechen, die dann möglicherweise an Außenstehende herangetragen würden.

Es kamen da etwa drei Arten von Informanten in Frage, nämlich einmal die Verräter, die für Geld Dinge preisgeben würden, zweitens die Leute, die leichtfertig redeten, und drittens die Leute, die gelegentlich Sachen an die große Glocke hängten.

Auf welchen dieser drei Informationskreise der SPIEGEL-Artikel zurückzuführen sei, wisse er nicht Ein Strafverfahren sei die Ultima ratio, um diesen Dingen zu begegnen und Einholt zu gebieten.

Hier taucht zum erstenmal der Bestechungsverdacht auf ("Verräter, die für Geld Dinge preisgeben würden"). Wer die seinerzeitigen Tumulte im Bundestag noch in Erinnerung hat, dem muß auffallen, daß Hopf sich nicht auf die gefahrenträchtige Kuba-Krise berufen hat, um die Bundesanwälte anzuspornen. Freilich ergibt ein Blick in die Zeitungen zwischen Samstag, dem 20. Oktober 1962, und Dienstag, dem 23. Oktober 1962, daß die Kuba-Krise an dem Tag, den Hopf für seinen Besuch in Karlsruhe wählte, noch nicht ausgebrochen war. Am Montagabend, dem 22. Oktober, gab Präsident Kennedy die Blockade gegen Kuba bekannt. Bundesanwalt Wagner wußte also von Kuba noch nichts. Aber er machte sich Sorgen wegen der damals zwischen Strauß und SPIEGEL wogenden Fehde:

Ich habe Herrn Hopf die weitere Frage vorgelegt, ob nicht ein Strafverfahren, in das notwendigerweise die Redaktion des SPIEGEL einbezogen werden müsse, zu falschen Vorstellungen bei der Öffentlichkeit führen könne. Es war ja bekannt, daß in der damaligen Zeit der SPIEGEL eine heftige Polemik gegen den seinerzeitigen Bundesverteidigungsminister führte und ihm die persönliche, die moralische und fachliche Eignung für sein Amt mehr oder weniger absprach

Hopf erklärte mir daraufhin, er habe den Minister völlig aus der Sache herausgehalten. Er habe ihm das Gutachten nicht gezeigt, habe ihm auch von seiner Reise noch Karlsruhe keine Kenntnis gegeben und habe im übrigen mit ihm über diese Dinge nicht gesprochen. Es könne also in diesem Falle von einer, nun sagen wir, Replik des Ministers auf Anwürfe des SPIEGEL keine Rede sein.

Hier wird eine gewisse Generosität im Umgang mit der Wahrheit sichtbar, die der Minister und sein Staatssekretär miteinander geteilt haben. Hatte Strauß nach Spanien telephoniert, Augstein sei in Kuba, zehn bis zwölf hohe Offiziere stünden vor der Verhaftung, so trumpfte Hopf bei den Bundesanwälten mit McNamara, Kennedys Verteidigungsminister, und Maxwell Taylor, Kennedys Generalstabschef, auf.

Beide Namen waren aus der Luft gegriffen. Kein Amerikaner hat sich bis heute beschwert. Wohl aber hat das Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Heidelberg den Bundesgerichtshof durch seinen höchsten Gerichtsoffizier amtlich wissen lassen, die Interessen der amerikanischen Armee seien durch den Artikel »Bedingt abwehrbereit« nicht berührt worden*.

Es tut wohl, in einem Land zu leben, dessen höchste Bedienstete befördert werden, hier zum Präsidenten des Bundesrechnungshofs, wenn sie um der Staatsräson willen die Unbequemlichkeit der Amtslüge auf sich nehmen.

Hopf, der die Verfassungsrichter glauben, machen wollte, er habe Strauß lediglich »die Absendung des Gutachtens mitgeteilt«, Hopf war mit dieser Aussage nur konsequent. Denn auch den Bundesanwälten hatte er schon am 20. Oktober 1962 dienstlich vorgespiegelt, »er habe den Minister völlig aus der Sache herausgehalten. Er habe ihm das Gutachten nicht gezeigt, habe ihm

auch von seiner Reise nach Karlsruhe keine Kenntnis gegeben und habe im übrigen mit ihm über diese Dinge nicht gesprochen« (Aussage des Bundesanwalts Dr. Wagner).

In Wahrheit hatte Minister Strauß am 16. Oktober, vor Absendung des Gutachtens, eine Konferenz auf höchster Ebene abhalten lassen, von der Dr. Wunder dem Gericht berichtete. Anwesende: der Staatssekretär Hopf; der Ministerialdirigent Wagener; der Strafrechtsreferent Ministerialrat Dr. Schwenck, Wunders unmittelbarer Vorgesetzter; der Adjutant des Ministers, Oberst Wagenknecht; der Pressereferent Oberst Schmückle; Wunders Mitgutachter Oberst von Hopffgarten; General Ferber, der Nachrichtenchef. Minister. Strauß ließ sich, so der SPIEGEL-Bericht der Bundesregierung, »über den Sachverhalt sowie über den Umfang und die voraussichtliche Dauer der Arbeit« Vortrag halten.

Strauß habe erst erklärt, so berichtete Wunder, für ein Vorgehen, gegen den

SPIEGEL brauche man überhaupt kein Gutachten, und dann, das Gutachten solle »Möglichst schnell« und »streng geheim« erstellt werden.

Wunderte sich der amtierende Generalbundesanwalt Dr. Wagner über diesen aus Bonn angereisten Staatssekretär, der nur eine oder zwei Seiten einer 25 Seiten starken Stellungnahme überflogen« hatte, »mangels Zeit und wegen nicht detaillierter Fachkenntnisse«, und der gleichwohl aufgrund dieser Stellungnahme »ein Strafverfahren als Ultima ratio« forderte? Der nicht nur seinen skandalerschütterten Minister, sondern auch sich selbst »aus der Sache völlig herausgehalten« hatte, und der doch gleichwohl unter Berufung auf die höchsten politischen Instanzen um Einschreiten ersuchte? Kam diese zwischen Minister und Staatssekretär abgesprochene Abstinenz dem Dr. Wagner verdächtig vor, doppelt verdächtig angesichts der ja auch ihm bekannten »heftigen Polemik (des SPIEGEL) gegen den seinerzeitigen Bundesverteidigungsminister«?

