BONN / STRAUSS Nie da
Mit »Heiterkeit und Beifall« bei der Opposition, »Lachen bei den Regierungsparteien« quittierte Bonns Bundestag die Worte des Wahl-Zoologen Franz Josef Strauß, der plötzlich in seiner eigenen Partei Apo-Tiere entdeckte. Genausowenig wie heute ein Kardinal Einfluß auf die Redakteure seiner Kirchenzeitung habe, könne er als CSU-Vorsitzender bei seiner Parteizeitung »Bayernkurier« etwas ausrichten, weil »sich auch dort zur Zeit etwas zu viel an Demokratisierung der Gesellschaft und Abbau der Autorität vollzieht«.
Geschickt parierte Strauß damit einen Angriff des Bundeskanzlers Willy Brandt, der den CSU-Chef am vorletzten Mittwoch vor dem Parlament der »Doppelzüngigkeit« beschuldigt hatte. Brandt·. »Dies geht eben nicht: draußen zu hetzen und hier nicht dazu stehen zu wollen.«
Gehetzt hatte der »Bayernkurier«, als er Brandt als »Kanzler des Ausverkaufs«, die SPD als »Partei des Ostens« und die Politik der neuen Bundesregierung als »Marsch ins Abenteuer« gekennzeichnet hatte. Und »auf etwas feiner« (Brandt) machte Franz Josef Strauß, als er -- nach seinem Hinweis auf bockige Redakteure -- erklärte, daß er »mit diesen Formulierungen und den darin zum Ausdruck gebrachten Wertungen« nicht übereinstimme.
Des Bayern Spiel auf doppeltem Boden hat freilich Methode. Seit Jahren firmiert Strauß im Impressum des »Bayernkurier« als »Herausgeber«, schreibt Leitartikel, läßt seine politischen Pläne feiern und bösartige Polemik gegen Andersdenkende verbreiten. Doch wann immer das Bonner Echo des Münchner Lärmens auf ihn zurückschlägt« drückt er sich: Als der »Bayernkurier« im November 1965 den Bundeskanzler Erhard heftig angriff, mißbilligte Herausgeber Strauß die Attacke seines damaligen Chefredakteurs Carl Schmöller und ließ den »Bayernkurier« seine Kampagne gegen Erhard fortsetzen -- bis zu dessen Sturz.
Im November 1968 verdächtigte der »Bayernkurier« den Brandt-Sonderbotschafter Egon Bahr geheimer Verhandlungen im ZK der SED. Als der SPD-Chef im Kabinett Schutz vor Fälschungen und unverantwortlichen Kombinationen« forderte, wies Strauß die Verantwortung von sich: Auch er sei nicht mit allem einverstanden, was in seiner Zeitschrift gedruckt werde.
Richtig war und ist, daß Strauß sein Herausgeber-Amt nur nebenher betreibt, die Redaktion nur selten besucht und nicht alle Beiträge vor Drucklegung liest. Richtig ist aber auch, daß ein im »Bayernkurier«-Impressum nicht genannter geschäftsführender Herausgeber im Auftrag von Strauß die Richtlinien der Blatt-Politik bestimmt: Marcel Hepp, 33, Freund und persönlicher Referent des CSU-Vorsitzenden.
Hepp über Strauß: »Der Herausgeber ist praktisch nie da; er hat wenig Zeit, sich um die Einzelheiten zu kümmern, und ich kann ihm nicht in dreistündiger Nachtlektüre die Artikel vorlesen. Deshalb sind wir viel freier als die Redaktion des SPIEGEL.«
So frei allerdings, daß die Redaktion mit Strauß in politischen Konflikt geraten könnte, gibt sich die antiautoritäre Hepp-Mannschaft nicht. Offen interpretiert Hepp sogar den Bundestags-Rückzieher seines Chefs als Lappalie: »Strauß hat sich von einzelnen Ausdrücken und Wertungen in einem Artikel distanziert, aber in keiner Weise von der politischen Haltung des »Bayernkurier.«
Kein Wunder: Das Blatt, dessen Gesamtauflage von 105 000 Exemplaren zu 80 Prozent von CSU-Mitgliedern konsumiert wird, »macht Politik« (Hepp) -- Politik von, durch und für Franz Josef Strauß. Und der CSU-Chef versteht sich selbst auch durchaus so, wie der führende Presserechts-Kommentator Martin Löffler den »Herausgeber« definiert: als »die Persönlichkeit, die beim Erscheinenlassen des Druckwerks die geistige Oberaufsicht führt«.
Von Herausgeber zu Herausgeber richtete Strauß im Bundestag seine Bitte an Willy Brandt ("Vorwärts«-Herausgeber): »Setzen auch Sie sich bitte in Zukunft als Bundesparteivorsitzender der SPD gegenüber Ihren Organen und den Ihnen nahestehenden Organen, den Hilfstruppen, dafür ein, daß die Dinge richtig wiedergegeben werden, damit solches weder auf der einen noch auf der anderen Seite geschieht.«
Auf seiner Seite brachte der geistige Oberaufseher die Dinge in einem Gespräch mit seinem Geschäftsführer Hepp in Ordnung. Und genau eine Woche nach der Strauß-Distanzierung im Bundestag kommentierte der belehrte Hepp im »Bayernkurier« Brandts Haltung zum Atomwaffen-Sperrvertrag: »Wieder wird es ein Sozialdemokrat sein, der einen verhängnisvollen Vertrag unterschreibt. Beim Versailler Vertrag spielte der SPD-Kanzler Bauer diese tragische Rolle. Jetzt ist Willy Brandt in seine Fußstapfen getreten.« Brandt und vor allem seine Umgebung hätten »schon immer ein gebrochenes Verhältnis zum deutschen Standpunkt gehabt«.
Hepps Schmähreden gegen Brandt will nicht einmal die rechtsradikale »Deutsche National-Zeitung« uneingeschränkt übernehmen. Acht Tage nach der »Bayernkurier«-Schlagzeile »Brandt als Kanzler des Ausverkaufs« setzte die NZ-Redaktion hinter ihre Schlagzeile »Kanzler des Ausverkaufs?« immerhin ein Fragezeichen.