Hielt Wagner eine Rückfrage in Bonn für nötig, eine Berichterstattung im Bundesjustizministerium, wie sie aus kleinerem Anlaß geboten gewesen wäre? Mitnichten. In seiner Aussage fährt er vielmehr fort:

Ich habe dann dem Herrn Staatssekretär erklärt, daß die Bundesanwaltschaft aufgrund seiner Darlegungen gemäß dem Legatitätsprinzip gehalten sei einzuschreiten und daß sie sich dieser Pflicht nicht entziehen werde; daß sie auch die Verantwortung übernehme.

Bundesanwalt Kuhn ergänzte in seiner Aussage den Kollegen Wagner:

Sinngemäß meinte Herr Staatssekretär Hopf, strafrechtliche Maßnahmen seien vielleicht in diesem Falte tatsächlich die Ultima ratio. Nur wenn die Justiz Ernst mache, könne es sein, daß man die Dinge wieder in den Griff bekomme. Herr Wagner hat dann betont, daß uns das Wichtigste sei, vor altem Hinweise zu bekommen aus dem Verteidigungsministerium auf die undichten Stellen.

Um acht Uhr früh am Samstag, dem 20. Oktober 1962, wußte der amtierende Generalbundesanwalt in erstinstanzlichen Sachen, Dr. Wagner, noch nichts

von dem landesverräterischen Artikel. Gegen elf Uhr konnte der Staatssekretär Hopf Wagner mit dessen Zusicherung verlassen, daß eingeschritten werde. Der amtierende Generalbundesanwalt gab diese Zusicherung ohne Rücksprache mit dem ihm vorgesetzten Bundesjustizminister. Die spektakulärste Justizaktion in der rechtsstaatlichen Geschichte Deutschlands war beschlossene Sache. Das Angebot Hopfs, er, Hopf, wolle das Bundesjustizministerium informieren, nahm Wagner an: »Wir glaubten, unserer Berichtspflicht solcherart ledig geworden zu sein.« Und: »Hopf übernahm die Berichtspflicht.«

Was lag an Verdachtsmomenten bis zu diesem Augenblick vor? Das Gutachten des Oberregierungsrats Dr. Heinrich Wunder aus dem Verteidigungsministerium. Strauß und Kopf haben beide immer wieder betont, sie hätten dieses Gutachten nicht oder nicht vollständig gelesen.

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD vom 16. November 1962 heißt es: »Vor der Absendung des Gutachtens an die Bundesanwaltschaft hat er (Strauß) von dem Inhalt des Gutachtens weder ganz noch teilweise Kenntnis erhalten.«

Diese - unwahre - Darstellung, das Gutachten sei dem Minister vor Absendung nicht gezeigt und sei mit ihm nicht besprochen worden, suchte Kopf sogar bei seiner Vernehmung in Karlsruhe noch aufrechtzuerhalten:

Mein Minister war inzwischen zurückgekommen, und ich teilte ihm die Absendung des Gutachtens mit.

Ich entsinne mich auf den Vorgang ziemlich genau, weiß mein Minister sich etwas zurücklehnte. Ich hatte das Gefühl, daß er mir sagen wollte: Hopf, wäre es nicht richtiger gewesen - unser Umgangston war im allgemeinen höflich -, Sie hätten es mir vorher gesagt oder gezeigt. Ich sagte ihm, Herr Minister, die Rechtslage ist so, daß ein Gutachten von einem Gutachter erstattet wird, damit hat die Behörde nichts zu tun; nur unter gewissen Voraussetzungen kann sie die Genehmigung verweigern, daß das Gutachten gemacht wird ...

Und im übrigen, Herr Minister, muß ich offen sagen, die Dinge sind juristisch sehr kompliziert. Bitte nehmen Sie mir es nicht übel, Sie werden wahrscheinlich als Nichtjurist auch nicht mehr davon verstehen als ich.

Der Minister sagte: Ja, natürlich, gut. Ich sagte, Herr Minister, vielleicht ist ein Konzept da. Ich könnte ja einmal sehen, soviel ich weiß, ist nur Herr Wunder mit dem Original nach Karlsruhe gefahren. Ich kann mal sehen, ob Herr Schwenck da ist und das Konzept herbringt. Ich glaube, Herr Schwenck kam dann mit dem Entwurf.

Herr Minister Strauß las, soweit ich mich entsinne, etwa zwei, drei, vier Selten und sagte dann: Hopf, Sie haben völlig recht. Damit müßte man sich sehr viel sorgfältiger beschäftigen. Wenn ich mich nicht irre, ging Herr Schwenck mit dem Konzept wieder fort. Nun, das ist meine Beteiligung an der Angelegenheit zunächst.

Jeder minder hochgestellte Staatsbürger, der so vor Gericht aussagte, wie Volkmar Hopf, würde gerichtlich belangt. Wie Wunder berichtete, hatte Strauß ja vor Absendung des Gutachtens eine Mammutkonferenz einberufen, mit Hopf; hatte den Dr. Wunder gefragt: »Warum denn überhaupt ein Gutachten?«, jeder Staatsanwalt müsse doch von selbst merken, daß es hier um wichtige Dinge gehe; hatte Eile und Geheimhaltung angeordnet; hatte befohlen, daß dem Gutachter seitens des Ministeriums jede erdenkliche Hilfe gewährt werden solle.

Hopf, in Karlsruhe auf die offenkundigen Unwahrheiten in seiner Aussage gestellt, retirierte: Es sei in seiner Gegenwart »nicht ernsthaft zur Sache« ein Gespräch mit dem Gutachter Wunder geführt worden, noch »ein echtes Sachgespräch« mit dem Referenten, mit dem Unterabteilungsleiter, mit dem Minister. »Unechte« Gespräche zur Sache sind also offenbar geführt worden.

Auch Hopf betonte in Karlsruhe mehrfach, wie früher sein Minister, er habe das Gutachten selbst nicht gelesen.

Hopf in Karlsruhe:

Ich glaube, ich habe einen Blick in das Gutachten geworfen. Das war so kompliziert; das kann man oberflächlich gelesen, nicht verstehen. Ich bin Jurist, aber auch für mich ist das so en passant nicht zu lesen.

Hopf in Karlsruhe:

Ich habe es niemals als ein legitimes Interesse des Ministeriums angesehen, ein Gutachten, das durch ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft oder sonstige Verfolgungsbehörde bei einem sachverständigen Herrn angefordert wurde, irgendwie zu beeinflussen. Deswegen habe ich ausgeführt, ich habe auch nachhaltig abgelehnt, es zu lesen.

Hopf in Karlsruhe:

Dann habe die mich bereit erklärt, (das Gutachten) zu lesen, habe aber wegen geistiger Unzulänglichkeit nach drei Seiten aufgehört, weil ich mir sagte, daß ich kein Fachmann bin, es hat keinen Sinn, dazu habe ich keine Zeit.

Also, weder Strauß noch Hopf hatten die mit »Vorläufiges Gutachten« überschriebene Stellungnahme des Oberregierungsrats Wunder gelesen. Beide fühlten sich nicht zuständig und nicht sachverständig. Staatssekretär Hopf, selbst Jurist, hielt den Inhalt für eine Juristensache des Dr. jur. Heinrich Wunder. Beide wollten mit dem Gutachten »nichts, im wahrsten Sinne des Wortes nichts« zu tun haben.

Beide haben aber mit Hilfe eines Gutachtens, das sie nicht kannten oder nicht kennen wollten, in enger Komplicenschaft ein raffiniertes Täuschungsmanöver ausgeführt.

Am 18. Oktober, zwei Tage nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub und einen Tag vor Absendung des Gutachtens, berichtet Strauß, laut SPIEGEL-Bericht der Bundesregierung, dem Kanzler Adenauer über das Landesverratsverfahren gegen den SPIEGEL, das laut schriftlicher Bekundung des Generalbundesanwalts zu diesem Zeitpunkt formal noch nicht eingeleitet war.

Strauß holt sich Rückendeckung für ein Verfahren, dessen Grundlage kennenzulernen er und Hopf konsequent von sich gewiesen hatten. So heißt es im SPIEGEL-Bericht der Bundesregierung:

Außerdem hat der Bundeskanzler dem Bundesverteidigungsminister auf besondere Frage erklärt, er stehe mit seiner vollen Autorität zur Durchführung des Verfahrens, der Bundesverteidigungsminister könne sich jederzeit darauf berufen; der Bundeskanzler sei auch bereit, dies dem Bundesverteidigungsminister schriftlich zu versichern. Der Bundesminister der Verteidigung hat mit der Bemerkung, daß ihm die mündliche Zusage genüge, auf schriftliche Bestätigung verzichtet.

Das »war am 18. Oktober. Zwei Tage später, am 20. Oktober, erzählte Kopf den Bundesanwälten in Karlsruhe, der Bundeskanzler habe erklärt, »so ginge es nicht mehr weiter und man müsse einschreiten«.

Also, ein Oberregierungsrat erstellt ein »Gutachten«. Der Minister und sein Staatssekretär lesen es nicht, halten aber dem Bundeskanzler gleichwohl darüber einen scharfmacherischen Vortrag, und der schlägt auf den Tisch.

Strauß und Kopf zusammen haben ein Täuschungsmanöver durchgeführt, das bei jedem höheren Beamten und bei jedem Offizier zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen müßte, nicht nur nach preußischen Maßstäben. Sie haben Amtspersonen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu Amtshandlungen veranlaßt, in der Annahme, diese würden niemals zugeben können, mißbraucht worden zu sein. Kopf bewirkte bei den Bundesanwälten eine sonst nicht erklärbare Überbewertung des Wundersehen Gutachtens. Außerdem listete er sie um die Verpflichtung herum, ihrem Bundes-Justizminister Bericht zu erstatten.

Welche Absicht dabei verfolgt wurde, konnte auch in Karlsruhe nicht bewiesen werden. Daß tatsächlich, wie hundertfältig behauptet, »die Löcher im Verteidigungsministerium gestopft« werden sollten, leuchtet als Motiv nicht recht ein. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Spitze des Ministeriums über diese Locher nicht sonderlich besorgt gezeigt.

Der Bundesverfassungsrichter Scholtissek fragte Hopf:

Meine Frage ging dahin, was Sie unternommen haben, um die undichten Stellen festzustellen, was Sie konkret getan haben, um undichte Stellen festzustellen. Wenn Sie nichts getan haben, sagen Sie: »nichts«.

Hopf entgegnete:

Durch Erziehung, durch Belehrung, durch Verwarnung. Soweit in Einzelfällen ein echter Tatverdacht bestand, ist die zuständige Staatsanwaltschaft benachrichtigt worden. Es ist also in einem solchen großen Betrieb im Laute der Jahre natürlich vorbeugend, aber auch in der Verfolgung eine Menge geschehen.

Eher schon könnte Hopf das Motiv unterstellt werden, jene Offiziere zu erwischen, die in ihrer Abneigung gegen die verteidigungspolitische Konzeption ihres Ministers so weit gegangen waren, sich mit dem SPIEGEL zu unterhalten. Vielleicht auch wollte der autoritär gestimmte Hopf der Staatsraison durch ein Exempel Geltung verschaffen.

Bei alledem wird man aber nicht außer acht lassen dürfen, daß Strauß mehreren Gewährsleuten im Laufe des Sommers 1962 gesagt hat, Augstein müsse für immer aus der deutschen Presse verschwinden, und daß Hopf seinen Minister bei all dessen Affären - Fibag, Barth, Onkel Aloys - mit äußerster Kaltschnäuzigkeit gedeckt hatte.

Als Strauß in Nürnberg, um sein Verhalten in der Fibag-Angelegenheit zu rechtfertigen, das halbe Ministerium mitbrachte, hörte man seinen damaligen Adjutanten, den heute der Bestechung verdächtigten General Repenning, sagen: »Heute werden wir die Eiterbeule aufstechen.« Strauß selbst galt als gesprächsfreudigster Minister der Nato, und sein Pressechef Oberst Schmückle mokierte sich mehrfach in sympathischer Weise über die Geheimnistuerei gewisser Nato-Stellen. Das »Strafverfahren als Ultima ratio« (so Hopf laut Bundesanwalt Wagner) leuchtet nur ein, wenn man es nicht - auf die undichten Stellen im Ministerium, sondern auf den SPIEGEL bezieht.

Nicht unbedingt, Hopf, wohl aber Strauß lebte damals in der fixen Vorstellung, der SPIEGEL sei eine Agentenzentrale. Wäre man erst einmal unter dem Titel »Landesverrat« eingedrungen, würde man zweckdienliches Material, sei es auch nicht unbedingt einschlägig, schon finden.

Hätten Strauß und Hopf sich um das ganze Verfahren nicht aktiv gekümmert, so wäre ihnen kaum zu widerlegen, daß sie der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen wollten. Die Beweisaufnahme vor dem Bundesverfassungsgericht brachte aber zutage, daß eben jenes Gutachten, das sie um keinen Preis lesen wollten, ihnen als blindes Werkzeug diente, um erst den Bundeskanzler und dann, mit dem Treibsatz Autorität des Bundeskanzlers« im Rücken, die Bundesanwaltschaft in Stellung zu bringen.

Die Entstehung dieses Gutachtens widerlegt die stereotype Behauptung, es sei Strauß und Hopf nicht sosehr

um den SPIEGEL wie um die »undichten Stellen im Ministerium« gegangen.

Wenn in großer Auflage ein siebzehn Seiten langer Artikel erscheint, in dem streng vertrauliche, streng geheime, vom Standpunkt des Ministeriums aus geheime Tatsachen veröffentlicht worden sind, so wird in jedem geordneten Ministerium der Chef auf diesen Artikel hingewiesen, und es findet eine Beratung statt, welche Maßnahmen innerhalb des Ministeriums ergriffen werden könnten.

Nicht so hier. Der SPIEGEL mit dem Artikel Bedingt abwehrbereit« war am Montag, dem 8. Oktober, an den Kiosken. Hopf, in Vertretung des abwesenden Ministers, hat den siebzehn Seiten langen Artikel aufgrund

eines Hinweises, daß etwas über die

»Fallex«-Übung darin stehe, am Mittwoch, dem 10. Oktober, um 8.30 Uhr zu lesen begonnen, als der General Wessel, dem bis dahin das Amt für Sicherheit der Bundeswehr und damit der MAD unterstanden hatte, bei ihm eintrat, um sich zur Truppe abzumelden.

Hopf in Karlsruhe:

Ich sagte ihm dem Sinne nach. Ach, lieber Herr Wessel, könnten Sie mir einen Gefallen tun? Ich lese gerade einen Artikel, können Sie ihn mal mit rübernehmen. Irgendwie kommt mir der Artikel eigenartig vor, aber ich habe erst ein oder zwei Seiten gelesen.

Aus dem Hergang, Terminkalender plus Gespräch mit General Wessel, glaube ich mich mit Sicherheit zu entsinnen, daß ich in diesem Augenblick, also am, 10. Oktober morgens gegen 8.30 Uhr, von diesem Artikel Kenntnis erhalten habe.

Ich habe dann mehrere Tage nichts von der Angelegenheit gehört. Soweit ich mich entsinne, habe ich auch nicht mehr an den Artikel gedacht. Es ging dann - ich betone, da Ich mir keine Notizen gemacht habe, daß das nicht mathematisch absolut sicher ist -, ich entsinne mich dunkel, daß ein Schreiben in den Posteingängen lag, und wenn ich mich nicht irre, wer es eine Erinnerung der Bundesanwaltschaft an ein Gutachten. Das war, wenn ich mich recht entsinne, die zweite Kenntnis, die ich von der Angelegenheit bekam.

An einem anderen Tage, dazu müßten vielleicht die anderen Zeugen etwas Näheres sagen, ich entsinne mich nicht auf das Datum, meldeten sich bei mir, wenn ich mich nicht irre, Ministerialdirigent Wagener - ich glaube, er war damals schon Ministerialdirigent, sowie Herr Schwenck und Herr Wunder, der damals Oberregierungsrat war. Ich weiß nicht, ob Herr von Hopffgarten bei mir war, das ist mir nicht in Erinnerung. Sie kamen zu mir ins Zimmer und sagten mir, sie hätten hier das Gutachten. Ich fragte, welches Gutachten, weil ich bis dahin kaum solche Gutachten gesehen hatte. Und sie sagten, es sei also ein Gutachten auf Anforderung der Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit, darf ich sagen.

Da fiel mir ein, daß ein Erinnerungsschreiben durch meine Hand gegangen sei. Ich sagte, Sie sind ja Gutachter, und wenn ich mich recht entsinne, sagte ich, das ist Ihre Angelegenheit. Die Herren meinten aber, ich sollte doch das Gutachten lesen. Ich erwiderte nach einigen Gegenreden: Gut, ich möchte aber erst feststellen, ob es unterschrieben ist, um jedes Mißverstandnis zu vermeiden. Ich schlug genau die letzte Seite auf und stellte fest, daß es unterschrieben war, entsinne mich aber nicht, welche Namen darunter standen.

Ich habe angefangen zu lesen, es können zwei, drei oder auch vier Seiten gewesen sein, und sagte dann: Meine Herren, dafür bin ich kein Spezialist. Es hat gar keinen Zweck, daß ich das weiterlese. Dann müßte ich, wenn ich etwas verstehen sollte, stundenlang oder tagelang mich damit beschäftigen. Das Wort Karlsruhe fiel, Bundesanwaltschaft. Ich fragte einen der Herren, ich

glaube Herrn Wunder, ob er ein Auto habe, und er sagte, er habe einen Dienstreiseantrag eingereicht.

Die Herren verabschiedeten sich von mir, und Herr Wunder fuhr wie ich dann erfuhr, sozusagen fast unmittelbar mit dem Gutachten nach Karlsruhe.

Es mag nützlich sein, diese Aussage in einem Stück zu lesen. Hopf, der den abwesenden Minister vertrat, Hopf, laut Strauß »in erster Linie für Ordnung und Disziplin des Ressorts verantwortlich«, las den Artikel, wenn überhaupt, nur beiläufig und will sich nicht weiter um ihn bekümmert haben, eine ganze Woche lang nicht. Daß hier wichtige Interessen seines Ministeriums auf dem Spiele stehen könnten, ist ihm gar nicht aufgegangen und offenbar auch von niemandem mitgeteilt worden.

Das änderte sich schlagartig, nachdem der Minister am 15. Oktober aus seinem Urlaubsort in Frankreich zurückgekommen war. Wörtlich über Nacht avancierte der Artikel »Bedingt abwehrbereit« zur Staatsaffäre. Dr. Wunder, von dem Hopf sagt, er habe bis dahin weder von ihm gehört noch etwas gesehen, wurde zur staatswichtigen Person.

Zu diesem Zeitpunkt war das Ermittlungsverfahren noch nicht eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft hatte lediglich Verdacht geschöpft (oder es war ihr ein Verdacht unterbreitet worden). Sie hatte am 9. Oktober im Bundesverteidigungsministerium' angerufen und um Erstattung eines Gutachtens gebeten.

Das Ersuchen ging an das Strafrechtsreferat. Dort säßen zwei für die Erstattung von Gutachten zuständige Beamte. Der eine war Heinrich Wunder, er bekam den Auftrag.

Am Samstag, dem 13. Oktober, besuchte Heinrich Wunder in Karlsruhe, wo seine Familie wohnte, den Bundesanwalt Dr. Albin Kuhn, der das Gutachten angefordert hatte. Der Artikel, so sagte Wunder, werde im Bundesverteidigungsministerium sehr ernst beurteilt. Die Beurteilung in Form eines ausgearbeiteten Gutachtens werde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen: »Mindestens 14 Tage, vielleicht sogar vier Wochen.« Die Truppe, so habe ihm Oberst Schmückle, der Pressereferent von Strauß, mitgeteilt, sei »ungeheuer beunruhigt«.

Bundesanwalt Kuhn verlangte ein »umfassendes Gutachten«, so Wunder, ein »möglichst erschöpfendes Gutachten«, so Kuhn, selbst. Wunder brauchte dazu nicht 14 Tage, wie er angekündigt hatte, und nicht vier Wochen. Am Montag, dem 15. Oktober, nahm er die Arbeit am Gutachten wieder auf. Am Dienstag, dem 16. Oktober, erfuhr er bei Minister Strauß, das Gutachten solle »möglichst schnell« erstattet werden, und am Mittwoch, dem 17. Oktober, stellte er es fertig.

Hinsichtlich des Inhalts hatte Wunder der Besprechung beim Minister entnommen: »Wir waren alle der Meinung, es müsse zweifellos ein objektives Gutachten sein, aber unter diesen besonderen Umständen (der sich bereits ankündigenden Kuba-Krise) eher ein strenges als ein laxes, trotz allem aber objektiv. Das ist, was uns beeinflußt hat und worauf ich trotz allem hinweisen möchte.«

Dies möglichst schnell erstellte und derart beeinflußte Gutachten zählte 41 Landesverratspunkte, das Schlußgutachten des Generalleutnants Mueller-Hillebrand, gerade ausgeschiedenen stellvertretenden Stabschefs der Nato-Streitkräfte in Europa, erstattet im Dezember 1965, sah keinen Landesverrat mehr in dem Artikel.

Ein Gutachten verlangt, wer die fachlichen Kenntnisse selbst nicht hat. Beim Gutachter setzt man voraus, daß er sie hat. Dazu sagte Volkmar Hopf:

Derjenige, der ein Gutachten erstatten läßt, bestellt einen Gutachter. Das Verteidigungsministerium kann nur sagen, wer die erforderlichen Kenntnisse hat, wie jede andere Behörde, wenn gefragt wird, wer hat Kenntnisse über bestimmte medizinische, chemische, technische Fragen, hier über bestimmte militärische Fragen, und das Ministerium hat im Wege der Amtshilfe

zu sagen, dafür sind geeignet die und die. Und dann bestellt das Gericht oder die betreffende Vertretung der Anklagebehörde den Gutachter.

Wunder wollte »objektiv, aber streng« urteilen: Hatte er die erforderlichen Kenntnisse?

Dazu sagte er selbst: Bis zum SPIEGEL-Gutachten sei er einmal vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe als Sachverständiger aufgetreten, und zwar in dem Verfahren gegen seinen mittelbaren Vorgänger im Strafrechtsdezernat des Bundesverteidigungsministeriums, den der Spionage überführten Oberregierungsrat Fuhrmann. Er sei 1960, bis dahin Staatsanwalt, in das Ministerium eingetreten.

Was das Fachliche anbelange, so sei er »genauso unbedarft« wie die Richter des 3. Senats. Er unterschreibe mit »im Auftrag«, da er die Ansichten der militärischen Experten juristisch koordiniere. Nur einmal habe er ein Gutachten ohne den Zusatz »im Auftrag« abgeliefert, da er anderer Meinung gewesen sei als die von ihm befragten militärischen Fachleute.

Ob der Name »Wunder« unter einem Gutachten stehe oder der eines seiner Vorgesetzten oder gar der seines Ministers, das könne nach seiner Meinung letztlich kaum eine Rolle spielen. Auf die Mitteilungen der »Fachstellen« müßten sie sich allesamt verlassen.

Auch der Gutachter Wunder verließ sich auf die »Fachstellen": auf fünf bis sechs Offiziere, die er befragte. Einer sagte ihm: »Ich könnte auch nichts anderes Schreiben.«

Als Hauptgehilfen wählte Wunder sich den Oberst i. G. Hopffgarten. Ihn pickte er sich aus dem Organisationsplan des Ministeriums. Hopffgarten war mit der Erstattung eines Gutachtens bis dahin noch nie beschäftigt gewesen.

Auf ihn, so sagte Wunder aus, sei er »gewissermaßen von A bis Z angewiesen« gewesen. Hopffgartens Meinungen habe er zwar auf Logik hin prüfen können, aber nicht auf das »echte Fachliche«. Die Bundesanwaltschaft holte zu ihrer spektakulärsten Aktion aus, ohne daß ein Bundesanwalt oder sonst ein Mitglied dieser höchsten Anklagebehörde mit dem »echten« Gutachter Kontakt aufgenommen hätte.

Wunder wußte, daß die Frage, »ob und in welchem Umfang die betreffenden Themen bereits Gegenstand öffentlicher Erörterungen« gewesen seien, »für die weiteren Maßnahmen des Generalbundesanwalts ausschlaggebend sein wird«, so äußerte er sich schriftlich noch an dem 9. Oktober, an dem er beauftragt worden war. Was tat er, um diese ausschlaggebende Frage zu prüfen?

»Wegen der angeordneten strengen Geheimhaltung«, so sagte er aus, konnte er das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung nicht einschalten. Er begnügte sich statt dessen mit einer Aufstellung aus dem Pressereferat des Verteidigungsministeriums, die von dem Major Wolfram von Raven unterschrieben war.

Auf einem Blatt Papier Din A 4 wurde da aufgeführt, für 28 der inkriminierten 50 Punkte gebe es »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« keine Vorveröffentlichungen.

Das Pressereferat des Ministeriums wertet freilich nur acht ausländische Zeitungen und keine Fachblätter aus. Wolfram von Raven, wie Oberst Schmückle ein enger Vertrauter des Ministers, kommentierte schriftlich:

Wenn auch über gewisse Komplexe, die in diesen Ziffern behandelt werden, Presseveröffentlichungen existieren, so geben sie in keinem Fall die etwa im SPIEGEL veröffentlichten speziellen Einzelheiten wieder, die zwingend eine genauere Kenntnis der geheimen Unterlagen voraussetzen.

Weder der koordinierende Gutachter Dr. Wunder noch der »echte« Gutachter Oberst von Hopffgarten nahmen Einblick in die vom Pressereferat beigebrachten Belege. Auch die Bundesanwaltschaft sah keinen Anlaß, die Vorveröffentlichungen anzusehen, von deren Prüfung die Einleitung des gesamten Verfahrens abhing.

Dazu sagte Bundesanwalt Kuhn, der zuständige Sachbearbeiter des SPIEGEL-Verfahrens:

Die Veröffentlichungen selbst habe ich nicht gesehen. Ich bin der Meinung, daß es eine Sache ist, die der Gutachter zu verantworten hat. Wenn tatsächlich etwas vorveröffentlicht worden ist, darüber kann entscheidende Auskunft nur der Gutachter geben, weil man diese Veröffentlichungen mit einer gewissen Sachkenntnis und Sachverstand lesen muß.

Und Bundesanwalt Dr. Wagner:

Ob Vorveröffentlichungen drin waren oder nicht, darauf kommt es nicht so sehr an.

Professor Ehmke, der Prozeßvertreter des SPIEGEL, entgegnete: »Das ist die entscheidende Frage für den publizistischen Landesverrat.«

Darauf Bundesanwalt Dr. Wagner:

Ich darf an die Tatsache erinnern, daß viele Erfindungen und Entdeckungen, daß das zwei- oder dreimal geschehen ist, wenn ich an das Schießpulver denke, die Chinesen behaupten, sie hätten es früher gekannt, wenn Sie an die Entdeckung Amerikas denken, die Norweger behaupten, 500 Jahre vor Kolumbus sind sie hingefahren - wenn Sie an die englischen Kampfwagen aus dem Ersten Krieg denken, da behaupten zum Beispiel die Österreicher, das hat ein Ingenieur von uns schon vor dem Ersten Krieg erfunden. Es kommt nicht auf die Priorität an, sondern es kommt auf die Effektivität an. Und in einer solch zusammengefaßten prägnanten Weise, wie es der SPIEGEL-Artikel tat, kann es in tausend Vorveröffentlichungen nicht dargestellt worden sein.

Daß Dr. Heinrich Wunder kein militärischer Fachmann war, wußten die Bundesanwälte. Bundesanwalt Dr. Kuhn sagte dazu aus:

Wunder sagte mir, Sie können unbesorgt sein. Für das, was in diesem Gutachten steht, trage ich, zusammen mit Oberst von Hopffgarten, die volle Verantwortung. Dieser hat ihn in den entscheidenden militärischen Fragen beraten; (Wunder sagte) daß

er sich insoweit auf Hopffgarten verlassen müsse, und das Gutachten werde von ihm zusammen mit Herrn von Hopffgarten vertreten

Die Bundesverfassungsrichterin Frau Rupp von Brünneck verwunderte sich:

Daß Dr. Wunder ein tüchtiger Jurist war, aber doch kein Militärfachmann, war Ihnen das bekannt?

BUNDESANWALT WAGNER: Das war mir bekannt. Er ist nur Jurist, aber er hat mir erklärt, daß er dieses Gutachten mit Oberst von Hopffgarten und, wie ich meine, auch nach Rücksprache mit Fachreferenten erstaltet hat. Und die Darlegung seines Gutachtens wurde unterstützt durch das, was der Staatssekretär Hopf des Bundesverteidigungsministeriums, nun wieder unter Berücksichtigung amerikanischer Stellen, sagte. Das Gutachten war für uns als erste Unterlage des Ermittlungsverfahrens zweifellos hinreichend.

VON BRÜNNECK: Ich möchte keine Vorwürfe erheben, aber ich möchte klären, wer trug nach Ihrer Meinung die Verantwortung dafür, daß das, was in militärfachlicher Hinsicht in diesem Gutachten drin stand, richtig war. Wer trug die Verantwortung dafür, daß

a) Herr Dr. Wunder der richtige Mann war als Koordinator,

b) er sich die richtigen Leute im Ministerium aussuchte für diese militärfachlichen Auskünfte und

c) daß die Auskünfte, die nun von diesen Leuten gegeben wurden, richtig waren.

Denn so, wie die Dinge lagen: Ich sehe es so, daß in der Bundesanwaltschaft keiner die Kenntnisse haben konnte, um das wirklich zu beurteilen, auf der anderen Seite hingen von diesem militärfachlichen Inhalt schwerwiegende Eingriffe ab.

WAGNER: Ein Gutachten wirkt zunächst durch sich selbst. Wenn Ausführungen verständlich, vernünftig und überzeugend sind, sagt man, das ist ein Fachkenner. Zweitens, wenn man den Gutachter selber kennt, in seine Solidität und Zuverlässigkeit und Beurteilungsmöglichkeit Vertrauen hat, wirkt das nochmals zugunsten des Gutachters überzeugend. Ob ein Gutachten letzten Endes vor Gericht standhält oder nicht, das kann man nicht voraussehen. Es gibt Verfahren, wo drei oder vier Sachverständige ihre Meinung vertreten, der Richter muß sich eben entscheiden.

Wir haben aufgrund dieses Gutachtens, das ein Gemeinschaftswerk war, und aufgrund der zusätzlichen Bemerkungen des Staatssekretärs Hopf geglaubt, das ist für ein Verfahren hinreichende Grundlage.

VON BRÜNNECK: Es war Ihnen bekannt, daß der Staatssekretär die Verantwortung für dieses Gutachten nicht übernimmt?

WAGNER: Er hat nicht die Verantwortung abgelehnt. Er hat gesagt, daß er aus seiner Amtsstellung heraus den Sachverhalt ebenso würdigte wie der Gutachter. Das war für uns eine Bestätigung mehr der Richtigkeit des Gutachtens und seiner Zuverlässigkeit.

MINISTERIALDIREKTOR ROEMER: Eine allgemeine Frage: Wer hätte in diesem Falle das Gutachten vor Gericht, sei es als Sachverständiger, sei es als sachverständiger Zeuge, zu vertreten gehabt? Wer hätte es im Notfall auf Eid nehmen müssen?

WAGNER: Wahrscheinlich beide.

MINISTERIALDIREKTOR ROEMER: Das wären also Dr. Wunder und der Oberst von Hopffgarten gewesen. Danke.

BUNDESVERFASSUNGSRICHTER SCHOLTISSEK: Wer von den beiden hätte unter Sachverständigeneid die Verantwortung auf sich genommen zu erklären, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe es keine Vorveröffentlichungen gegeben?

WAGNER: Die Frage kann ich nicht beantworten.

Daß die Bundesanwälte sich nicht als rächende Arme des Verteidigungsministers empfanden, daß sie sich tatsächlich aufgerufen glaubten, einer objektiv beweisbaren Gefahrenlage und deren internationalen Rückwirkungen zu begegnen, darf angenommen werden. Sie wollten »das Loch im Verteidigungsministerium« aufspüren. Über die Strafprozeßordnung mußten sie sich dabei freilich hinwegsetzen.

Ohne schlagartige Durchsuchung der Geschäftsräume des SPIEGEL in Bonn und Hamburg und der Privatwohnungen aller Verdächtigten glaubten die Bundesanwälte nichts erreichen zu können. Also bedurften sie eines Durchsuchungsbefehls, nun aber nicht nur gegen den mutmaßlichen Verfasser des Artikels, den im Impressum als verantwortlich ausgewiesenen Conrad Ahlers, sondern vor allem gegen den Inhaber des Geschäftsunternehmens Rudolf Augstein. Wäre der Verdacht vorerst auf Ahlers beschränkt geblieben, so hätte nur dessen Bürozimmer, Schreibtisch, Privatwohnung et cetera durchsucht werden können, nicht aber der gesamte Betrieb.

Die Bundesanwälte halfen sich, indem sie abstrakt gegen Augstein den Verdacht auf vorsätzlichen Landesverrat schöpften, und zwar gleich einen dringenden Tatverdacht, wie er zum Erlaß eines Haftbefehls Voraussetzung ist. Ebenso abstrakt schöpften sie den Verdacht, Augstein habe Angehörige der bewaffneten Macht bestochen.

Von Hopf hatten die Bundesanwälte den Hinweis, auch Geld könne eine Rolle spielen. Hopf hatte ihnen auch gesagt, Augstein lese jeden Artikel selbst, und er habe sich beim Grenzübertritt von Frankreich nach Deutschland auffällig benommen, so als fürchte er eine Kontrolle; ein höchst sekretes Schreiben des in Paris residierenden Generals Mueller-Hillebrand an den Generalinspekteur Foertsch in Bonn, das sofort nach Eingang vernichtet worden sei, finde sich trotzdem im SPIEGEL (sei wohl, so wäre zu ergänzen, von Augstein über die Grenze geschafft worden).

Dem Bundesanwalt Dr. Wagner genügten diese reichlich vagen Hinweise nicht für einen Haftbefehl. »Für den Haftbefehlsantrag gegen Herrn Augstein«, will er seinen Untergebenen gesagt haben, »komme es sehr wesentlich darauf an, ob man Augsteins Kenntnis von dem Artikel festgestellt habe oder nicht. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß es schwerfiele, in der Redaktion einige Zeugen zu finden, die darüber Aufschluß geben.« Diese Zeugen wurden nicht gefunden. Gleichwohl ging der Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls an den Ermittlungsrichter.

Warum der Verdacht der aktiven Bestechung nur gegen Augstein geltend gemacht worden sei, nicht aber gegen Ahlers, der doch als der unmittelbare Bestecher hätte vermutet werden müssen, wußten die Bundesanwälte nicht zu sagen. Zwei Gründe sind denkbar: Es kam ihnen entweder nur auf den - für die Aktion unerläßlichen - Durchsuchungsbefehl gegen Augstein an, oder aber sie hatten selbst das Gefühl, daß sie den abstrakt geschöpften Tatverdacht gegen Augstein durch Hinzufügung eines weiteren, ebenso abstrakt geschöpften Verdachts der aktiven Bestechung stützen mußten.

Der Ermittlungsrichter, Oberlandesgerichtsrat Buddenberg, jene während der stürmischen Bundestagsdebatten im November 1962 fast flehend beschworene »höchstrichterliche Autorität«, verfügte alles im Wortlaut so, wie es bei ihm beantragt wurde. Aus Gründen, die nicht aufgeklärt werden konnten, unterließ er es aber, den Landesverratsverdacht auf den Artikel »Bedingt abwehrbereit« zu beschränken. So konnten alle SPIEGEL-Akten, bis zum Gründungsjahr 1947 zurück, durchsucht werden, da auf dem Durchsuchungsbefehl gegen Augstein nur ganz allgemein der Verdacht des Landesverrats geäußert worden war. An die Begründung der Anordnungen eines Ermittlungsrichters, fanden vier von acht Richtern des Bundesverfassungsgerichts, dürften »keine zu hohen Anforderungen gestellt werden«.

Was wirklich nötig gewesen wäre, um jene »sichere Grundlage« zu schaffen, die Dr. Kuhn von Wunder gewünscht hatte, wußte zumindest der Pressechef der Bundesregierung, der jetzige Staatssekretär von Hase, schon im Oktober 1962. Zur Rechtfertigung des nach Ansicht einiger Journalisten späten Zugriffs sagte er:

Es war notwendig, gewissenhaft zu prüfen, ob tatsächlich der Verdacht des Landesverrats vorliegt. Hierzu mußten sorgfältige Gutachten der Sicherheitsbehörde, Gutachten der beteiligten Ministerien sowie, da es sich (bei Fallex) um eine internationale Übung handelte, auch Stellungnahmen internationaler Organisationen und Stellen eingeholt werden. Es mußte geprüft werden, ob es sich bei den mitgeteilten Tatsachen um Staatsgeheimnisse handelte oder ob sie bereits der Öffentlichkeit bekannt waren. Mit anderen Worten, es mußten auch zahlreiche Veröffentlichungen der inländischen und der ausländischen Presse überprüft werden.

Wie konnten die Bundesanwälte ohne die von Hase aufgezählten Maßnahmen so strikt zuschlagen? Wiederum liefert Bundesanwalt Dr. Wagner den Schlüssel. Er sagte über die Zusammenkunft vom 20. Oktober 1962 mit Staatssekretär Hopf:

In diesem Zusammenhang hatte uns Hopf auch die Vollmacht erteilt, gegen jeden Angehörigen seines Hauses rücksichtslos einzuschreiten.

Das Wort »Vollmacht erteilt« ist aufschlußreich. In der Person des Staatssekretärs Hopf sah der Bundesanwalt Wagner, der doch nach dem Legalitätsprinzip keiner Vollmacht eines x-beliebigen Staatssekretärs eines fremden Ministeriums bedurfte, den Vertreter der Staatsgewalt, der sich sogar auf den Herrn Bundeskanzler und die Alliierten berufen konnte.

Hätte Hopf gesagt, das Verfahren gegen den SPIEGEL ist untunlich, so wäre es eben untunlich gewesen. Da Hopf das Verfahren wollte, mochte sich die Bundesanwaltschaft »ihrer Pflicht nicht entziehen«.

Nun gibt es ein Institut, das den Staat vor dem allzu großen Verfolgungseifer oberster Staatsanwälte schützt: die Berichtspflicht der weisungsgebundenen Bundesanwaltschaft gegenüber dem weisunggebenden Minister in wichtigen, nämlich politisch wichtigen Angelegenheiten. Strauß, der vielleicht als einziger der Beteiligten wußte, daß der SPIEGEL-Artikel keine Staatsgeheimnisse enthielt, schaltete diese Sperrvorrichtung aus, indem er dem Staatssekretär des Justizministeriums Dr. Walter Strauß vorspiegelte, der Herr Bundeskanzler wünsche nicht, daß der - zuständige - Bundesjustizminister Stammberger über die geplante Aktion unterrichtet werde.

Nachdem der Bundesjustizminister ausgeschaltet war, welche anderen Institute hätten der Strafverfolgung noch in den Arm fallen können?

Dreierlei:

- der Bundesnachrichtendienst (der

beurteilen konnte, daß durch den SPIEGEL-Artikel kein Landesverrat verübt worden war),

- der Bundesverfassungsschutz (der beurteilen konnte, daß die SPIEGEL -Redaktion keine staatsverräterische Agentenzentrale war),

- das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (das die Vorveröffentlichungen hätte zusammentragen können, wenn man ihm den Auftrag erteilt hätte).

Alle drei Behörden wurden von Strauß und Hopf mit derselben Forderung ausgeschaltet, die schon für die

Ausschaltung Stammbergers hatte herhalten müssen: Der Kreis der Mitwisser sei klein zu halten.

Bundesanwalt Wagner:

Aus diesem Grunde wurde auch nicht der Bundesnachrichtendienst über die Sache unterrichtet, und zwar auch deswegen nicht, weil der Staatssekretär Hopf die Vermutung geäußert hatte, es bestünden zwischen dem SPIEGEL und Bundesnachrichtendienst ungeklärte Beziehungen, die es nicht tunlich erscheinen ließen, den Bundesnachrichtendienst in die Affäre hineinzuziehen.

Wir haben auf diese Erklärung Rücksicht genommen und haben den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht mit der Sache befaßt, da der Kreis an Mitwissern möglichst klein gehalten werden sollte.

Bundesanwalt Wagner:

Ich hatte dann am 23. Oktober nachmittags ein Gespräch mit Herrn Dr. Brückner*, der nochmals bat zu prüfen, ob man nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz, Präsident Schrübbers, ins Vertrauen ziehen solle. Ich habe das abgelehnt, weil wir den Kreis nicht erweitern wollten.

Bundesanwalt Wagner: »Herr Staatssekretär Hopf hatte uns gebeten, nicht die örtliche Polizei in Anspruch zu nehmen, das galt für Hamburg einmal, zum anderen für Bonn.« Strauß und Hopf, man kommt um das Lob nicht herum, hatten an alles gedacht. Hopfs »Bitten« wurden prompt befolgt.

In seiner Aussage vor dem Bundesverfassungsgericht machte Bundesanwalt Dr. Wagner ganz klar, was der Besuch Hopfs am 20. Oktober 1962 in Karlsruhe bedeutet hatte: die Ingangsetzung der Zwangsmaßnahmen gegen den SPIEGEL. Dr. Wagner:

Für mich waren die Erklärungen des Staatssekretärs in dreierlei Hinsicht wichtig: Zunächst hatte durch die eingangs erwähnte Schilderung der Wirkung des SPIEGEL-Artikels für mich die These des Gutachtens, daß hier Geheimnisse verraten worden sind, eine Bestätigung gefunden. Denn auch das Bundesverteidigungsministerium, repräsentiert durch den Staatssekretär, und noch dessen Erklärung auch die zuständigen amerikanischen Dienststellen hatten das, was im Artikel stand, als geheim erklärt und sich über die Veröffentlichung und Preisgabe äußerst bestürzt gezeigt.

Zweitens hatte der Staatssekretär mir bestätigt, daß das Tatbestandsmerkmal »Wohl der Bundesrepublik gefährdet« nach § 99 Absatz 1 StGB hier hinreichend gegeben sei, denn er hatte eindringlich dargelegt, zu weichen Folgen bei den amerikanischen Verbündeten die Veröffentlichung des SPIEGEL-Artikels geführt hatte.

Und drittens war die Erklärung des Staatssekretärs immerhin wichtig für die Frage der Dringlichkeit eines Einschreitens. Denn der Staatssekretär hatte auch darauf hingewiesen, daß die Amerikaner ihm gesagt hätten, das ist in Ihrem Staate nicht der erste Fall, und wenn das wieder geschieht, dann müßten wir uns die Konsequenzen überlegen.

Das Der-Staat-ist-in-Gefahr-Stück, das Strauß und Hopf vor Adenauer und den Bundesanwälten inszenierten, verlief nur zu Anfang erfolgreich. Selten ist eine fehlgeschlagene Justizintrige so nahezu vollständig aufgeklärt worden: Dank dem Bundesverfassungsgericht.

* Staschynski war ein Sowjet-Agent, der im Auftrag seiner Behörde zwei Emigranten umgebracht hatte. Er wurde als »Mordgehilfe« der Sowjet-Regierung zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

* Das offizielle Washington grollte wegen der SPIEGEL-Affäre nicht zuletzt, weil ein Artikel mit pro-amerikanischer Tendenz, jedenfalls mit Pro-Kennedy-Tendenz, strafrechtlich verfolgt wurde.

* Damals Chef der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts, dem Bundesinnenminister unterstellt.

Urteilsverkündung in Karlsruhe: Keine Mehrheit für, keine gegen

Generalinspekteur Foertsch*

Hat das Ministerium ...

Bundesanwalt Kuhn

... das Verfahren maßgeblich beeinflußt?

Polizei in der SPIEGEL-Redaktion: »Schwerwiegender Eingriff«

Minister Strauß, Staatssekretär Hopf: »Unser Umgangston war höflich«

Bundesanwalt Wagner

»Streng, nicht lax ...

Gutachter Wunder

... aber dennoch objektiv«

Süddeutsche Zeitung

»Ein Abgrund von Landesverrat ...

... tut sich ...

... leider nicht auf«

Zeuge Hopf in Karlsruhe: »Irgendwie eigenartig«

Süddeutsche Zeitung

Bei Nacht und Nebel der Freiheit eine Gasse

* SPIEGEL-Titel 41/1962.

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Artikel 9 / 56
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